Literatur Friedemann Karigs Roman „Die Lügnerin“

Friedemann Karig
Friedemann Karig

In diesem Roman wird das Unmögliche möglich und das Mögliche unmöglich. Mit „Die Lügnerin“ von Friedemann Karig lässt der Leser sich auf einen Mix aus Lüge und Wahrheit, Erfindung und Realität ein. In einer abgelegenen Privatklinik enthüllt die Ich-Erzählerin, die sich Clara Konrad nennt, der Therapeutin ihre überraschende Lebensgeschichte. Und trotz ihres eigenwilligen Wirklichkeitsbegriffs legt sie den größten Wert darauf, dass die Beraterin ihr glaubt.

Im Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit gibt sie Einblicke in ihr Leben. Als Tochter von Flüchtlingen wuchs sie in Armut auf, brach die Schule ab, hatte gescheiterte Beziehungen und Suizidgedanken. Sie arbeitete schließlich im sogenannten „Zentrum“ als „Übersetzerin der kosmischen Energie“ und als Wahrsagerin. Ihr dortiger Chef hat seiner Teilhaberin, Siri von Morgenstern, Claras Adresse verkauft, damit diese für sie arbeite. Mit ihr fliegt sie nach Las Vegas, wo beide beim Roulettespiel sagenhaft reich werden. Diese Zusammenhänge erschließen sich dem Leser erst im Verlauf der in Dialogen gefassten Geschichte. Der Gag: Clara lügt so perfekt, dass alles, was sie erzählt, Realität zu werden scheint.

Bei einem Spaziergang im Wald fragt Clara ihre Therapeutin, ob man einer Lügnerin, die behauptet, nicht mehr zu lügen, glauben könne. Die Antwort: Das sei ein Dilemma, für das es keine Lösung gebe. Wie der Leser verbleibt sie im Ungewissen. „Entweder Sie sind … viel zu wahnsinnig, um hier behandelt werden zu können .... Oder an Ihrer Geschichte von den wahr werdenden Lügen ist doch etwas dran.“ Daraufhin lässt Clara eine weitere abschließende Erzählung folgen.

Sie berichtet von der Begegnung mit ihrem Bruder, der Pfarrer wurde. Für Clara ist ein Pfarrer der erfahrenste Lügner, zugleich zeichnet sie ein negatives Porträt von Gott. Weil dieser nach seinem Bild eine Spezies erschuf, die alles zerstörte, ging es mit ihm bergab. Auf ihre Frage, wo sie Gott finden könne, antwortet der Bruder, sie solle zu sich selbst gehen und auf ein Wunder hoffen. Wird dieses Wunder eintreten? Als es am Ende zu einer spektakulären Überraschung kommt, beginnt die Therapeutin an Claras magische Kraft zu glauben.

Mit „Die Lügnerin“ legt der 1982 bei Freiburg geborene, in München und Berlin lebende Autor, der unter anderem Medienwissenschaft und Politik studierte, nach seinem literarisches Debüt „Dschungel“ seinen zweiten Roman vor. Vielschichtig, bisweilen abgründig lässt dieser den Leser gespalten zurück. Zum einen faszinieren Karigs Erzählkunst und Fantasie. Zum anderen vermisst man einen gewissen Tiefgang. Spannungsvoll und unterhaltsam aber ist „Die Lügnerin“ auf jeden Fall.

LESEZEICHEN

Friedemann Karig: „Die Lügnerin“; Roman; Ullstein, Berlin; 221 Seiten, 22,99 Euro.

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