LEO-KUNSTTIPP Digitale Schnitzeljagd (1): Kunsthalle Mannheim

Einsamer nie als im Corona-Winter: Xaver Fuhrs Stillleben „Gummibaum“ (1925) passt zur aktuellen Stimmung.
Einsamer nie als im Corona-Winter: Xaver Fuhrs Stillleben »Gummibaum« (1925) passt zur aktuellen Stimmung.

„Ich beginne mit dem Besuch bei meiner eigentlichen Familie: im Louvre. Er ist zu.“ – Als einer der beiden Brüder Goncourt, wahrscheinlich Jules, diesen vereitelten Museumsbesuch im gemeinsamen Tagebuch vermerkte, grassierte keine Seuche in Paris. Es war nur einfach Neujahrstag, der 1. Januar des Jahres 1864. 157 Jahre später ergeht es dem Kunstfreund – auch dem, der sich nicht so herzlos von allen anderen sozialen Bindungen lossagt – keineswegs besser. Allerdings aus anderen Gründen. Weil man glaubt, die Covid-Pandemie auf diese Weise besser in den Griff bekommen zu können, sind auch die Museen seit einem Vierteljahr wieder dicht. Und sie werden es wohl, so steht aktuell zu befürchten, noch eine Weile bleiben.

Die Museen sind zu? Ab ins Netz!

Gegenüber den Goncourts hat der Mensch des 21. Jahrhunderts in dieser Situation eigentlich nur einen Vorteil: das Internet. Denn darin finden sich die Online-Sammlungen diverser Museen, durch die sich der Betrachter am heimischen Bildschirm nach Herzenslust gratis klicken kann. Die interessantesten Online-Plattformen von Kunsthäusern der engeren wie weiteren Umgebung wollen wir in den kommenden Wochen vorstellen. Und dabei Fundstücke in den Fokus rücken, die ganz dem Zufall und der schöngeistigen Willkür überlassen bleiben.

Digitale Sammlung der Kunsthalle Mannheim

Mit der Mannheimer Kunsthalle fangen wir an. 1140 Kunstwerke sind hier mit Bild und Daten abrufbar, vom Dürer-Holzschnitt bis zur Bauhaus-Vase, vom Monet-Gemälde bis zur Rauminstallation von William Kentridge. Dem Einstieg in die Werkbetrachtung dienen in vielen Fällen kurze Texte, für prominente Werke gibt es zusätzlich Audio-Guide-Dateien. Man könnte nun gezielt nach den berühmten Ikonen des Hauses suchen. Etwa nach Édouard Manets „Erschießung Kaiser Maximilians“. Man kann aber auch, wie wir, einfach durch die zufallsgenerierte und auf 30 Seiten verteilte Bilderflut scrollen, bis man an irgendetwas hängen bleibt. Ein blumig-afrikanisches Stillleben von Max Pechstein zieht vorüber, eine Ballerina von Matisse, Bretoninnen von Emile Bernard, ein mäßig moderner, hockender Knabe des Bildhauers Kurt Lehmann, Dunkeldynamisches von Karl Otto Götz, lichter Kubismus von Robert Delaunay, ein sinnierender Pfeifenraucher von Paul Cézanne – und dann ist da plötzlich dieser Gummibaum.

Zimmerpflanze im Lockdown-Modus

Mickrig und einsam steht er auf dem Sims eines Fensters, durch das der Blick auf eine karge Winterlandschaft mit kahlen Bäumen fällt. Was könnte die Stimmung dieses Corona-Winters besser widerspiegeln? Drinnen das isolierte, etwas verkümmerte, in brauner Irdenschale gehätschelte Leben, draußen graue Tristesse, der Frühlingssonne harrende Erstarrung. Zimmerpflanze im Lockdown-Modus. Gemalt wurde das Sinnbild eines ernüchterten „Stayathome“ freilich bereits vor langer Zeit. Nämlich Mitte der 1920er-Jahre von Xaver Fuhr, einem 1898 in Mannheim-Neckarau geborenen, 1973 in Regensburg gestorbenen Vertreter jener Stilrichtung, der die Mannheimer Kunsthalle durch eine Ausstellung 1925 den Namen gab: Neue Sachlichkeit.

Sommerlicher Hoffnungsschimmer

Statt das zu diesem Stilbegriff offerierte Album aufzuschlagen, klicken wir unter Xaver Fuhrs „Gummibaum“ lieber auf das Stichwort „Grün“. Ist ja bekanntlich die Hoffnung, und die kann man im Moment ja gut brauchen. Unter den 66 Elementen, die sich daraufhin auf dem Monitor entblättern, frappiert auf den ersten Blick Max Slevogts „Malvengärtner“ von 1920. Was für ein herrlich flirrendes Sommeridyll! So lichttrunken und virtuos locker ist bei weitem nicht jedes Gemälde des bayerischen Wahlpfälzers hingetupft. Und doch ist dieses Meisterwerk des deutschen Impressionisten aus der einschlägigen Literatur kaum bekannt. So gesehen hat der Zwang, auf digitale Ersatzerlebnisse ausweichen zu müssen, auch sein Gutes. Denn ohne ihn hätte man diesen glücklichen Augenblick durchsonnten Daseins wahrscheinlich nie entdeckt.

Info

Kunsthalle Mannheim, Sammlung digital: sammlung-online.kuma.art

Infos zu aktuellen Ausstellungen, Öffnungszeiten und Online-Angeboten: www.kuma.art

Flirrender Zufallsfund: Max Slevogts „Malvengärtner“ (1920) ist auch digital eine famose Sommerimpression.
Flirrender Zufallsfund: Max Slevogts »Malvengärtner« (1920) ist auch digital eine famose Sommerimpression.
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