Reisetipp Wintervertreibung in Eisenach: „Sommergewinn“ ist Immaterielles Welterbe

Füllhorn voller Blüten: Der Eisenacher Sommergewinn ist seit 2016 Immaterielles Erbe Deutschlands.
Füllhorn voller Blüten: Der Eisenacher Sommergewinn ist seit 2016 Immaterielles Erbe Deutschlands.

Wenn das nur so einfach wäre. Ein kurzes Streitgespräch, bei dem vor einem großem Publikum deutliche Worte fallen, und der garstige Winter ist zu Ende. Stattdessen weht ein laues Lüftchen und der Himmel ist blau – exakt drei Wochen vor Ostern.

Wenn im thüringischen Eisenach am Laetare-Wochenende eines der ältesten und größten Frühlingsfeste in Deutschland, der Sommergewinn, gefeiert wird, lasse sich tatsächlich oft die Sonne blicken, versichern Einheimische. So sollte es auch sein, schließlich steht der Ausgang des Festes von vornherein fest: Frau Sunna weist Herrn Winter in die Schranken. Der von vielen Schaulustigen bejubelte Sieg des Sommers über den Winter, der durch das Verbrennen einer Strohpuppe auf dem Marktplatz symbolisiert wird, ist der Höhepunkt des Sommergewinns und des bunten Festzugs durch die Wartburgstadt.

Duell der Jahreszeiten

Doch der Reihe nach: Bevor es zum Duell der Jahreszeiten kommen kann, einem alten Brauch, muss jede Menge Arbeit geleistet werden. Nicole Päsler vom Eisenacher Verein Sommergewinnszunft möchte zunächst das ehrenamtliche Engagement der über tausend Aktiven unterstreichen. „Die Mottowagen des Festzugs werden alle von Laien gebaut. Seit dem Herbst sind wir mit Vorbereitungen voll ausgelastet.“ Auch die allgegenwärtigen Symbole Huhn, Ei und Brezel würden Jahr für Jahr meist neu angefertigt. „Außerdem müssen rund 400.000 Blumen aus Krepppapier gefaltet werden“, resümiert die engagierte Eisenacherin.

Handwerkskunst: Regenbogenbild aus Krepp.
Handwerkskunst: Regenbogenbild aus Krepp.

Zunftvorsitzender Torsten Daut erklärt die Bedeutung der drei Symbole: „Das Huhn verkündet den anbrechenden Tag und somit das Licht. Das Ei steht für die Fruchtbarkeit und die Brezel symbolisiert den Kreislauf des Lebens und das Ewigwiederkehrende.“ Die Papierblumen seien Sonnenblumen. Daut trägt eine bunte Kappe, über deren Stirnpartie ein Huhn thront. Er ist nicht der einzige. Die Kopfbedeckung drückt die Verbundenheit mit der Eisenacher Sommergewinnszunft aus.

Torsten Daut und seine Mitstreitenden sind am Vorabend des Festumzugs im Zunfthaus zusammengekommen, um bei den Vorbereitungen des Fackel- und Lampionumzugs zu helfen. Er ist noch einigermaßen neu im Programm des Sommergewinns und richtet sich besonders an die Kinder. Alle begrüßen sich hier mit dem Ruf „Gut Ei und Kikeriki“. Wer das für einen schlichten Kindervers hält, wird sich in den nächsten Stunden wundern. Denn die Formel wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit voller Inbrunst geschmettert – von Jung und Alt.

Ehrensteig als Herzstück

Am Vormittag des Festumzugs führt der Weg der Schaulustigen zum Ehrensteig. Dieser historische Straßenzug ist sozusagen das Herzstück der Tradition des Sommergewinns. Hier wird so gut wie jede Hausfassade und jeder Vorgarten geschmückt. Dem Einfallsreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt. Von einer als Frau Sunna gekleideten Schaufensterpuppe bis zu alten Postkarten reicht das Spektrum. Schnell kann man mit den Einheimischen ins Gespräch kommen. Überall wird gefachsimpelt.

Reaktion auf die Pest

In dem Viertel rund um den Ehrensteig, einer ehemaligen Hörigensiedlung der Wartburg, sollen die Wurzeln des heutigen Sommergewinns liegen. Ethnographin Juliane Stückrad aus Eisenach erklärt, dass die genauen Entstehungsgründe aufgrund geringer Forschungen im Dunkeln liegen. „Der Brauch ist als Reaktion auf eine Pestepidemie denkbar, aber er verweist durch seinen Termin an Laetare, wo das Fastenbrechen erlaubt war, auch auf christliche Zusammenhänge.“

Hoch zu Ross: Huhn, Ei und Brezel.
Hoch zu Ross: Huhn, Ei und Brezel.

Eindeutig ist, dass Jacob Grimm den Sommergewinn im 18. Jahrhundert beschrieben hat und dass er seit 1897 mit einem Festzug und dem abschließenden Streitgespräch zwischen Winter und Sommer gefeiert wird. „Der Brauch wurde vom ärmeren Teil der Bevölkerung in die Stadt getragen“, informiert die Volkskundlerin. Heute stehe er in voller Blüte und habe eine große, gesellschaftlich verbindende Bedeutung. „Neuerdings sind auch viele Junge dabei. Das liegt sicherlich auch daran, dass der Sommergewinn eine Bühne bietet für Menschen, die sich kreativ ausdrücken möchten.“

Was zunächst nur mit einem Sommer- und einem Winterfestwagen begann, ist zu einem 1,2 Kilometer langen Lindwurm angewachsen, in dem sich die von über hundert Pferden gezogenen Themenwagen mit Fußgruppen und Musikkapellen abwechseln. Zuletzt war das Thema des Festzuges das Immaterielle Erbe des Landes Thüringen, und da konnte einiges an Handwerkskunst und Traditionen aufgeboten werden. Vom Lauschaer Christbaumschmuck bis zur Thüringer Bratwurstkultur und dem Sommergewinn selber. Der gehört seit 2016 sogar zum Immateriellen Erbe Deutschlands.

Engel auf Skiern

Da staunte man über den Festwagen mit emsig beschäftigten Gartenzwergen oder über die Kneipenszene mit Skatspielenden oder die Wagenkulisse mit ausgestopftem Fuchs, einem Hund und Professor Brehm bei der Lektüre (Letztere lebend). Dazwischen präsentierten sich Engel und Weihnachtsmänner auf Skiern sowie Germanen zu Pferd. Man sah Eskimos und Eisbären, Wetterfrösche und Regenbögen und immer wieder Blüten-Motive. Angeführt wird der Festzug stets von einem Herold, dem hoch zu Ross die Symbole des Sommergewinns folgen. Selbstverständlich begleitet von vielstimmigen „Gut Ei und Kikeriki“-Rufen.

Wo Luther predigte und Bach getauft wurde: auch vor der Georgenkirche wird der Frühling begrüßt.
Wo Luther predigte und Bach getauft wurde: auch vor der Georgenkirche wird der Frühling begrüßt.

Das Ende des Festzugs bilden die beiden Wagen, auf denen Winter und Sommer zum Marktplatz gezogen werden. Im Schatten von Georgenkirche, Rathaus und Stadtschloss kommt es zum Duell. „Wohlan, Herr Winter, zu Ende ist deine Regentenzeit! Mich kannst du nicht schrecken, kalter Gesell!“ Frau Sunna ist sich ihrer Sache sicher. Tatsächlich, bald gibt sich Herr Winter geschlagen. Damit der Sieg endgültig ist, wird anschließend eine Strohpuppe verbrannt. Während sich danach der Festzug langsam auflöst, füllen sich die Terrassen der Lokale. Die Sonne scheint.

Wegweiser

Suchen und Buchen

Touristinformation Eisenach:

Tel. 03691 79230, www.eisenach.info, www.sommergewinn-eisenach.de

Eisenacher Sommergewinn 2024

In diesem Jahr geht das Spektakel am 9. März, ab 14 Uhr, über die Bühne: Der Festumzug zählt 40 Wagen und Kutschen, Thema ist „Die Werra im Wartburgkreis“. Am darauffolgenden Laetare-Sonntag findet am Vormittag ein Festgottesdienst in der Annenkirche statt. Am Abend wird die warme Jahreszeit dann mit einem Feuerradrollen begrüßt.

Sehenswürdigkeiten

Wartburg: Die fast tausend Jahre alte Wartburg gehört zum Unesco-Welterbe. Opulent verzierte Bauten und Gemächer zeugen eindrucksvoll von mittelalterlicher und spätromanischer Bau- und Lebenskultur. Museum (Innenräume) täglich 9-17 Uhr geöffnet, Infos: www.wartburg.de

Lutherhaus: Wo Martin Luther zwischen 1498 und 1501 als Lateinschüler gewohnt haben soll, findet sich jetzt eine Dauerausstellung in historischem Ambiente. Aktuelle Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr geöffnet. Info: www.lutherhaus-eisenach.de

Bachhaus: Johann Sebastian Bach ist in Eisenach geboren. Im Bachhaus sind stündlich Live-Konzerte auf historischen Instrumenten, 250 Exponate, historische Wohnräume, ein stimmungsvoller Barockgarten und ein „begehbares Musikstück“ zu erleben. Täglich 10-18 Uhr geöffnet, Info: www.bachhaus-eisenach.de

Hauptkirche St. Georgen: Taufkirche Bachs und Gotteshaus Luthers. Eine Besichtigung der prunkvollen Fürstensärge in der Turmgruft sind gegen 2 Euro Gebühr möglich. Infos über die Tourist-Information: 03691 79230, info@eisenach.info

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