Grünstadt Akkordeonmusik bein „Sternstunden“-Konzert

Akkordeonist Maciej Frackiewicz in der Grünstadter Friedenskirche.
Akkordeonist Maciej Frackiewicz in der Grünstadter Friedenskirche.

Beim vierten Konzert in der Reihe „Sternstunden“ des Kulturvereins Grünstadt in der Friedenskirche beeindruckte der polnische Akkordeonist Maciej Frąckiewicz nicht zuletzt mit seinem konsequenten Bekenntnis zur Zeitgenössischen Musik.

Das Stichwort Akkordeon schiebt manchem Zeitgenossen vermutlich prompt das Bild von krachledernen Volkstanzgruppen vors innere Auge; dem Paris-Liebhaber klingen womöglich duftige Musette-Klänge oder Bachs d-Moll-Toccata im studentischen Zuschnitt am Rand der Metro-Station St. Germain ins Ohr; auch als stimmungsvolle Begleitmusik für dichtgesponnenes Seemannsgarn – dann unter der Bezeichnung „Schifferklavier“ – taugt die Quetschkommode bestens.

Nichts von alledem hatte der polnische Virtuose Maciej Frąckiewicz, der im Rahmen der „Sternstunden“-Reihe des Kulturvereins Grünstadt am Samstag in der Friedenskirche gastierte, im Notengepäck. Vielmehr zelebrierte der mittlerweile weltweit auftretende Shootingstar im dünn besiedelten Raum der rein klassisch orientierten Spielerpersönlichkeiten ganz strikt ein ebensolches Programm – ein Hochseilakt zwischen Johann Sebastian Bach und der führenden Avantgarde osteuropäischer Provenienz. Ein in Teilen schwergängiger Diskurs, der zuweilen auch die Hörgewohnheiten der Lauschenden gehörig provozierte.

Ein Genie an den Knöpfen

Wenn man ihm aber ebenso aufmerksam wie zusehends fasziniert zuhörte, diesem 1988 in der Nähe zu Belarus geborenen, in Warschau, Barcelona und Essen ausgebildeten und mittlerweile vielfach prämierten Genie an den Knöpfen, durfte man das Staunen über die Fingerakrobatik und das geniale Buchstabieren auch noch so exorbitant quirliger Laufketten rasch ad acta legen und sich dafür der ungemein facettenreichen Dramaturgie der Interpretation hingeben.

„Bevor der Morgen kommt …“ hatte Frąckiewicz seiner Werkfolge als Leitfaden mitgegeben und – als Erdung sozusagen– Teile der „Goldberg-Variationen“, BWV 988, von Johann Sebastian Bach gewählt. Wer etwa als treuer Anhänger des nicht unbedingt Gängigen in jungen Jahren deren unkonventionelle Wiedergaben durch Glenn Gould rauf- und runter gehört hatte, entdeckte im eigenwilligen Klangzauber des Tastenakkordeons und dem ganz verinnerlichten Zugriff des Künstlers mit Sicherheit eine neuerlich faszinierende Spielart. Zu drei kompakten Folgen geschnürt, zelebrierte der Künstler Aria nebst Variation I bis V, XIV und XIV sowie XVI bis XX folgten. Frąckiewiczs Lesart beinhaltete in der Tat viel von Goulds Ansatz, das Mystische, das Okkulte aus Bachs Meisterwerk an die Oberfläche zu transportieren.

Bachs „Goldberg-Variationen“

Er schuf klare Konturen, ließ die Motorik unaufhaltsam pochen; und doch war da auch die luftige Melange aus Licht-Schatten-Atempausen und allerlei Aperçus. Nie wirkte etwas aufgesetzt oder verfremdet; Bach schien ihm wohlwollend über die Schulter zu blicken, dem Künstler am Blasebalg, dessen Funktion nicht nur die Töne erst zum Klingen bringt, sondern das auch ganz für sich allein als gewichtiges Moment musicale ins Klanggeschehen einzugreifen vermag.

Zwischen den hinreißenden modellierten Bach-Folgen ließ Maciej Frąckiewicz die Avantgarde seines Heimatlandes sowie Tschechiens und Russlands Revue passieren. Dazu muss man wissen, dass dem Solisten bereits mehr als 90 zeitgenössische Kompositionen quasi auf den Leib geschrieben wurden. Und umgekehrt macht dessen Kommunikation mit den Koryphäen des Genres das Akkordeon als klassisches Instrument neuerdings zusehends salonfähig.

Leos Janácek – von ihm zu hören zwei Stücke von 1900 („Das Käuzchen schreit noch“ und „Gute Nacht“) – zählt da schon zum traditionellen Kanon. Wolfgang Jacobi, Mikhail Bronner oder auch Krzysztof Olczak mit ihren melancholisch meditativen, teils auch witzigen Originalkompositionen rangieren eher in der Kategorie Entdeckungen.

Ganz neue Musik aus dem vergangenen Jahr

Ungeheuer wirkungsvoll entfaltete Frąckiewicz das brandneue, erst 2022 uraufgeführte „Before the morning comes“ seines polnischen Landsmanns Marcin Bortnowski; ein Werk von überbordend dramatischem Potenzial; harmonisch komplex mittels der zuweilen fast schmerzlich ineinander verkeilten Flächen und kraftvoll aufbegehrenden Klangkaskaden; aber eben auch von ungeheuer sanft verebbender Lyrik, fesselnd, aufwühlend, fast verstörend. Wladislav Zolotaryovs „Wintermorgen“ aus seiner Suite Nr. 6 von 1974 schenkte daraufhin so etwas wie Befriedung nach emotionalen Aufbegehren.

Für großen Beifall gab es zum nochmaligen Genuss die „Aria“ aus BWV 988 und – ganz wunderbar zart und einfühlsam zelebriert – Dido Sterbearie aus „Dido und Aeneas“ von Henry Purcell.

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