Kaiserslautern Putin als neuer Hitler

Die diffuse Naht, die Ost- und Westeuropa seit der Ost-Erweiterung der Europäischen Union zusammenhält, wird durch die Krim-Krise fühlbarer. Der Blick auf die Ereignisse in der Ukraine lässt in deren Anrainerländern die Angst vor einer Wiedergeburt des sowjetischen Imperiums aufsteigen. Auch unter den Intellektuellen in den Nachbarländern Russlands werden die Sorgen größer.

 

 

Am größten ist die Angst in der Republik Moldau. Hier verlor man nach 1989 durch die Aggression Russlands einen Teil des Staatsgebiets an die russischsprachigen Freunde Moskaus aus der abtrünnigen Republik Transnistrien. Die Moldauer sorgen sich nicht nur um die politische, sondern auch um die eigene kulturelle Selbstbestimmung. Die Mehrheit spricht Rumänisch und begreift sich als Bollwerk gegen jeglichen russischen Kulturexpansionismus. So gab die Moldauische Akademie der Wissenschaften vor wenigen Tagen – der Zeitpunkt war wohl demonstrativ gewählt – den Plan zur Errichtung eines „Denkmals für die rumänische Sprache“ bekannt. Die Monumentalskulptur in Form von einem Dutzend nebeneinander stehender Buchseiten mit Zitaten von Schriftstellern wie dem rumänischen Nationaldichter Mihai Eminescu soll schon im August in Chisinau aufgestellt werden.

 

Auf rumänischer Seite, wo diese Nachricht für Aufsehen sorgt, hat man daraufhin als Akt der Solidarität verkündet, dass auf der demnächst in Paris stattfindenden Buchmesse Rumänien zusammen mit Moldau auftreten werde. Dort soll bei einer Podiumsdiskussion über „Integrationschancen Moldaus in die Europäische Union“ auch der moldauische Politikwissenschaftler Oleg Serebrian sprechen. Er hat sich mit Studien zur Geopolitik – auch zu Russlands Agieren in der Schwarzmeerregion – international einen Namen gemacht und ist derzeit Botschafter seines Landes in Frankreich. Anders als die aufgeheizte rumänischsprachige moldauische Presse sieht er die Krise in der Ukraine gelassener. In einem Gespräch mit dem Bukarester Blatt „Romania libera“ vertritt Serebrian die Auffassung, dass Russland derzeit nicht über die Macht und die Mittel verfüge, um auch in Richtung Rumänien oder Polen zu expandieren. Von der neuen Regierung in Kiew verspricht sich der Politologe nicht nur Rückendeckung für die von Moldau angestrebte Westbindung, sondern auch einen außenpolitischen Kurswechsel im Hinblick auf Transnistrien, das ohne die Unterstützung der Ukraine nicht lebensfähig sei.

Den alarmistischen Schlagzeilen der Bukarester Medien, die seit dem Krim-Referendum Kriegsszenarien noch stärker heraufbeschwören, versuchen prominente rumänische Intellektuelle mit nüchternen Analysen entgegenzuwirken. In der rumänischen Wochenzeitschrift „Revista 22“ kommt der Philosoph Andrei Cornea zu dem Schluss, dass Wladimir Putin mit seinem jüngsten Vorstoß in die Ukraine kläglich gescheitert sei. Die neue Regierung in Kiew zu stürzen sei ihm so wenig gelungen, wie das Land wieder an Russland zu binden. Vielmehr habe dort die russische Intervention, wenn man von der Krim absähe, die westlich orientierten Kräfte nur weiter gestärkt. Anders als „Zar“ Putin hoffte, habe sich Kiew nicht zu einer Militäraktion provozieren lassen, wohlwissend, dass die russische Antwort darauf eine Invasion sein würde – wie 2008 in Georgien oder 1968 in der Tschechoslowakei.

Dieses für das postkommunistische Bewusstsein so zentrale Datum begegnet zwar auch in den tschechischen Reaktionen auf die Krise in der Ukraine, hier spielt aber bislang das Jahr 1938 und die damals beschlossenen Annexion von Böhmen und Mähren durch Hitlerdeutschland eine wichtigere Rolle. Nachdem es im Zusammenhang mit der Krim-Krise der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg unlängst in Erinnerung gerufen hatte, beeilte sich auch der sozialdemokratische Senatsvorsitzende Milan Stech, diesen Vergleich zu ziehen – anders als der tschechische Staatspräsident Milos Zeman, der nach vielen Jahren als Parteichef die Sozialdemokraten 2007 im Streit verlassen hatte, um seine eigene Partei zu gründen: Er bevorzugt die Analogie zu 1968. Aus beiden Vergleichen versucht die tschechische Initiative „Entkommunisierung“ Kapital zu schlagen. Ihre Aktivisten haben an der Fassade des Liberecer Rathauses ein riesiges Transparent aufgehängt, das Putin in Stalin-Uniform und mit Hitlerbart zeigt. Neben der russischen Botschaft in Prag verlangte als Erste eine Vertreterin der tschechischen kommunistischen Partei, es zu entfernen.

Ein Putin-Hitler-Vergleich macht auch in Polen die Runde. Er stammt von dem angesehenen einstigen Dissidenten Adam Michnik, seit 1989 Chefredakteur der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Er werde den Verdacht nicht los, dass man im Kreml die Geschichte der nationalsozialistischen Einverleibung der Tschechoslowakei, gründlichste studiert habe. Ob Putins „zaristische Bürokraten“ auch tatsächlich die gesamten Folgen der Intervention von 1938 vor Augen haben, ist sich Michnik allerdings nicht sicher: dazu hätten sie zu wenig Verstand.

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