Ludwigshafen Abgebrüht und lustvoll verwegen

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In diesem Jahr feiert die Jazzband Underkarl ihr 25-jähriges Bestehen. Dieser Umstand hat den Freunden des zeitgenössischen Jazz ein starkes Konzerterlebnis im Ludwigshafener Haus beschert. Ihr achtes Studioalbum namens „Timetunnel“ hat das Kölner Quintett gerade herausgebracht, und daraus gab es so manche Perle zu hören.

Die Bandgeschichte begann vor 25 Jahren in Speyer. Längst ist die Formation um den Bassisten Sebastian Gramss durch ihren Ideenreichtum und ihre Abenteuerlust zu einer international beachteten Institution geworden. Alte Jazz-Klassiker hat Underkarl immer wieder unerhört bearbeitet. In dem neuen Programm führen sie diese Lust intelligent weiter. Durch einen Zeittunnel ließ das Quintett die Kompositionen rauschen. Dabei nutzte es berühmte Improvisationen als Vorlagen für Neuinterpretationen. Instrumentale Soli von Miles Davis bis Stan Getz wurden transkribiert und neu arrangiert. Das war interessantes Rohmaterial für eigene Variationen, Neu-Harmonisierungen und Bearbeitungen. Die Soli, die einst im Original gespielt wurden, wandelten sich zum eigentlichen Thema der Neu-Kompositionen. In Ludwigshafen wurden jeweils zwei oder drei Nummern zu Medleys vereint. Locker swingend begann die Reise mit einem Calypso von Sun Ra. Es waren entspannte Melodien, die sich immer weiter in vielstimmigen und auch polytonalen Verwebungen verflochten. Das tönte gleichermaßen abgebrüht und lustvoll verwegen. Keine Scheu vor krummen Tönen und Verfremdungen zeigte die Band, denn zwischen dem Atonalen und Avantgardistischen swingt es sich immer vortrefflich. Surreale Passagen, ruhevoll schwebend und sich reibende Linien ließ das Quintett ausschwingen. Auf dem ursprünglichen Instrument wurden die Soli der Klassiker nicht gespielt, dafür ertönten sie in ungewohnten Unisono-Läufen von zwei oder drei Instrumenten. Starke Registerkombinationen ergaben sich dabei, etwa im Gleichklang von Baritonsaxofon und verzerrter E-Gitarre. Überlagert wurden sie des Weiteren von polytonalen Gefügen, neuen harmonischen Schichten. Das gewann nicht selten orchestrale Klangfülle. Klug durchstrukturiert waren diese Nummern, es folgten arrangierte Passagen auf freie Improvisationen, Unisono-Passagen wurden von surrealen Klängen begleitet. Starke Klänge ergaben sich auch, weil die beiden Bläser immer wieder die Instrumente wechselten. Wenn Rudi Mahall und Lömsch Lehmann auf zwei Klarinetten vergnügt zu swingen begannen, waren Reminiszenzen an Oldtime-Jazz unverkennbar. Und wenn die beiden innig dialogisierten und danach in eine lockeren Battle übergingen, sich einander hoch steigerten, anstachelten, war das Vergnügen perfekt. Spielwitz und Ironie ist Tradition bei Underkarl. Bassklarinette, Tenor- und Baritonsaxofon gaben des Weiteren reiche Grundlage für Klangabenteuer zwischen Tradition und Aufbruch ins Freie. Dirk-Peter Kölsch spielte nicht nur das Schlagzeug, sondern ließ auch mal durchs Megafon musikalische Samplings laufen, verfremdete damit hintersinnig so manche Passage. Steve Lacy und Thelonious Monk waren zwei geniale Querköpfe des Jazz. Die beiden in einem eigenen Medley zusammen zu bringen, war Ehrensache für die Kölner. Ungewohnte, abenteuerliche Begegnungen zu ermöglichen, darin sind die fünf Meister. Liebevolle, augenzwinkernde Klassikerbearbeitungen waren dies immer wieder: ebenso klangsinnlich wie verwegen, ebenso lustvoll und virtuos, aus dem Bauch heraus wie intelligent ausgetüftelt. Die fünf sind geniale Verfremdungskünstler und Soundtüftler, die ihrem Instrument immer wieder verblüffende Sounds abgewinnen. Sebastian Gramss etwa mit Tapping-Techniken, die ebenso faszinierende Klänge ergaben wie seine akkordischen Zupftechniken. Gitarrist Frank Wingold verbiss sich immer wieder in seine bluesig wirbelnden Läufe. Modernes und Nostalgisches, Brachiales und Sensibles, Banales und kunstvoll Komplexes wurden in unentwegt erregenden Austausch gebracht. An spannenden musikalischen Kommunikationsprozessen hatten die Fünf Reichhaltiges aufzubieten. Hymnisch Aufgebäumtes, verwegen Verfremdetes, Bluessounds und Bizarrheiten: Tollkühn waren die Wechsel zwischen Süßem und Brachialem, Betörendem und Verstörendem – genau wie der Lauf der Welt.

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