Ludwigshafen „Die TSG Friesenheim liegt mir sehr am Herzen“

Herr Matschke, eine außergewöhnliche Saison geht in die Winterpause. Mit welchen drei Schlagworten würden Sie die aktuelle Zweitliga-Runde beschreiben? Matschke:

Leidenschaftlich, authentisch und intensiv. Sie enttäuschen mich. Was halten Sie von „TSG – toll, sensationell, genial“? (lacht): Das passt auch. Im Ernst: Sind Sie wirklich überrascht von der Hinrunde? Ja. Was hat Sie überrascht? Die Art und Weise, wie die Mannschaft das tägliche Training annimmt, die Bereitschaft, sich zu verbessern, die hohe Eigenmotivation. Ich bin überrascht von der Kritikfähigkeit des Teams und wie es mit Fehlern umgeht. Die Jungs sind bereit, an sich zu arbeiten. Sie sind hungrig auf Erfolg. Das gilt für die Arrivierten, die noch einmal richtig Spaß am Handball und dem Projekt bekommen haben, und für die Jungen. Was für ein Projekt? Damit meine ich die Integration der vielen jungen Spieler und die Gestaltung des Neubeginns. Am Anfang waren da viele Gespräche notwendig. Alle haben es angenommen und identifizieren sich damit. Dies ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. Wir harmonieren im Moment alle sehr gut miteinander. Wer hat Sie am meisten überrascht? Die Mannschaft. Sie ist doch das Entscheidende. Dann hat mich auch das Umfeld mit seiner Offenheit überrascht. Ich habe da regelrecht Vorfreude gespürt. Das hat es uns leicht gemacht, einen Zugang zu den Leuten sowie zum Verein zu finden. Jeder hat Lob verdient. Das Umfeld und die Medien unterstützen uns. Alle haben das Gefühl, dass hier was heranwächst. Das macht uns stolz sowie die Tatsache, dass niemand mehr über Andrej Kogut, Erik Schmidt, Stephan Just oder Thomas König spricht. Ich hatte nämlich schon die Befürchtung, dass ich mich jede Woche hätte rechtfertigen müssen, warum es noch nicht so läuft bei uns. Überraschend sind einige Ideen, die Sie haben. So haben einige Ihrer Spieler das Jugend- oder das Damentraining geleitet. Sie waren auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen, wollen im Sommer am Stadtlauf teilnehmen. Sind solche Aktionen notwendig? Es war uns ein Anliegen, dass wir als erste Mannschaft im Verein nicht autark in der Rieshalle trainieren. Es war mir vielmehr wichtig, dass nach uns auch mal die C- oder die A-Jugend trainiert. Auch legen wir großen Wert darauf, dass wir nicht die GmbH sind, sondern ein Teil der Eulen-Familie. Es wäre doch schön, wenn unsere Jugendlichen ein Trikot von Kai Dippe, Philipp Grimm oder einem anderen Spieler von uns tragen, statt eines Jerseys der Rhein-Neckar Löwen oder des THW Kiel. Ich habe den Spielern gesagt, sie sollen umgänglich und offen sein. Die Leute danken uns das. Das macht doch den Bundesliga-Handball der TSG Friesenheim aus. Wir haben keine Ordner, die die Spieler abschirmen. Wir wollen eine Identifikation mit der männlichen und weiblichen Jugend sowie den Damen. Ich habe zuletzt die Damen trainiert, dann David Schmidt und Stefan Lex. Die fiebern nun alle mit uns mit. Und wir mit ihnen. Wir sollten doch zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Welche Ideen haben Sie noch? Wir wollen eine Pfalztour machen. In Ludwigshafen gibt es viele Stadtteile mit vielen Vereinen. Traditionell herrscht da eine Rivalität. Da wollen wir uns präsentieren. Das Team dazu haben wir doch. Die Pfälzer wollen doch ernsthaft nicht auf die Idee kommen, zum SV Waldhof Mannheim, zum Karlsruher SC oder zur TSG Hoffenheim zu gehen. Sie sollten den 1. FC Kaiserslautern im Fußball und die TSG Friesenheim im Handball unterstützen. Braucht es demnach weiterer solcher Aktionen zu den umliegenden Vereinen? Denn der Ruf der TSG ist nicht gerade gut. Wir nehmen uns des Themas an. Aber ein Mundenheimer geht noch nicht gerne nach Friesenheim oder ein Assenheimer nach Hochdorf. Das ist schade und das wollen wir ändern. Dabei profitieren doch alle voneinander. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn die Pfälzer Vereine unsere Ideen annehmen würden und uns auch offen gegenübertreten. Ich verspreche, es lohnt sich. Stichwort umliegende Vereine: Mit dem TV Hochdorf gibt es eine Kooperation. Soll diese nach der Verpflichtung von Stefan Bullacher als neuem Trainer intensiviert werden? Momentan laufen Gespräche zwischen unserer Geschäftsführerin Verena Dietrich und dem TVH-Vorsitzenden Christian Deller sowie Deller und unserem Handball-Abteilungsleiter Jürgen Karl. Dabei muss man sehen, wie wir diese Verbindung mit dem Drittligisten fortführen und intensivieren können. Wichtig für mich ist, dass wir auf der Ebene der Jugend und der Junioren gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Drittliga-Team des TV Hochdorf werden wir unterstützen, wenn es im Einzelfall Sinn macht. Das hat mit Marco Sliwa und Christian Deller gut funktioniert, das wird auch mit Deller und Bullacher sehr gut klappen. Wie groß ist Ihr Anteil an der Verpflichtung von Stefan Bullacher? Damit habe ich nichts zu tun. Das war eine Sache von Christian Deller und Stefan Bullacher. Ich habe mit keinem Trainer ein Problem. Man kann mit mir absolut kooperativ zusammenarbeiten. Ist Stefan Bullacher die Ideallösung? Er kann ja mit jungen Menschen hervorragend umgehen. Er hat bewiesen, dass er mit jungen Menschen sehr gut arbeiten kann. Das wird in meinen Augen im Falle einer Kooperation eine Win-win-Situation für alle. Der TV Hochdorf will ja seinen Weg weitergehen, mit jungen Spielern zu arbeiten, sie zu fördern. Stefan Bullacher ist demnach eine gute Lösung. Die Personalplanungen laufen derzeit auf Hochtouren. Wie viele Spieler sollen zur kommenden Saison kommen? Das hängt vom Bedarf ab. Die erste Prämisse aber ist, mit dem aktuellen Kader Gespräche zu führen. Wir wollen aber schon eine zeitnahe Entscheidung von den Spielern, die eventuell den Verein verlassen möchten. Im März oder April wollen wir nicht vor verschlossenen Türen stehen, wenn wir Ersatz bräuchten. Das aber verstehen die Spieler. Wir müssen nun schauen, wer bleibt. Wie stehen die Chancen, dass Nico Büdel bleibt? Nico spielt eine gute Hinrunde. Er weiß, was er an uns hat. Unsere tolle Hinrunde ist mit seinem Namen eng verbunden. Natürlich weckt dies Begehrlichkeiten bei anderen Clubs. Wenn er die Chance hat, bei einem guten Erstligisten zu spielen, muss man ihm die Zeit zur Entscheidung einräumen. So ist das Geschäft nun mal. Es macht uns doch stolz, wenn ein guter Verein Interesse an unseren Spielern hat. Aber je öfter wir gewinnen, desto schwerer fällt es Nico hoffentlich zu gehen. Daher tut uns jeder Sieg gut. Ich würde mich jedenfalls riesig freuen, wenn er auch nächste Saison das Eulen-Trikot trägt. Kommt dann der Ludwigshafener Philipp Bauer aus Leutershausen zurück oder erst in einem Jahr, wenn dort sein Vertrag endet? Gespräche gab es ja schon. Wenn Nico Büdel geht, dann brauchen wir adäquaten Ersatz. Nico ist einer der besten Mittelmänner der Liga. Ein guter Ersatz für Nico ist wichtig für den Verein und für mich als Trainer. Denn diese Position ist sehr wichtig. Aber Philipp Bauer ist aktuell kein Thema. Er hat einen Vertrag in Leutershausen bis 2017. Zumal er jetzt aufgrund seiner Verletzung erst wenige Drittligaspiele absolviert hat. Wie sieht es mit Ihnen aus? Sie haben zwar noch einen Vertrag bis 2017, aber werden Sie vorzeitig verlängern? Momentan ist der Kader für die kommende Saison doch viel wichtiger als meine Person. Wenn der Verein zufrieden mit meiner Arbeit ist, dann wird er bestimmt auf mich zukommen. Ich will jedenfalls alles geben, weil die TSG mir sehr am Herzen liegt. Wo steht die TSG in drei Jahren? Ich tue mir schwer mit Langzeit-Prognosen. Wir haben noch viel vor. In der Abwehr spielen wir so, wie ich es mir vorstelle. Doch beim Tempogegenstoß, beim Unterzahlspiel, beim Umschaltspiel und im Angriff gibt es noch Luft nach oben. Die Spieler hören das alles nicht zum ersten Mal. Wir werden auch eine andere Abwehrvariante intensivieren. Aber das hängt immer von den Spielern ab, die ich zur Verfügung habe. Ich habe jedenfalls kein Problem damit, auch mal eine 3-2-1-Abwehr zu spielen. Die TSG ist ein Synonym für solides Wirtschaften, ein Verein, der auf junge deutsche Spieler setzt. Es wäre schön, wenn es so bleibt. Mit oder dann ohne Ben Matschke? Gerne auch mit mir, wenn der Verein dies möchte. Demnach ist die Bundesliga nicht unbedingt Ihr Ziel? Das eine schließt das andere ja nicht aus. Wenn der deutsche Handball keine guten jungen Spieler hat, wer dann? Lemgo und Gummersbach gehen nun als Erstligisten konsequent diesen Weg. Wenn die TSG Friesenheim aber andere Ziele haben sollte, die nicht mit meinen übereinstimmen, dann muss man sich zusammensetzen und sachlich drüber reden. Bisher habe ich mit jungen deutschen und entwicklungsfähigen Spielern zusammengearbeitet. Das hat mir sehr viel Spaß bereitet. Also arbeiten Sie lieber mit jungen Spielern zusammen als mit Stars? Ich kenne die andere Seite in meiner jungen Trainerkarriere noch nicht. Zudem sind ja nicht alle Spieler meiner Mannschaft jung. Ich investiere viel in die Zusammenarbeit mit den Spielern, um sie weiterzuentwickeln. Wenn ich mit diesen Spielern aufsteigen sollte und der Verein holt dann sechs Neue, wäre das Ganze doch nicht mehr authentisch. Ich will meinen Spielern gegenüber ehrlich sein. Ich kann ihnen doch nicht die ganze Zeit sagen, welches Potenzial ich in ihnen sehe und im Falle des Aufstieges dann mitteilen: „Euer Potenzial reicht leider nicht aus, such dir einen neuen Verein.“ Das ist nun wirklich nicht meine Art. Zu einem Bundesliga-Aufstieg ist es nicht so weit. Die TSG ist drei Punkte von einem Aufstiegsplatz entfernt. Käme ein möglicher Aufstieg zu früh? Gibt es denn den richtigen Zeitpunkt? Es ist doch verrückt, dass wir jetzt von Wiederaufstieg reden. Wir tun gut daran, von Spiel zu Spiel zu denken. Wir starten im neuen Jahr mit Spielen in Minden und in Aue. Da kann das Thema Wiederaufstieg ganz schnell vorüber sein. Für mich persönlich ist das ganz weit weg. Ich beschäftige mich eher mit der Personalplanung, falls Martin Slaninka länger ausfallen sollte. Pascal Kirchenbauer fehlt uns ja ohnehin schon bis zum Saisonende. Heißt das, Sie werden in der Pause einen neuen Spieler holen? Ich bin schon diesbezüglich an die Geschäftsführerin Verena Dietrich herangetreten. Wenn es möglich ist, würde ich das sehr unterstützen. Denn ich habe auch eine Verantwortung gegenüber meinen gesunden Spielern. Das ist ohnehin jetzt schon grenzwertig. Wir kompensieren unsere Verletztenmisere mit viel Leidenschaft. Das geht aber die kommenden 20 Spiele nicht so weiter, beziehungsweise es wäre fahrlässig, dies von den Spielern zu erwarten. Für welche Position besteht dann dringender Handlungsbedarf? Für den Kreis oder auf der Mittelposition? Wir schauen jetzt erst einmal, wie lange Martin ausfällt. Niko Sorda macht es auf dieser Position ja auch schon richtig gut. Deshalb geht die Tendenz eher zu einem Rückraum-Spieler. Nur muss dieser uns auch weiterbringen und in den finanziellen Rahmen passen. Platz fünf bis acht lautet das Saisonziel, sagte Kapitän Grimm nach dem Sieg in Rostock. Nur wenn man zum Jahresende hin Vierter ist, dann schaut man doch in der Tabelle nicht nach unten. Wenn die Entwicklung stimmt, dann sehe ich das nicht so. Wenn wir einstellig bleiben, wäre das super. Vieles läuft jetzt am Optimum. Wir haben aber noch viele schwere Auswärtsspiele. Meine Vorstellung von Handball und die Weiterentwicklung sind mir in dieser Saison wichtiger als eine Platzierung. Welche Vorstellung ist das? Mit der Frische und der Dynamik, die ich in meinem Team habe, ist es sicherlich der Tempohandball. Aber bei acht oder neun gesunden Spielern ist das momentan schwierig. Und Ziele ändern sich. Aber einer jungen Truppe zu sagen, sie sollen einen Spielstand verwalten, das würde schief gehen. Da fehlt den jungen Spielern einfach die Erfahrung und die dafür notwendige Qualität. Schauen wir nach vorne: 1250 Zuschauer ist der Schnitt. Vorige Runde waren es 1950. Sind Sie enttäuscht? Auch das braucht seine Zeit. Viele Zuschauer haben sich mit Thomas König oder den anderen Spielern identifiziert. Wir müssen uns nun neu beweisen. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich gerne vorangehe. Wichtig ist aber, dass ich nicht alleine bin und sie hinter mir stehen. Aber die 1700 Zuschauer an Weihnachten gegen Essen waren ein Anfang. In meiner aktiven Zeit hatten wir nur einmal so viele Zuschauer in der Zweiten Liga. Wie wollen Sie das ändern? Wir als Mannschaft wollen Nähe gegenüber der ganzen TSG zeigen. Wir wollen offen und authentisch zu den Fans und den Sponsoren sein. Wie schon erwähnt, wird in dieser Richtung ja viel geplant. Ich denke, Verena Dietrich macht einen tollen Job, da sie ein offenes Ohr in alle Richtungen hat. Wir haben Mitte Januar zum Beispiel eine Weinprobe mit unseren Sponsoren. Da freue ich mich drauf. Das scheint auch notwendig, denn bei den Sponsoren läuft es offenbar nicht ganz so reibungslos. Warum? Das ist Aufgabe der Geschäftsführung und von dort besser zu beurteilen. Wenn aber mehr Geld da gewesen wäre, dann gäbe es auch andere Erwartungen. Bei zwei Millionen Euro mehr im vergangenen Sommer wäre ich wohl kein Trainer der TSG geworden, und viele Spieler würden jetzt noch Dritte Liga spielen. Durch die aktuell sportliche Entwicklung sind unsere jungen Spieler natürlich begehrt. Deshalb wäre es schön, wenn wir durch zusätzliche Sponsoren die Mannschaft so halten könnten.

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