Neustadt Wie Lokalpolitiker die Verkehrswende gestalten wollen

Sprachen über verschiedene Mobilitätsaspekte (von links im Uhrzeigersinn): Rainer Grun-Marquardt (Grüne), Frank Luschnat (Modera
Sprachen über verschiedene Mobilitätsaspekte (von links im Uhrzeigersinn): Rainer Grun-Marquardt (Grüne), Frank Luschnat (Moderation), Matthias Frey (FDP), Pascal Bender (SPD), Christoph Bachtler (FWG) und Clemens Stahler (CDU).

Nachhaltige Mobilität: Wie kann sie in Neustadt gelingen? In einer Diskussionsrunde am Donnerstag im Casimirianum bezogen Lokalpolitiker Stellung zu Mobilitätszielen, die sich der Stadtrat selbst auferlegt hat. Den Weg dorthin beschreiben die Parteien unterschiedlich.

Knapp 35 Bürger waren der Einladung von Klimaaktion, NABU, ADFC und Green Camp gefolgt, um vor der Kommunalwahl mehr über die Positionen der bisher im Stadtrat vertretenen Parteien zu erfahren. Leitlinie war Feld vier der 2022 vom Stadtrat verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie. Dessen Ziel bis 2030: ein breites Mobilitätsangebot zu schaffen, das die Neustadter gerne nutzen.

Die Stimmung war von Anfang an locker, auch dank der schlagfertig-sympathischen Moderation von Frank Luschnat (Green Camp). Er saß mit den Lokalpolitikern in der Mitte, das Publikum kreisförmig darum („Fishbowl“-Anordnung). Nachdem Bürger Zeit hatten, sich Parteienantworten zu den verkehrspolitischen Wahlprüfsteinen auf Stellwänden durchzulesen, startete die Diskussion:

Jede im Stadtrat vertretene Fraktion hat einen Fragenkatalog zu den Mobilitätszielen in der Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt b
Jede im Stadtrat vertretene Fraktion hat einen Fragenkatalog zu den Mobilitätszielen in der Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt beantwortet. So konnten sich die Bürger vor der Diskussion einlesen.

Ihr Schwerpunkt bei der Mobilität – und wie würden Sie das umsetzen?
Der ÖPNV, sagte Christoph Bachtler (FWG), „hier erreichen wir am meisten Leute.“ Auf Hauptstrecken brauche es eine Taktverdichtung, „dafür müsste man aber richtig Geld reinstecken“. Mehreinnahmen könnten über Parkgebühren auf der Festwiese generiert werden. Matthias Frey (FDP) nannte das breitgefächerte Mobilitätsangebot, „egal ob Radwege, ÖPNV, E-Ladesäulen, MoD oder sichere Fußwege“. Mit der Firma deer liege nun ein Angebot für Carsharing in kleineren Ortsteilen vor. Ohne sichere Wege und Abstellflächen für Räder sei die Verkehrswende nicht zu machen, betonte Rainer Grun-Marquardt (Grüne). „Fahrradpolitik ist Angebotspolitik.“ Die Zuganbindung sei in Neustadt super, der Busverkehr weniger. „Dafür brauchen wir Geld.“

Pascal Bender (SPD) lag das Verkehrs- und Parkraumkonzept am Herzen. „Wir bekommen Fahrzeuge nicht völlig raus aus der Stadt, deshalb müssen wir den Verkehr leiten.“ Dabei müsse die Gesamtfläche betrachtet werden, und es koste Geld. „Ein Stück Realismus“, forderte Clemens Stahler (CDU). Die Vielfalt der Angebote sei den Christdemokraten wichtig, „aber wir dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen“.

In Reallaboren werden nachhaltige Mobilitätsideen unter wissenschaftlicher Begleitung getestet. Warum ist Neustadt weniger experimentierfreudig?
„Neustadt ist nicht Karlsruhe oder New York“, warf Grun-Marquardt ein. Für die Umnutzung von Parkflächen ließen sich beispielsweise kaum geeignete Flächen finden – unter anderem, weil „die Innenstadt von Bundesstraßen eingekreist“ ist. Die Topographie sei ein wichtiger Aspekt, sagte Bender. Verkehrslenkung müsse als Gesamtkonzept gedacht werden, und man dürfe beim Parken die Händler in der Innenstadt nicht vergessen. „Vielleicht könnte man Ideen wie die Sperrung für den Durchgangsverkehr in Wohngebieten umsetzen, aber nur im Gespräch mit Bürgern und nach langer Vorbereitung.“

Bachtler meinte, mit der Talstraßensanierung habe man quasi ein Reallabor in der Vorstadt gehabt. „Man gewöhnt sich um, aber die Sperrung hatte Auswirkungen auf Karolinen- und Sauterstraße“. Eine Verlegung der B39 sei „einfach zu schwierig“. Es habe schon Ideen gegeben, Parkflächen in der Vorstadt an die Bahnlinie zu verlegen, um den Parksuchverkehr in den Seitenstraßen zu verringern, erinnerte Bachtler. „Doch das scheitert an der Bahn.“

Er könne sich so ein Labor vorstellen, sagte Frey, aber nicht in der Kernstadt, sondern eher im Osten oder „der ein oder anderen Straße in der Vorstadt“. Man habe während Baustellen bereits gesehen, was der Verdrängungsverkehr sonst bedeute. Grun-Marquardt fielen direkt Ideen für Reallabore ein: Man könnte die Schütt und die Stangenbrunnengasse für den Durchgangsverkehr sperren, sagte er, und am Kohlplatz einen breiten Fußweg am Speyerbach anlegen. In der Vergangenheit seien solche Pläne irgendwann von der Realität eingeholt worden, merkte Stahler an. Nur weil plötzlich ein Parkverbot gelte, seien Autos ja nicht weg. „Und beim Verkehr ist es genauso, Beschwerden verschieben sich räumlich also nur.“

Wie viel Mut steckt in dem Wahlprogramm Ihrer Partei?
Die SPD zeige bei Stadtbegrünung Mut, meinte Bender. Bisherige Anträge seien aber gescheitert, „Wir müssen lösungs- statt problemorientiert da rangehen.“ Nach den Sanierungen des kleinen Kohlplatzes und der Stangenbrunnengasse gebe es dort zu wenig Grün, räumte Bachtler ein. „Das ist uns durchgegangen, das müssen wir vehementer verfolgen.“ Oft seien Bäume aber nicht zu erhalten, und für Neupflanzungen fehle nach offiziellen Vorgaben der Platz. Vertikale Gärten seien eine Alternative zu Pflanzungen.

Frey mahnte, bei der Sanierung von städtischen Gebäuden „nicht nur ein bisschen was zu tun, sondern eins nach dem anderen abzuarbeiten“ und forderte ein Investitionsprogramm. Dass die CDU auf zentrale Parkhäuser in Neustadt setzten will, ist für Stahler mutig. „Ziele sind das eine“, ergänzte er, die Politik werde aber „an dem gemessen, was tatsächlich umgesetzt wird“. Die Landesgartenschau 2027 sei schon ein „Riesenschritt“, und man dürfe die Bürger nicht überfordern. Konzepte umzusetzen statt nur Einzelmaßnahmen, forderte Grun-Marquardt und nannte Radwege-, Mobilitäts-, Parkraum-, Radverkehrs- und auch Fußverkehrskonzept als Beispiele.

Was kann Politik tun, damit sich die Gesellschaft für die Mobilitätswende öffnet?
In der heutigen Leistungsgesellschaft sei es normal, „schnell etwas zu erledigen“, sagte Bachtler. Hier ein Umdenken in Richtung Entschleunigung zu erreichen, sei eine bundesweite Aufgabe. Langfristige Effekte brauchten eine hohe Beteiligung, sagte Grun-Marquardt. „Jeder muss seinen Weg finden, nachhaltige Veränderung zu etablieren.“ Die Stadt und Initiativen machten viele Angebote, aber ein Umstieg brauche Zeit.

„Der Deutsche und sein Auto haben fast schon eine intime Beziehung“, analysierte Bender. Gegensteuern könne man über Vorbilder, wenn etwa bekannte Neustadter beim Stadtradeln mitmachten. Der Ausstoß von Treibhausgasen könnte visualisiert werden, schlug der Sozialdemokrat vor. Effekte dürften nicht zu abstrakt sein, wenn der Bürger sie umsetzen soll.

Alltagsstrecken in ländlichen Regionen seien schnell zu weit fürs Rad, meinte Stahler. „Ich habe kein Rezept für den Wandel, aber der Köder muss dem Fisch schmecken.“ Man müsse vermitteln, welche Vorteile ein Umstieg dem Bürger bringt. Überzeugen statt erziehen, plädierte auch Frey, „unterstützt von ansprechenden Aktionen über das ganze Jahr“ verteilt.

2030 sollen die Ziele aus der Nachhaltigkeitsstrategie erreicht sein. Was war dann Ihr Beitrag dazu?
Er habe bis 2030 seinen Konsum reduziert, sagte Frey. Den Individualverkehr klimaresistenter zu regeln, gelinge in Neustadt nur gemeinsam mit Bürgern. „Ich habe schon jetzt kein Auto“, sagte Grun-Marquardt, er fahre Zug und Rad und will sich bis 2030 besonders für den Radwegebau eingesetzt haben.

Die CDU werde für die finanzielle Leistungsfähigkeit bei der Umsetzung der Ziele sorgen, so Stahler. In der FWG-Fraktion lebten andere „mit Herzblut“ das Thema Mobilität, erklärte Bachtler. „Ich würde mich einbringen, indem ich denen den Rücken frei halte.“ Es sei wichtig, dass der Bürger mit den politischen Entscheidungen leben könne, sagte Bender. „Wir müssen Ziele und Nutzen klarmachen, auch bei schwierigen Themen.“

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