Heidelberg Bruckners Neunte mit dem Philharmonischen Orchester

Der frühere Generalmusikdirektor Cornelius Meister einmal wieder am Pult des Philharmonischen Orchesters Heidelberg.
Der frühere Generalmusikdirektor Cornelius Meister einmal wieder am Pult des Philharmonischen Orchesters Heidelberg.

Auf den Tag fünf Monate vor dem 200. Geburtstag von Anton Bruckner gab es in der Region die erste große Aufführung einer Sinfonie des Meisters im Bruckner-Jahr. In der Heiliggeistkirche in Heidelberg spielte das Philharmonische Orchester Heidelberg unter Cornelius Meister die Neunte.

Die Sinfonien Anton Bruckners sind keine verkappte Kirchenmusik und trotz der Bindung des oberösterreichischen Komponisten an den Katholizismus keine religiöse Musik, sondern eben sinfonische Werke in des Wortes allumfassender Bedeutung.

Bruckners Sinfonien entfalten gleichwohl in großen sakralen Räumen eine besonders starke Wirkung, die in jedem Takt spüren lässt, was das für eine Musik ist und welche Dimensionen sie eröffnet. „Seine Musik übersteigt den menschlichen Geist“, sagt der Dirigent Sir Simon Rattle über Bruckner. Das gilt ganz besonders für die unvollendete neunte Sinfonie. Sie wird fast immer als dreisätziges Fragment aufgeführt. Es war aber ein Finale geplant, zu dem es viele Skizzen gibt und noch mehr gegeben haben muss. Es war wohl nicht nur die Zeit, die Bruckner zur Vollendung der Sinfonie gefehlt hat. Wer sich die Skizzen zum Finale anschaut und sich Bruckners Ideen für den Satz vergegenwärtigt, kann zu der Einsicht kommen, dass Bruckner ahnte, dass die irdische Welt noch nicht reif war und ist für eine solche Musik. Schon die vorhandenen drei Sätze sind ja im Grunde ungeheuerlich.

Eindrucksvolle Wiedergabe

Eine in jeglicher Hinsicht eindrucksvolle Wiedergabe war nun im sechsten philharmonischen Konzert in der Heidelberger Heiliggeistkirche zu erleben, wo der frühere Generalmusikdirektor Cornelius Meister einmal wieder am Pult des blendend disponierten Philharmonischen Orchesters Heidelberg stand. Cornelius Meister gab dem Werk in gleicher Weise Weite und einen großen gesanglichen Atem wie starke innere Dynamik und klangliche Intensität.

Die großen Sätze disponierte der Dirigent, der zwischen Wiederaufnahme-Vorstellungen der Strauss-Oper „Elektra“ in Stuttgart, wo er jetzt Generalmusikdirektor ist, an seine ehemalige Wirkungsstätte zurückkehrte, ausgesprochen sinnfällig und spannungsvoll. Meister entfaltete die Partitur stets klar, klanglich genau abgestuft und mit vielen schön ausgearbeiteten Details. Zugleich war immer die universelle Dimension der Sinfonie deutlich spürbar. Das Scherzo erklang in schnellem Tempo in seiner ganzen Radikalität.

Musik aus Island

Es ist immer schwer, ein passendes Stück zu Bruckners Neunter in einem Konzert zu finden, wenn nicht als Finalersatz das Te Deum gewählt wird, was wohl Bruckner selbst angeregt hat. Der legendäre Günter Wand hat meist Schuberts Unvollendete dazu aufs Programm gesetzt. Kühn war jüngst die Konzeption der Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst, die unmittelbar nach dem Adagio die Katastrophenmusik der Drei Orchesterstücke op. 6 von Alban Berg folgen ließ. In Heidelberg war jetzt Anna Thorvaldsdóttirs „Metacosmos“ eine sehr gute Wahl.

Das Werk der isländischen Komponistin ist unkonventionell, aber alles anders als sperrig. Es ist klangbetont und faszinierend in seiner suggestiven, raumgreifenden Tiefe und Farbkraft. Es wendet sich auch in weite Fernen, in die des Alls und spürt dem metaphorischen Sturz in ein schwarzes Loch nach. Doch im Kern geht es der Komponistin um die Wechselwirkung musikalischer Kräfte, um das Verhältnis von Detail und Ganzem. Damit ist sie in ihrer Ästhetik eigentlich ganz nahe bei Bruckner – und so war das 15-minütige Werk von Anna Thorvaldsdóttir aus dem Jahr 2017 zu Beginn ein gutes Zeugnis für die Wirkung, die Bruckners Musik gewollt oder zufällig in der Musik des 21. Jahrhunderts weiterhin spielt.

Heuer ist ja ein Bruckner-Jahr, denn vor 200 Jahren wurde der Meister am 4. September 1824 im Schulhaus in Ansfelden bei Linz geboren.

Mehr Bruckner im Dom

Überall, aber eben auch in der Region gibt es deshalb im Lauf des Jahres noch viel Bruckner. Auch die neunte Sinfonie. Sie wird im Rahmen der Orgelkonzerte im Speyerer Dom fünf Tage vor dem 200. Geburtstag des Jubilars in einer Orgelfassung zu hören sein. Auch vier weitere Sinfonien werden in Orgelversionen im Dom erklingen. Und die vierte Sinfonie gibt es auch orchestral mit der Deutschen Staatsphilharmonie.

Dieses Konzert ist dann Teil der Internationalen Musiktagen Dom zu Speyer im Herbst, die ganz Bruckner gewidmet sind. Im Eröffnungskonzert des Zyklus erklingt zum Beispiel die d-moll-Messe, sein erstes großes Werk, aus dem der Meister dann im Adagio seiner Neunten einige Motive zitiert hat. Und es wird Bruckner seinem Zeitgenossen und „Widersacher“ Brahms gegenübergestellt. Von Brahms stammt ja der hämische Ausspruch: „Bei Bruckner handelt es sich gar nicht um Werke, sondern um einen Schwindel, der in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein wird. Bruckners Werke unsterblich, oder vielleicht sogar Sinfonien? Es ist zum Lachen.“ Nun, da irrte Brahms wohl. Immerhin verstanden sich die beiden bei ihren kulinarischen Vorlieben: Geselchtes mit Knödeln und Kraut.

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