Meinung Demonstrationen: Die Deutschen wehren sich!

Vielerorts wurde in Deutschland gegen rechts demonstriert, hier in Stuttgart am Samstag.
Vielerorts wurde in Deutschland gegen rechts demonstriert, hier in Stuttgart am Samstag.

Bei aller Freude über die Proteste, die Politik darf das Problem des immer stärker werdenden Rechtsextremismus in diesem Land nicht bei den Demonstrationen abladen.

Man könnte Björn Höcke, der ja nicht nur Fraktionsvorsitzender der AfD im thüringischen Landtag ist, sondern zugleich auch als rechtsextremer Chefideologe der Partei gerne rhetorisch auf den Spuren der Nazis wandelt, quasi mit seinen eigenen Waffen schlagen und ihm zurufen: „Deutschland erwacht“. Doch die in Neonazikreisen immer noch sehr beliebte Parole aus dem – heute verbotenen – 1920 entstandenen „Sturmlied“ von Dietrich Eckart ist dann vielleicht doch nicht die richtige Wortwahl, um zu beschreiben, was gerade auf unseren Straßen passiert.

Hunderttausende haben am vergangenen Wochenende gegen die AfD und ihre ebenso rassistischen wie menschenverachtenden Pläne zur „Remigration“ demonstriert. Und die rechten Hetzer an der Spitze der AfD müssen mit Erschrecken feststellen: Die Straße gehört uns ja gar nicht alleine! Jetzt aber, wo die „Süddeutsche“ zurecht schreiben kann, „Die Bundesrepublik steht auf“, wird man nervös in den Kreisen der Populisten. Höcke, seit Jahren ein Meister der Fake-News, faselt von manipulierten Fotos – und blamiert sich damit einmal mehr. Und natürlich ist es Konsens bei der Partei, dass diese Demonstrationen nicht nur von der links-grünen Bundesregierung gesteuert seien, sondern zudem noch von den Medien angefeuert würden.

Aufgeschreckte Deutsche

Doch die Wahrheit ist eine andere. Offensichtlich hat es viele Deutsche aufgeschreckt, als sie zum erneuten mal in die rechtsradikalen Abgründe dieser Partei sehen mussten im Zusammenhang mit jener widerwärtigen „Remigrations“-Konferenz. Es ist zwar nicht so, dass man dies nicht schon vorher hätte wissen können, aber besser spät als nie. Um es in einem Bild zu sagen: Jahrelang galt die AfD vielen wohl nur als hässlicher Pickel, der das schöne Gesicht unserer Demokratie verunziert. Jetzt haben sie verstanden: Diese Partei ist das Krebsgeschwür unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Doch bei aller Zustimmung für diese Protestbewegung – und Lob kommt ja von ganz oben, vom Bundespräsidenten wie vom Bundeskanzler –, die Politik sollte nicht den Fehler begehen, das Problem eines immer stärker werdenden Rechtsextremismus in diesem Land bei den Demonstrationen abzuladen. Vor allem die Bundesregierung sollte sich fragen, warum jemand aus Protest eine rechtsextreme Partei wählt, denn der ist anders als der überzeugte Nazi vielleicht noch nicht verloren für die Demokratie. Man macht es sich auf jeden Fall zu einfach, wenn man jeden potenziellen AfD-Wähler in die Nazi-Schublade steckt.

Demokratie nicht selbstverständlich

Damit aus diesen Protesten eine pro-demokratische Bewegung wird, muss es zudem gelingen, die bürgerliche Mitte mitzunehmen und nicht abzuschrecken. Aktuell sind diese Demonstrationen extrem heterogen in Bezug auf ihre Teilnehmer, manche bilden vielleicht einen gesellschaftlichen Querschnitt aller Demokraten in diesem Land ab, andere werden dominiert von linken Gruppierungen, über deren Demokratieverständnis man durchaus geteilter Meinung sein kann.

Trotzdem erleben wir gerade ein bewegtes Land, und das ist gut so. Die Menschen haben verstanden, dass in Krisenzeiten auch das, was sie für selbstverständlich erachtet haben, genau das nicht mehr ist: unsere Demokratie.

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