Meinung FDP-Chef Lindner wandelt auf einem schmalen Grat

Unangefochten der Spitze der Partei: FDP-Chef Christian Lindner.
Unangefochten der Spitze der Partei: FDP-Chef Christian Lindner.

Christian Lindner beherrscht die Kunst, seine Anhänger zu begeistern, ohne zum Koalitionsbruch anzustiften.

Es gibt ein böses Wort über die FDP, das erklärungsbedürftig ist: Suppenkasperpartei. Das Wort nimmt Bezug auf eine Figur aus dem Kinderbuch „Struwwelpeter“. Der Junge, der Suppenkasper genannt wird, weigert sich, seine Suppe zu essen, und verhungert innerhalb weniger Tage. Es sind nicht die Freunde der FDP, die diese holzschnittartige Analogie streuen, versehen mit der treuherzigen Warnung, die FDP schade sich mit ihrer permanenten Verweigerungshaltung am Ende ja doch nur selbst.

Es fällt nicht schwer, die Themen aufzuzählen, bei denen sich die FDP in der Koalition wie der Suppenkasper aufführt. Sie wehrt sich gegen die Ausweitung des Sozialstaates, sie hält die Segnungen der abzugsfreien Rente mit 63 in Zeiten des Fachkräftemangels für ökonomisch falsch, sie bekämpft jeden Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse und kann nicht verstehen, dass es noch immer für einen Teil der Gesellschaft den Solidaritätszuschlag gibt.

Die Mahnungen sind diskussionswürdig

Damit steht die FDP quer zur Meinung ihrer Koalitionspartner. Allerdings gibt es auch dort Sorgen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands. Sich Gedanken über Maßnahmen zur Beschleunigung einer „Wirtschaftswende“ zu machen, ist nicht ehrenrührig. Die Mahnungen der FDP sind daher zumindest diskussionswürdig, sie in Bausch und Bogen zu verdammen, wäre falsch.

Die Partei sieht sich als Anwalt derer, die auf der linken Seite der Koalition die wirtschaftliche Vernunft vermissen und den Hang zu einer Politik auf Pump ablehnen. Den Widerstand und Widerspruch der anderen Ampel-Parteien hat FDP-Chef Christian Lindner einkalkuliert, bewusst benutzt er die Wende-Rhetorik von 1982, als die FDP die Koalition mit der SPD verließ und sich an die Seite von CDU und CSU stellte.

Die Basis erwartet Ergebnisse

Doch Lindner belässt es in seiner Rede bei wenigen Sticheleien gegen Rot-Grün. Er weiß um die Unzufriedenheit der liberalen Basis und des überschaubaren Wählerpotenzials. Sie erwarten von der FDP vor allem Ergebnisse auf dem Feld der Ökonomie. Lindner muss glaubhaft verdeutlichen, dass die FDP möglichst viele Elemente ihrer Wirtschaftswende auch durchsetzen will. Was eben nur in einer Regierungskoalition gelingt, nicht in der Opposition oder gar außerhalb des Parlaments. Ein Bruch der Ampel wäre das Ende aller Träume. Es ist also ein schmaler Grat, auf dem der Parteichef balanciert.

Nun hat die FDP auf ihrem Parteitag leidenschaftlich für ihre Grundsätze gekämpft. Alle hoffen nun, dass die Partei den einen oder anderen Punkt durchsetzen kann, der ihr dann gutgeschrieben wird. Die Bürger erwarten von einer Koalition aber auch die Bereitschaft zum Kompromiss, um die Handlungsfähigkeit der Regierung zu gewährleisten. Deshalb muss die FDP klar abwägen: Wie weit spannt sie den Bogen, wo gibt sie klein bei? Gleiches gilt für Grüne und SPD. Und für alle gilt: Politik hat die Aufgabe, Ungerechtigkeit zu beseitigen, aber nicht, die Gesellschaft zu spalten.

Deshalb sollten die drei Ampel-Partner konstruktive Ideen gegen die Wachstumsschwäche entwickeln, anstatt rechthaberisch im Klein-Klein einen Konkurrenzkampf auszufechten. Mit Suppenkasper-Politik ist kein Staat zu machen.

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