Politik Na endlich

Wenn die Parteimitglieder es denn wollen, ließ Labour-Chef Jeremy Corbyn gestern überraschend und zur Freude vieler Genossen verlauten, werde er natürlich ein zweites Referendum über den Brexit unterstützen. Na endlich. Bisher hatte Corbyn, der als euroskeptisch gilt, es immer vermieden, sich für eine erneute Volksabstimmung über den EU-Austritt auszusprechen. Allenfalls als eine von mehreren Möglichkeiten wollte er sie zulassen, zog aber Neuwahlen vor. Jetzt wurde der Druck zu groß, und der Labour-Chef musste seine Position modifizieren. Gestern hat in Liverpool der viertägige Parteitag von Labour begonnen. Mehr als 120 Ortsvereine haben Anträge eingereicht, um über ein zweites Referendum zu debattieren. Es wird erwartet, dass die Delegierten die Parteiführung anweisen, die „People`s Vote“, eine Volksabstimmung über den Brexit-Deal, zu unterstützen. Labour wird immer mehr zu einer Partei der „Remainer“. Im Referendum 2016 hatten sich noch 40 Prozent der Labour-Wähler für ein Verlassen der EU ausgesprochen. Jetzt erklären 90 Prozent der Labour-Mitglieder in einer Umfrage, in der EU bleiben zu wollen, und 86 Prozent verlangen ein letztes Wort über den Brexit-Deal in einem erneuten Referendum. Auch im Rest der Bevölkerung wird die Skepsis gegenüber dem Austritt größer. 47 Prozent der Briten denken, dass es falsch sei, die EU zu verlassen, gegenüber 40 Prozent, die es für richtig halten – die bisher größte Kluft zwischen den Lagern der „Remainer“ und „Leaver“. Eine weitere Umfrage fand heraus, dass Labour rund 1,5 Millionen zusätzliche Stimmen einfahren könnte, falls die Partei ein zweites Referendum unterstützt. Das würde den Gewinn von 66 zusätzlichen Mandaten bedeuten – und damit eine absolute Mehrheit im Unterhaus. Jeremy Corbyn will den Parteitag nutzen, um Labour als Regierung im Wartestand zu präsentieren. Er präsentierte am Sonntag eine neue politische Initiative. In Betrieben von mehr als 250 Mitarbeitern soll ein Drittel der Vorstandssitze für Arbeiter reserviert werden, um ein Gegengewicht zur „rücksichtslosen Unternehmens-Kultur“ zu schaffen, die zu ausbeuterischen Praktiken und astronomischen Gehältern für Bosse geführt habe. Ein geschickter Schachzug von Labour. Premierministerin Theresa May hatte einst ähnliche Vorschläge gemacht, sie dann aber unter Druck aus der Wirtschaft zurückgezogen.

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