Sport Sie geben den Kurs vor

Deutschland und Frankreich kommt bei der Fußball-Europameisterschaft die Bürde der Turnierfavoriten zu. Seit den Anschlägen von Paris scheint das Verhältnis der beiden Fußball-Nationen entspannter denn je. Sportlich plagt beide Teams das Problem, in der Abwehr improvisieren zu müssen.

Frankreich gibt sich alle Mühe, ein guter EM-Gastgeber zu sein. Aber hinter dem Lächeln, mit dem die Besucher des Turniers willkommen geheißen werden, verbergen sich Sorgenfalten. Die jungen Menschen begehren auf, weil sie keine Arbeit finden. Die, die Arbeit haben, sorgen sich um ihre Zukunft, weil das von Präsident François Hollande lancierte Arbeitsmarktgesetz ihre Rechte einschränkt – und lassen sich von ihren Gewerkschaften auf die Barrikaden schicken. Es wird gestreikt. Und so fällt das bunte Fußball-Volk in ein Land ein, das mit einem sportlichen Triumph über den Rest Europas aufatmen könnte. Immerhin, die Ressentiments, die das 66-Millionen-Land gegen seine Kicker über viele Jahre pflegte, seit es den Eklat bei der Weltmeisterschaft in Südafrika gab, als Spieler gegen Trainer Raymond Domenech offen revoltierten, sind auf Eis gelegt. Eine neue Generation soll eine neue Liebe entflammen lassen. Das Team um Juve-Star Paul Pogba und Atletico-Stürmer Antoine Griezmann hat Vorschusslorbeeren erhalten. Und am Freitagabend im Eröffnungsspiel im Stade de France mit dem 2:1 über harmlose Rumänien auch bestätigt, dabei aber durchaus noch Luft nach oben gelassen. Eine Mannschaft auf Titelmission für ihr angeschlagenes Land? Das Schicksal hat der Equipe Tricolore eine solche Rolle zugespielt. Ausgesucht haben sich das nicht. Da bei den Anschlägen von Paris am 13. November vergangenen Jahres auch die Cousine von Nationalspieler Lassana Diarra (31), der gegen Deutschland auf dem Platz stand, verstarb, war eine unmittelbare Betroffenheit vorhanden. Das Turnier verpasst der Mittelfeldspieler von Olympique Marseille allerdings wegen Knieproblemen. Als Gastgeber und Weltmeister kommen „La France“ und „La Mannschaft“ die Bürde der Turnierfavoriten zu. Das Verhältnis der beiden Fußball-Nationen scheint entspannter denn je. Die Nacht von Paris ist nicht vergessen, als die französischen Spieler gemeinsam mit den deutschen in den Katakomben des Stadions in den Stunden des Wartens ausharrten aus Solidarität und den Gegnern auch anboten, mit ihnen zu ihrer Akademie ins nahe gelegene Clairefontaine zu fahren. Der gegenseitige Respekt ist riesengroß. Beide haben sie, wenn überhaupt, in der Abwehr Probleme. Für die Nachbarn gilt auch, dass sie nach den vergangenen zwei Jahren gar nicht so genau wissen, wo sie stehen. Das Team von Frankreich-Coach Didier Deschamps – der Weltmeister-Kapitän von 1998 – nicht, weil es als Gastgeber nur Testspiele bestritt. Die allerdings mit großem Erfolg. Und die deutsche Mannschaft, weil sie seit der WM in Brasilien viel hat improvisieren müssen und es ein großes Kommen und Gehen gab. Schließlich teilen die Teams das Problem, hinter einer knackigen Offensive in der Abwehr improvisieren zu müssen. Deschamps fehlen Raphael Varane (Real Madrid) und Jeremy Mathieu (FC Barcelona). Störfeuer gab es zudem in Folge der Nichtberücksichtigung von Stürmer Karim Benzema, dem Champions-League-Sieger mit Real Madrid, in Folge eines Erpressungsskandals. Es sind Parallelen zur politischen Lage, denn die Länder im Herzen Europas sind diejenigen, die den Kurs vorgeben – nolens volens. Die Franzosen teilen zwar die Angst vieler, von der starken Kanzlerin Angela Merkel bevormundet zu werden, bringen ihre Bedenken aber wesentlich wohlerzogener vor als manch andere. Die Deutschen blicken seit den Anschlägen in Paris wieder mit viel mehr Interesse über die Grenze. Und stellen fest: Die Gräben früherer Zeiten sind inzwischen fast vollständig überwuchert worden. Junge Deutsche und Franzosen gehen sehr vorbehaltlos miteinander um. Als die deutsche Elf ihr obligatorisches öffentliches Training gleich nach der Ankunft am vergangenen Dienstag in Évian-les-Bains abhielt, war die Begeisterung für „la Mannschaft“, wie im Ort alle sagen, riesig. „Wer Sinn für Geschichte hat“, meinte der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), Reinhard Grindel, der habe es sicher als etwas Besonderes empfunden, „dass die französischen Kinder die Namen der deutschen Spieler skandierten“. Französische Kinder wohnten sogar der ersten Pressekonferenz bei. Die 36 deutschen und französischen Gewinner eines Wettbewerbs des Deutsch-Französischen Jugendwerks hatten die Ehre. Just zum Turnierstart hat Grindel auch eine 2007 fixierte Partnerschaft des DFB mit der Federation Francaise Football (FFF) in Erinnerung gerufen. Dabei gehe es vor allem um Jugendprojekte und den Frauen- und Mädchenfußball. Man tausche sich aus, „um voneinander zu lernen“, sagte Grindel. Und das sei besser als wenn jeder alleine vor sich hinwurstelt.

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