Wissen Internet: Wie Autokraten die Zugänge kontrollieren

Autokratische Systeme tendieren dazu, in für sie kritischen Lagen das Internet für ihre Bürger zu sperren.
Autokratische Systeme tendieren dazu, in für sie kritischen Lagen das Internet für ihre Bürger zu sperren.

Wenn von einer staatlichen Überwachung des Internets die Rede ist, denken wir zunächst an die Manipulation oder Zensur digitaler Informationen. Autokratische Staaten können die Überwachung des Internets jedoch auf einer viel tieferen Ebene erreichen: indem sie die Netzwerkinfrastruktur ihres Landes kontrollieren, durch die alle Daten fließen.

Ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam unter Leitung der Universität Konstanz hat weltweit die Besitzverhältnisse von Netzwerkinfrastrukturen in demokratischen und nicht-demokratischen Staaten kartiert. „Um den digitalen Datenverkehr zu überwachen, ist es entscheidend, die ,Verkehrswege’ des Internets zu besitzen. In der Praxis geschieht dies, indem der Staat die Internet-Provider kontrolliert“, berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Das Forschungsteam aus Deutschland und den USA ermittelte, wie sich die Internet-Infrastruktur in demokratischen und autokratischen Staaten unterscheidet. Mit der Kartierung der internationalen Besitzverhältnisse von Internet-Providern sei eine Art „Atlas der Internetüberwachung“ entstanden. Dabei zeichnen sich charakteristische Muster ab: In autokratischen Staaten sind einflussreichere Internet-Provider überwiegend in staatlicher Hand, in Demokratien sind sie hingegen größtenteils privatisiert. Und: Wenn Autokratien auf ausländische Internetprovider zurückgreifen, dann stammen diese in aller Regel aus ebenfalls autokratischen Staaten.

In Demokratien Netzwerke meist bei privaten Providern

Der große Beitrag der Studie liege in der Vermessung sogenannter Transit-Netzwerke, die den Datenverkehr von anderen Netzwerken weiterleiten. Die Forschenden untersuchten sowohl die staatliche Kontrolle von individuellen Internetzugängen als auch die Einflussnahme auf diese Transit-Netzwerke. „Da Transit-Netzwerke für die gewöhnlichen Nutzerinnen und Nutzer unsichtbar sind, bieten sie Möglichkeiten für staatliche Überwachung und Zensur, ohne ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein“, erläutert die Konstanzer Politikwissenschaftlerin Eda Keremoglu.

Die Auswertungen zeigten, dass in autokratischen Staaten ein signifikant höherer Anteil des Datenverkehrs durch Transit-Netzwerke in staatlichem Besitz geleitet werde. In demokratischen Ländern sei dies umgekehrt: „Hier sind die einflussreichen Transit-Netzwerke mehrheitlich im Besitz von privaten Internet-Providern“, berichten sie.

Die Dienstleistungen von Internet-Providern erstreckten sich häufig über Landesgrenzen hinaus, viele von ihnen operierten international. Es sei somit nicht ungewöhnlich, dass ausländische Firmen einen signifikanten Anteil der Provider in einem Land ausmachten, die den Anschluss einzelner Haushalte ans Internet – also die „letzte Meile“ – übernehmen. Das gelte gleichermaßen für demokratische als auch für autokratisch regierte Staaten. In der Analyse dieser Zugangsnetzwerke zeichne sich jedoch ein wesentlicher charakteristischer Unterschied ab: „Einflussreiche ausländische Internetprovider, die in Autokratien im Einsatz sind, stammen fast durchgehend aus anderen autokratischen Staaten. Dies zeigt, dass die internationale Tätigkeit von Internetanbietern einer politischen Logik folgt“, schlussfolgert der Konstanzer Politikwissenschaftler Nils Weidmann.

Anonymität und Datenschutz umgangen

Die Forscherinnen und Forscher aus USA und Deutschland sprechen von „erkennbaren Clustern der technologischen Kooperation zwischen nicht-demokratischen Staaten“. Dadurch könnten freiheitlichere Standards in Privatsphäre, Anonymität und Datenschutz umgangen werden; selbst in der länderübergreifenden Zusammenarbeit werde das autokratische Modell zementiert.

Das Team unter Leitung der Universität Konstanz weist darauf hin, dass „die Internetüberwachung in autokratischen Ländern vermutlich sogar noch umfassender ist, als die Studie ohnehin schon aufzeigt“. Zwar biete die staatliche Inbesitznahme von Internet-Providern ein sehr direktes Mittel, um den Datenfluss zu kontrollieren. Aber dabei handele es sich nicht um die einzige Methode. Auch private Internet-Provider könnten vom Staat unter Druck gesetzt werden, was Autokratien eine indirekte Möglichkeit eröffne, um auf den Datenverkehr Einfluss zu nehmen.

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