Flutkatastrophe „Die Angst schwingt überall im Tal mit“ – Ahrtal-Bürgermeister über den Wiederaufbau

Das Zentrum von Altenahr im Juli 2021 ...
Das Zentrum von Altenahr im Juli 2021 ...

Interview: Die Mutter von Dominik Gieler (CDU) kam in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ums Leben. Er selbst war zu dieser Zeit als Ortsbürgermeister in Rech im Ahrtal im Einsatz. Inzwischen ist er Verbandsbürgermeister von Altenahr. Karin Dauscher sprach mit ihm über den Wiederaufbau und über Fehler, die nicht mehr passieren dürfen.

Herr Gieler, zwei Jahre nach der Flutkatastrophe empfangen Sie uns in einem Container als Rathaus. Ist das noch Provisorium oder neue Normalität?
Sowohl als auch. Wir haben eine Leichtbauhalle errichtet und sind in einem Hotel untergekommen. Aber wir platzen aus allen Nähten. Ein Anbau hier ist schwierig, weil die Stromversorgung an die Kapazitätsgrenze stößt. Wir wollen natürlich den Wiederaufbau unten am Rathaus voranbringen. Aber in den nächsten vier Jahren werden wir sicher noch nicht umziehen, befürchte ich.

Manche Häuser sind herausgeputzt, andere stehen da wie ein Mahnmal. Was macht es den Eignern schwer?
Die Gründe sind so vielseitig wie das Leben selbst. Ich weiß von Eigentümern, die zwischenzeitlich verstorben sind und deren Hinterbliebene ums Erbe streiten. Manche haben die Kraft nicht, manche können sich nicht entscheiden, ob sie aufbauen wollen und wenn ja, wie. Manche hängen im Antragswesen fest, weil sie etwas umgestalten möchten oder Streit mit den Versicherungen haben.

An dieser Stelle finden Sie ein Video via Glomex.

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Wir haben gerade Leute vom Helferstab getroffen, die erneut von Haus zu Haus gehen. Ist das der richtige Weg?
Ja. Den Helferstab, die aufsuchende Hilfe finde ich ein wichtiges Instrument, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, um die Hilfe anzubieten. Das nutzen auch einige. Manche möchten keine Hilfe von staatlicher Seite. Prinzipiell finde ich es gut, dass es neben den Infopoints, wo auch die Hilfe der Förderbank ISB angeboten wird, auf die Menschen zugegangen wird.

Bund und Länder haben einen Aufbaufonds über 30 Milliarden Euro aufgelegt. Geld alleine dürfte nicht das Problem sein, oder?
Ja, der Wiederaufbaufonds ist schnell entstanden, und man hat sich am Oder-Hochwasser orientiert. Letzten Endes ist das das Problem. Das eine war ein Hochwasser, das andere ist eine Flut. Wir haben Bereiche, in denen dürfen wir nicht mehr aufbauen, wir haben Bereiche, da müssen wir anders aufbauen. Die Erfahrung zeigt: Überall dort, wo man den Wiederaufbau eins zu eins bewerkstelligen möchte, ist es relativ einfach, an Geld zu kommen. Bei allem, wo man vom Vorherigen abweichen möchte oder muss, wird es kompliziert.

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Viele Häuser werden wieder nah am Fluss aufgebaut. Wie groß ist die Angst vor dem nächsten Hochwasser?
Die Angst ist nicht zu unterschätzen. Ich persönlich habe immer die Sorge: Wann kommt das nächste Hochwasser? Fährt man in Urlaub, fährt man nicht in Urlaub? Die Angst schwingt überall im Tal mit. Wann kriegen wir noch einmal so ein Ereignis? Wird es schlimmer, weniger schlimm? Alle Akteure versuchen, das nächste Hochwasser abzumildern. Wir versuchen, neue Brücken so zu bauen, dass sie nicht mehr aufstauend sind und einen größeren Durchfluss haben. Wir müssen positiv in die Zukunft schauen. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind.

Die Ahr soll mehr Platz bekommen.
Die Kreisverwaltung hat das Wiederherstellungskonzept der Ahr vorgestellt, das soll dem Fluss mehr Platz und mehr Retentionsfläche geben. Wir reden bei den Flächen aber zu 90 Prozent von Privateigentum. Ohne das Einverständnis der Eigentümer kann das Konzept nicht umgesetzt werden, können die Uferböschungen nicht abgeflacht werden. Deswegen sind da noch viele Gespräche nötig.

Der Tourismus läuft wieder an. Kommen die Menschen, um sich zu gruseln oder um sich zu erholen?
Das müssen Sie die Menschen fragen. Unsere Wanderwege sind unberührt, die laufen über die Höhe. Beim Ahrsteig haben wir Ausweichrouten. Von daher kann man über den Rotweinwanderweg und den Ahrsteig gehen und die Natur, die Weinberge genießen. Mountainbiken ist möglich, Fahrradfahren bedingt. Den Radweg haben wir von Ahrbrück bis Blankenheim mit einer kurzen Unterbrechung in Schuld wieder komplett hergestellt und arbeiten an Ausweichrouten. Wenn man auf die Orte blickt, dann sieht man die eine oder andere Baustelle.

Die Aufarbeitung der Katastrophe im Landtag hat zu zwei Rücktritten geführt. Erwarten Sie eine Entschuldigung von Regierungschefin Dreyer?
Nein. Nach zwei Jahren muss man sich auch nicht mehr entschuldigen.

Der Landtagspräsident hat sich 30 Jahre nach der Flugtags-Katastrophe von Ramstein entschuldigt…
Ja, gut. Aber irgendwann muss man auch den Zeitpunkt finden. Es ist zu lange her jetzt. Man hat Fehler gemacht. Ich glaube, das ist allen bewusst. Das wichtigste, worum es mir geht, dass man aus Fehlern lernt und diese künftig nicht noch einmal macht. Dann entbehrt es auch einer Entschuldigung aus meiner Sicht.

Wie blicken Sie auf die politische Aufarbeitung im Landtag in Mainz?
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich alles, was rund um den Untersuchungsausschuss gegangen ist, überhaupt nicht verfolgt habe. Letzten Endes will ich unser Tal voranbringen. Wir haben hier so viel Arbeit. Sich da mit dem U-Ausschuss zu befassen, können andere machen.

Es laufen Ermittlungen unter anderem gegen den Ex-Landrat. Warten die Hinterbliebenen auf Gerechtigkeit?
(Zögert lange). Ich denke, der eine oder andere wartet darauf. Ich selbst nicht. Der Landrat ist nicht mehr im Amt und trägt auch keine Verantwortung mehr.

Welche Fehler dürfen sich nicht wiederholen?
Die Warnung ist ein Thema. Was nicht mehr passieren darf, ist der Funkausfall und dass die Telefonketten nicht funktionieren. Das haben wir vor Ort gelernt: Wir stehen in ständiger Verbindung miteinander. Was ich mir auch wünschen würde, ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr, THW, Polizei, Feuerwehr und den Hilfsorganisationen, den Rettungsdiensten, für den Katastrophenfall trainiert wird. Jeder für sich hat gute Arbeit gemacht, aber die Zusammenarbeit war ab und an problematisch.

Sie waren in Rech in der Flutnacht im Einsatz, haben Ihre Mutter verloren. Wie begehen Sie diesen zweiten Jahrestag am 14. Juli?
Ich gedenke diesem Tag in der Form, dass ich das Vergangene Revue passieren lasse und ansonsten mache ich das mit mir selber aus.

Zur Person

Dominik Gieler (CDU) ist seit Juni 2022 Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenahr. Der 39-jährige Diplom-Verwaltungswirt war während der Flutkatastrophe als Ortsbürgermeister von Rech im Einsatz. Die einzige Tote dort war seine Mutter, deren Haus einstürzte. Gieler ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

... und im Juli 2022. Die Wunde im Stadtbild heilt nur langsam.
... und im Juli 2022. Die Wunde im Stadtbild heilt nur langsam.
D. Gieler
D. Gieler
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