Kultur Allein unter Tätern

Nachts im Museum: der Schauplatz der „Elektra“-Produktion.
Nachts im Museum: der Schauplatz der »Elektra«-Produktion.

Oper als Psychothriller: Das Badische Staatstheater in Karlsruhe präsentiert als erste Musiktheater-Premiere im Jahr 2019 „Elektra“ von Richard Strauss. Die Inszenierung von Keith Warner ist eine Koproduktion mit den Opernhäusern in San Francisco und Prag. Und die Premiere in Karlsruhe hatte unter der Leitung von Generalmusikdirektor Justin Brown am Pult der Badischen Staatskapelle vor allem eine Gewinnerin: die sensationelle Rachel Nicholls in der Titelpartie.

Es gibt Zeiten, die gebären Kunst. Die erzwingen den künstlerischen Ausdruck dessen, was ohnehin omnipräsent ist. Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war da besonders produktiv, in allen Kunstrichtungen. Sigmund Freud hatte gerade das Unterbewusstsein des Menschen sowie das Hysterische in der Psyche der Frau entdeckt. Die Musik dazu hat Richard Strauss geschrieben. „Salome“ und „Elektra“, die beiden Opern, mit denen er erstmals wirklich Erfolge feiern konnte, könnten auch das akustische Begleitmaterial zu Freud-Vorlesungen sein. Wobei: Wer den Schrecken des Unterbewusstseins wirklich erleben möchte, der kann getrost auf Freud verzichten. Strauss reicht da mit seiner „Elektra“ absolut aus. Ein Stahlbad. Für die Nerven. Für die Ohren. Und für die Augen. Die Regie von Keith Warner macht aus der Oper von Richard Strauss einen Psychothriller. Eine Familientragödie um Missbrauch und Inzest. Im Mittelpunkt, natürlich, die Titelfigur. Rachel Nicholls ist als Elektra die Sensation dieses Abends. Eine zierliche Person mit einer Stimme, die ins Mark schießt. Eine Bühnenpersönlichkeit, die sprachlos macht. Und sie steht die eindreiviertel Stunden auf der Bühne mühelos durch. Singt mit einer Stimme, die immer präsent ist und keine Angst hat vor dem Riesenorchester, das da im Graben tobt und wütet. Ein weidwundes Tier, eine traumatisierte junge Frau, die Schreckliches erlebt hat und an der Aufarbeitung des Geschehenen letztlich zerbricht. Diese Elektra ist das Opfer quasi einer ganzen Sippe, missbraucht vom Vater, den sie im inzestuösen Verkehr mit dem Bruder zu ersetzen sucht. Vergeblich, denn jener Mann, der ihr Gewalt angetan hat, er verfolgt sie lange über seinen Tod hinaus. Erscheint ihr als blutige Vision. Und Elektra lebt nur für die Rache. Aber nicht für den Mord am Vater, sondern Rache für das, was ihr angetan wurde. Erst im letzten Bild, wenn Elektra unter der Last des Vergangenen zusammenbricht, wenn ihr physisches und psychisches Leiden tödlich endet, erfahren wir, was wirklich geschehen ist. Es gab keinen Mord am Vater Agamemnon. Der Kinderschänder hat sich selbst gerichtet. In der Badewanne sitzend, mit einem Beil. Die Schuld der Mutter Klytämnestra liegt darin, dass sie zugeschaut, ihr Kind nicht geschützt hat. Und es vielleicht auch noch an ihren Liebhaber Aegisth weitergereicht hat. Und selbst die Schwester Chrysothemis hat nur registriert, was in ihrer Familie vor sich geht, hat nichts getan, um Elektra zu helfen. Diese ist alleine, von allen verlassen. Und findet sich mitten in der Nacht in der Antikensammlung eines Museums wieder. Es könnte die Mykene-Schau des Badischen Landesmuseums sein. Die Regie von Keith Warner macht in den Kostümen von Kaspar Glarner und der Bühne von Boris Kudlicka aus der Strauss-Oper einen Horrorfilm. Die Exponate erwachen zum Leben, immer tiefer wird Elektra in eine auch auf Videos gezeigte Geschichte hineingezogen, von der sie letztlich feststellen muss, dass es ihre eigene ist. Sie kann ihr nicht entgehen, sie liegt auf ihr wie ein Fluch. Die Bühne verwandelt sich immer wieder in die Schauplätze der grausigen Familiengeschichte, was nicht wirklich schlüssig erscheint, etwa wenn in den Ausstellungsraum eine Küche hineingefahren wird, in deren Spülbecken Elektras Mutter ihr blutiges Ende finden wird. Wenn nicht sogar alles ohnehin nur inszeniert ist, um die so sehr um ihr Leben und ihr Glück betrogene Frau endgültig zu vernichten. Orest jedenfalls, der Bruder, in den sie all ihre Hoffnung gesetzt hat, ballt angesichts ihres Todes triumphierend die Faust. Für den Soundtrack zu diesem Opernfilm in David-Lynch-Ästhetik ist die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Justin Brown verantwortlich. Brown findet die richtige Balance zwischen überwältigender Emphase, nachgerade brutaler Klanggewalt und Rücksichtnahme auf die Solisten. Von denen begeistert neben der Titeldarstellerin vor allem die überaus stimmlich präsente Sarah Cambidge als Chrysothemis. Überzeugende Rollenporträts liefern aber auch Renatus Meszar als Orest, Anna Danik als Klytämnestra und Matthias Wohlbrecht als Aegisth. Termine 1., 21. Februar; 16. März; 10., 19. April; 2., 18. Mai; 1. Juni

x