Kultur Auf der Suche nach der Magie des Moments

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„Es ist eine Rückkehr zu den Wurzeln“, sagt Jan-Christoph Gockel, aufgewachsen in Katzweiler bei Kaiserslautern und nun in seiner zweiten Spielzeit Hausregisseur am Mainzer Staatstheater. Seine nächste Arbeit für die neue Bühnenheimat – der 33-Jährige inszeniert nicht nur, sondern entwickelt mit Schauspielern eigene Projekte – ist ganz nah an seinen Erinnerungen: Der Westpfälzer entwirft eine Stückcollage über die Air Base Ramstein und den Drohnenkrieg.

Sein bester Freund aus Kindertagen war „halber Amerikaner, dadurch war ich oft auf der Air Base“, erzählt Jan-Christoph Gockel, der als Sechsjähriger mit den Eltern von Gießen nach Katzweiler kam und sich als Pfälzer fühlt. Auch an das Flugtagunglück von 1988 erinnert er sich: „Da war gerade Turnfest auf dem Sportplatz. Ich meine auch, alles gehört zu haben, aber die Eltern sagen, das könnte nicht sein. Das ist auch ein bisschen der Ausgangspunkt des Texts.“ In Katzweiler hat er auch die Liebe zum Theater entdeckt: dank der Freilichtbühne. „Ich fand das Flair faszinierend, da habe ich immer bei den Kinderstücken mitgespielt.“ Noch heute schwärmt er vom Augenblick „nachts im Wald“, in dem der Scheinwerfer angeht. Auch in seiner Arbeit geht es ihm um den Brückenschlag zwischen Bühne und Zuschauer, wenn jemand vorgibt, ein anderer zu sein. „Ich glaube darin wohnt der faszinierende Grundvorgang von Theater: Es ergibt sich eine Magie des Moments, sobald der Vorhang aufgeht. Und nach dem Applaus ist die Annahme, dass etwas Totes lebendig geworden ist, vorbei.“ Der 33-Jährige, der in Berlin Theaterregie studierte, erarbeitet politische Collagen, inszeniert aber auch Klassiker, jedoch „nur, wenn mir dezidiert ein heutiges klares Bild dazu einfällt“. In Mainz begann er seine Arbeit als Hausregisseur mit Zuckmayers „Schinderhannes“, der ihm zuerst auf der Freilichtbühne begegnet war. Hauptmanns „Die Ratten“ folgten. In den „Ratten“ und im Projekt „Grimm“ über die Märchensammler setzt Gockel Puppen ein – gebaut und gespielt vom Mainzer Ensemblemitglied Michael Pietsch: Der Schauspieler und Marionettenbauer aus Sankt Alban (Donnersbergkreis) ist ein Weggefährte seit der gemeinsamen Zeit in der Statisterie des Pfalztheaters Kaiserslautern. Nun arbeiten sie auf großen Bühnen zusammen, gerade stemmen sie in Graz Tankred Dorsts „Merlin“. Beim Einsatz von Puppen werde die Dualität von Theater besonders deutlich, sagt Gockel: „Das ist natürlich eine Figur, die da auf der Bühne steht. Letztendlich weiß aber jeder: Es ist nur ein Stück Holz.“ Bei seinen eigenen Collagen geht es ihm ebenso darum, die Rolle zu hinterfragen und dennoch Nähe zu entwickeln. „Auch bei den politischen Projekten ist es die Grundvoraussetzung, dass es so einen spielerischen, magischen Vorgang gibt, das haben meinen Sachen alle gemeinsam. Es geht um die Atmosphäre. Nicht nur um die aufklärerische Idee, es ist ja kein Volkshochschulkurs.“ Zuletzt hat der Regisseur in „Ich bereue nichts“ als „Projektleiter“, wie er seine Erarbeitung neuer Stücke im Kollektiv nennt, die Welt des Edward Snowden fürs Badische Staatstheater ergründet, davor am selben Haus die NSU-Attentate („Rechtsmaterial“). In Köln und Burkina Faso lief „Coltan-Fieber“ mit einem früheren Kindersoldaten und Coltanminenschürfer aus dem Kongo. Dokumentartheater aber macht Gockel nicht. Er geht darüber hinaus, reflektiert etwa auch den Entstehungsprozess eines Stückes gleich mit. Deutlich soll stets werden, „dass Schauspieler nicht nur als Schauspieler, die eine Rolle spielen, auf der Bühne stehen, sondern auch als die Menschen, die sie sind“. In „Ich bereue nichts“ ist Thomas Halle mal Snowden, als kindlicher Cowboy oder an den Computer geketteter Affe, aber manchmal auch einfach er selbst: ein mit sich hadernder Schauspieler, der sich fragt, wie man das abstrakte Thema Überwachung visualisieren kann, der Fakten vermittelt, aber das Internet auch schon mal anhand einer Keksdose erklärt: Gelacht werden darf hier auch. Gockels Theater ist intellektuell und sinnlich zugleich, klug, aber auch lustig. „Ich finde Humor als Mittel in Deutschland immer noch unterschätzt. Da haftet ein Gefühl an, als wäre das keine so hehre Kunst.“ Gockel lässt gern Gegensätze aufeinander treffen. „Inhaltliche Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeiten zuzulassen, das unterscheidet Theater ja auch von der Arbeit der Aktivisten, mit denen wir uns getroffen haben“, sagt der Regisseur. „Verwirrung gehört auch dazu, und der Wurf auf die Leute zurück, die Frage: Hat das Berührungspunkte mit meinem Leben?“ Das Ramstein-Projekt folgt diesem Ansatz. „Der Versuch ist, in einem komprimierten Raum einen großen Kosmos sichtbar machen und größere Zusammenhänge aufzuzeigen“, sagt Gockel über seine politischen Arbeiten. Eine Weltkarte wird es im November beim Mainzer Air-Base-Abend auf der Bühne geben, eine Drohne und drei Schauspieler, die aus verschiedenen Blickwinkeln szenisches Spiel mit Rechercheergebnissen verzahnen werden. Das Stück soll zwei Teile haben, denn der Theatermacher hat Gespräche sowohl mit Menschen vor Ort geführt, für die der Flugplatz Lebensmittelpunkt ist, aber auch mit Experten für die Rolle der US-Amerikaner im Drohnenkrieg. So fließen in das Stück die Stimmen jener ein, die die US-Amerikaner in der Westpfalz als Arbeitgeber oder Mieter schätzen. Aus anderer Perspektive aber sei die Air Base ein bedeutender Umschlagplatz im Krieg gegen den Terror. „Ich finde das fast metaphorisch: So abgeschirmt vom Pfälzerwald finden global extrem wichtige Vorgänge statt. Das steht meinen positiven Erinnerungen auch gegenüber.“ Gockel geht es auch um Haltung, darum, wie man sich selbst positioniert bei diesem komplexen Thema. „Fühlen wir unsere Freiheit wirklich bedroht durch islamistischen Terror und leben wir in Sicherheit, weil die Amerikaner mit ihren Drohnen einfach Kill-Listen von Terroristen abarbeiten oder ist das eine Praxis, an der wir uns eigentlich nicht beteiligen wollen?“ Das Publikum bindet er gern ein. In „Ich bereue nichts“ durften Zuschauer in einem Snowden-Fotoalbum blättern und sich mit Schauspieler Halle gegen Ausspähung rüsten, ganz bildlich mit Ritterhelmen. Dem Pfälzer geht es immer um Kommunikation, die Reaktion des Publikums mache ein Stück erst lebendig: „Diese fantastische Ausfüllung dessen, was auf der Bühne passiert, ist das Wichtige.“ Dazu muss das Geschehen berühren. Die größte Wirkung habe bisher sein Coltan-Projekt mit Yves Ndagano gehabt. „Viele haben sich bedankt, nun einen persönlichen Bezug zu jemanden zu haben, der selbst den Rohstoff, der in unseren Handys steckt, unter unmenschlichen Bedingungen im Kongo abbaute“, berichtet Gockel von aufgewühlten Zuschauern. „Das kann auch kein Film leisten. Theater ist als wirklich im Moment stattfindendes Erlebnis mit diesen Menschen unersetzlich.“ Über das Ramstein-Projekt sagt der 33-Jährige denn auch: „Unser Thema sind wieder die Menschen, zum Beispiel die Leute, die in Pakistan bei klarem Himmel nicht vor die Tür gehen, aus Angst vor Drohnen, und sagen: Ein wolkiger Tag ist ein guter Tag.“ Termine —Gockels „Grimm, ein deutsches Märchen“ wieder ab 10. Oktober, Staatstheater Mainz —„Ramstein Airbase: Game of Drones“ ab 27. November, Staatstheater Mainz —„Merlin“ ab 24. September, Schauspiel Graz

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