Kultur Auf der Zauberinsel

Beobachten das Treiben der Gestrandeten: Prospero (Rainer Furch) und sein dreigestaltiger Luftgeist Ariel (Camilla Marcati, Arle
Beobachten das Treiben der Gestrandeten: Prospero (Rainer Furch) und sein dreigestaltiger Luftgeist Ariel (Camilla Marcati, Arlette Meißner, Stefan Herrmann, von links).

Shakespeare trifft Barockmusik und modernen Tanz: „The Tempest“ ist die opulente Sommerinszenierung des Pfalztheaters Kaiserslautern, die alle Sparten einbindet – ein Experiment, das 2011 mit „The Fairy Queen“ erfolgreich gelang. An jenen großen Spaß für alle Sinne kann die neue Inszenierung von Intendant Urs Häberli zwar nicht ganz anknüpfen. Dennoch gelingt dem gut aufgelegten Ensemble gerade dank des wunderbaren Chores und der inspirierenden Tanzszenen ein liebenswertes Saisonfinale.

Ariel gibt es gleich dreifach, als Schauspieler (Stefan Herrmann), Tänzerin (Camilla Marcati) und Opernsängerin (Arlette Meißner), die einander ein Echo geben und sich fließend tänzerisch manifestieren: In der Figur des wohlgesinnten Luftgeistes offenbart sich Urs Häberlis Grundkonzept. Die Sparten sollen eins werden. Ein vielleicht zu ambitioniertes Unterfangen. Henry Purcells barock-volksnahe „Tempest“-Theatermusik von 1695 ist recht leichtgewichtig, kurz und nicht direkt auf die überschaubare Handlung von Shakespeares „Sturm“ bezogen. So wird nun deutlich weniger gesungen und musiziert als 2011 bei „Fairy Queen“. Doch bleibt dadurch Raum für Interpretation – und diesen nutzen gerade das Pfalztheaterorchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Uwe Sander und die zwölf Tänzer, für die Tanzchef James Sutherland faszinierende Szenen choreografiert hat – die stärkste Leistung des Abends. Vor allem zu Beginn entsteht ein wahrer Zauber: Die Tänzer symbolisieren das Meer, das Prosperos alte Feinde umtost und zum Kentern vor der Insel bringt, auf der der ausgesetzte einstige Mailänder Herzog eine wundersame Herrschaft errichtet hat. Das Pfalztheaterorchester evoziert die Wogen mit einer zarten, flirrenden vor allem perkussiven Soundcollage, in der es scheinbar zirpt, rasselt, und, ja, gar atmet: Das Wesen des Meeres begegnet uns. Auch an späteren Luftgeister-Improvisationen haben das Orchester und Uwe Sandner sichtlich Spaß – schließlich darf der zwischendurch selbst von Zauberer Prospero dirigierte Generalmusikdirektor auch selbst in eine Art Wolfsgeheul ausbrechen. Die eigentliche höfisch-tänzerische Musik Henry Purcells aber, dominiert von Cembalo, Laute und Barockgitarre sowie dezenten Streichern, dürfte das Orchester eher unterfordern, zumal sie nur in kleinen Dosen einfließt: Häberlis „Tempest“ bleibt in erster Linie Schauspiel. Rainer Furch ist in seiner reinen Sprechrolle so stimmig wie lustvoll ein zunächst undurchschaubarer Prospero: Will er mit seinem „Schauerschauspiel Schiffbruch“ Rache dafür üben, dass er entmachtet worden war? Behandelt er Caliban unmenschlich oder schützt er nur seine Tochter vor einem möglichen Triebtäter, wenn er ihn einsperrt? Und will er die aufkeimende Liebe zwischen seiner arglosen Tochter Miranda und dem ebenfalls eher naiv-gutherzigen Königssohn fördern oder torpedieren? Doch trotz seiner dunklen Zwischentöne und kleinen Rätsel ist „Der Sturm“ kein Rachedrama, alles löst sich in Wohlgefallen auf. Die Zeichen stehen auf Nachsicht und Versöhnung. „Wie schön die Menschheit ist!“, ruft Miranda denn auch, als sie zum ersten Mal die gesamte Schiffsbesatzung sieht, die auf ihrer bisher nur von ihr, Prospero und Caliban bevölkerten Insel strandet: Das Vater-Tochter-Duo zeigt den intriganten Neuankömmlingen, dass nicht die ganze Welt schlecht ist. Und dass Träume doch wahr werden können, wenn der einzelne weniger misstrauisch ist. Damit hat das letzte Shakespeare-Werk aus dem Jahr 1611 doch auch die passende Botschaft für unsere besorgten Zeiten, in denen oft als Erstes Schlechtes vom Gegenüber erwartet wird. Nele Sommer als Miranda und Luca Zahn als Ferdinand spielen das junge Paar, das offen in die Welt blickt, mit Wonne, wenn auch ihr Liebesduett nicht trägt. Die stärkste Stimme aus dem Schauspielensemble hat der energiegeladene Oliver Burkia als Caliban, der sich aus seiner Sklavenrolle befreien möchte, aber dummerweise auf zwei Tölpel als Helfer setzt, Trinculo (Günther Fingerle) und Stephano (Daniel Böhm): Die Eskapaden des trinklustigen Trios bringen wahre Slapstickmomente auf die Bühne, was den dunkleren Facetten Calibans den Platz nimmt. Böhm, Burkia und Fingerle aber dürfen sich mit Verve in schönsten englischen Volksweisen ausleben. Die nachdenklicheren, sinnlicheren Gesänge der Nymphen und Luftgeister führt dagegen Arlette Meißner an, doch hinterlassen vor allem die Szenen mit dem von Johannes Köhler geführten Pfalztheater-Chor den größten Eindruck – auch dank der spektakulären Choreographie und Optik. Maske und Kostümabteilung haben insbesondere für das große Schlussbild Famoses geleistet. Die Bühne selbst (Anna Kirschstein) ist abstrahiert, was vor allem den raffinierten Tanzszenen zugute kommt, in denen James Sutherland und seine Kompanie beweisen, dass eine neue Ära am Pfalztheater begonnen hat. Und so fügen sich die Teile zwar nicht ganz reibungslos zu einem großen Ganzen, doch bleiben einige magische Momente im Kopf und machen Lust auf mehr. Termine 9., 21., 23. und 30. Juni, 2., 8. und 11. Juli; Karten: 0631/3675-209, www.pfalztehater.de

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