Kultur Autorin Yade Yasemin Önder: Im Zeichen der Marille

Gleich für ihr Theaterdebüt geehrt: Yade Yasemin Önder.
Gleich für ihr Theaterdebüt geehrt: Yade Yasemin Önder.

Die in Wiesbaden und Kaiserslautern aufgewachsene Yade Yasemin Önder ist mit ihrem Debütstück bei den Autorentheatertagen Berlin

Gleich mit ihrem ersten Theaterstück ist sie als eine von drei jungen Dramatikerinnen zu den Autorentheatertagen Berlin eingeladen worden, verbunden mit einer Uraufführung durchs Wiener Burgtheater am Deutschen Theater Berlin: ein großer Erfolg für Yade Yasemin Önder, die zwölf Jahre lang in Kaiserslautern gelebt hat. Ihr rhythmisches, surreal gefärbtes Stück „Kartonage“ atmet den Geist von Beckett, zitiert aber auch Clueso, France Galle und Kraftwerk. Mit Gedichten hat es angefangen für Yade Yasemin Önder. Als Zehn-, Elf-, Zwölfjährige, damals noch in ihrer Geburtsstadt Wiesbaden. „Ich habe viele Songtexte gelesen, englische und deutsche, da ich auch selbst gesungen habe“, erzählt die heute 31-Jährige über ihren Weg zum Schreiben. Das Dichten habe sie fortan begleitet. Mit 13 kam die Tochter einer deutschen Mutter und eines Vaters mit türkischen Wurzeln nach Kaiserslautern, ging aufs Gymnasium am Rittersberg, verließ die Schule aber noch vor dem Abitur. „Ich habe mich in unterschiedlichen Feldern ausprobiert, aber dann doch gemerkt, dass ich in die akademische Welt möchte“, sagt sie über die Zeit, die in ihrem Lebenslauf fürs Deutsche Theater mit „Versuche als Buchhändlerin, Köchin und Sängerin“ angegeben ist. „Mit 17 hat man halt noch Flausen im Kopf“, sagt sie heute lächelnd. Im zweiten Anlauf folgte das Abitur an der Berufsbildenden Schule II in Kaiserslautern, wo sie auch an einer Schreibwerkstatt teilnahm, die der rührige Lehrer Wolfgang Ettmüller alljährlich mit namhaften Autoren ausrichtet. Önder kehrte dann der Pfalz wieder den Rücken, studierte Deutsche Literatur- und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin und bewarb sich bald beim renommierten Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. „Da bin ich direkt genommen worden und habe gleich meine Koffer gepackt“, ist sie noch immer froh über die Chance, dass sie zwei Jahre lang Schreiben lernen durfte, Prosa, Lyrik, Essayistik, filmisches Erzählen – und als letztes: dramatisches Schreiben, die Theaterwelt. Was sie so gepackt hat, dass sie in den Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin wechselte. Berlin möchte Yade Yasemin Önder nun nicht so schnell verlassen, „das fühlt sich schon richtig an“, sagt sie über ihre neue Heimat. Hier wird am 23. Juni ihr Debüt „Kartonage“ uraufgeführt, inszeniert von Regisseur Franz Xaver Mayr fürs renommierte Wiener Burgtheater, wo die Produktion kommende Saison auch in den Spielplan aufgenommen wird. „Kartonage“ ist ein knappes, klug verschachteltes Stück über Schuld und Buße, über Grausamkeiten und Gewaltstrukturen innerhalb einer Kleinfamilie, in der die Tochter Rosalie lernte: „Wenn einer liegt, dann muss man treten.“ Wir erleben zugleich Vergangenheit, Gedankenwelt und Gegenwart der heute gut 30-Jährigen wie ihrer Eltern, dem Ehepaar Werner, er im Jetzt „Ende 60, sieht aus wie 90“, sie Anfang 60, früher Hilde genannt. Heute sagt ihr Mann bloß „Wernerzwei“ zu ihr, und sie sagt: „Im Zweifel ist man stets dagegen.“ Die Werners leben – oder vegetieren – in einem Karton. Abgeschieden von der Außenwelt, gefangen in Ritualen: Sie sitzen auf der Eckbank, „Eiche depressiv“, Frau Werner kocht stets Marillenmarmelade, bittersüß, schmiert Brote, saugt – und haut ihrem Mann eine runter. 16 Jahre zuvor war er derjenige mit der harten Hand, enthüllt sich nach und nach. Damals lebte noch Tochter Rosalie bei ihnen, doch der Vater warf der 14-Jährigen Liederlichkeit vor. Nach einem ohnehin schon traumatischen Erlebnis für Rosalie bestrafte er sie, steckte sie in einen dunklen „Karton“, hielt sie gefangen. Oder, wie Rosalie zusammenfasst: „nachtspaziergang/ zungenküsse/ polster/ härchen/ hänseleien/ flaschendrehen/ wer geht mit wem/ wo gehen wir hin/ das größte fernweh/ und die dritte fünf/ die ehrenrunde/ hausarrest/ hier werd ich nie mehr rauskommen.“ Nach 16 Jahren ist Rosalie jäh zurück, plumpst in den Karton der Eltern, wo weiter auf grausame Weise Macht demonstriert wird. Eine „Familienhölle“, fasst es die Autorentheatertage-Jury zusammen, in der etwa „Oh Boy“-Regisseur Jan-Ole Gerster saß. Önders Theatertext wirkt sehr ausgereift. Verknappt geht es zu, lyrisch, verrätselt, nahezu magisch. Der Ton ist schroff, doch steckt dahinter eine Sehnsucht, die ans Herz rührt – gerade in den Szenen, die den Aufbruchswillen der 14-jährigen Rosalie beleuchten, die mit Freundin Ella mehr als dreckige Matratzen erleben möchte: „straßenbahn/ großstadt/ peripherie“ heißen die Wünsche in dieser von der Realität scheinbar entrückten Endzeitwelt, die bisweilen an die Atmosphäre von Samuel Becketts „Endspiel“ erinnert. Beckett sei durchaus ein Autor, den sie sehr schätze, sagt Önder. Die Faszination für ihn habe sich wohl „mit eingeschrieben, alle Einflüsse arbeiten ja in einem weiter“. Neben absurdem Theater habe sie das aktuelle, postdramatische Theater inspiriert. Und Musik. „Ella, Elle L’A“ wird zitiert, dazu zweimal Clueso und einmal Kraftwerk. Das Stück war zunächst ein Langgedicht über zwei alte Menschen, die sich streiten, erzählt die Autorin. Als „weltfremde Figuren, die sich von der Außenwelt verabschiedet haben und in ihren Routinen aufgehen“, sieht sie die Werners. Eineinhalb Jahre Arbeit stecken im Stück. „Ich habe lange gebraucht, um für jede Figur eine eigene Sprache zu entwickeln“, blickt sie zurück. „Die Figuren haben sich extrem viel zu sagen, aber sie können es nur in den Formeln, die sie über die Jahre sozusagen auswendig gelernt haben, transportieren.“ Inzwischen arbeitet die 31-Jährige, die 2016 auch als Stipendiatin des Landes Rheinland-Pfalz einen Monat zum Schreiben im burgundischen Vézelay weilte, schon am zweiten Stück. Doch festlegen möchte sie sich nicht. So schreibt sie weiter Lyrik und arbeitet an einem Drehbuchprojekt. Jetzt aber steigt erst mal die Spannung, wie das Uraufführungs-Publikum auf „Kartonage“ reagieren wird. „Ich hoffe, das Stück wird bei jedem Zuschauer ein ganz eigenes Gefühl auslösen.“ Termine „Kartonage“, 23. und 24. Juni, Deutsches Theater Berlin; www.deutschestheater.de

Eine Familie, die in einem Karton lebt: Herr Werner (Bernd Birkhahn), Frau Werner (Petra Morzé ) und Rosalie (Irina Sulaver) in
Eine Familie, die in einem Karton lebt: Herr Werner (Bernd Birkhahn), Frau Werner (Petra Morzé ) und Rosalie (Irina Sulaver) in der Uraufführungs-Inszenierung des Wiener Burgtheaters.
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