Frankfurt Blumenmädchen, Gottschalk und KI: Die Frankfurter Buchmesse hat begonnen
Schauplatz: die Freifläche, der Frankfurter Pavillon dort, eine immer wieder aufbaubare Holzarchitektur, die leise an ein Schneckenhaus erinnert. Die Messe steht jetzt unter dem Ambitioniert-Motto „FBM24 ist Read!ng – Read. Reflect. Relate“, Ausrufezeichen statt eines „i“, die Imperative lauten: lese, denke nach, bring dich in einen Zusammenhang. Und die Vorsteherin des die Messe veranstaltenden Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die Mainzerin Karin Schmidt-Friedrichs, erklärt im edelrostigen Duktus: „Die Buchmesse ist eine Agora des dialektischen Austauschs in wechselseitigem Respekt.“
Viel Sex und ein Happy End
Kurz vor der Messe wurde bekannt, dass sogar der ehemals Frankfurter Nobelstverlag Suhrkamp etwas ins Schlingern geraten ist – und jetzt dem durch die Max-Bahr-Baumarktkette reich gewordenen Unternehmer Dirk Möhrle gehört. Derweil wird die in Deutschland um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsene Branche gerade von einem zwiespältigen Genre gerettet, das Suhrkamp nicht im Programm hat: New Adult, Neue Erwachsene wortwörtlich übersetzt. Liebesgeschichten mit viel Sex und Leid, die düster beginnen und glücklich enden.
Die Leserinnen der, na ja, Schmonzetten mit schönen Farbschnitten, das generische Femininum ist angebracht, siedeln in der Kohorte der 15- bis 30-Jährigen. Als ein Urtext der auf Plattformen wie BookTok im Netz viral gehenden Welle, die glücklicherweise auch in die Buchläden schwappt, darf Colleen Hoovers Roman „It ends with us“ gelten, der seit 130 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“ steht. Erzählt wird die Geschichte einer Blumenverkäuferin, die einen toxischen Neurochirurgen liebt und zum Schluss wieder mit ihrer Jugendliebe zusammenkommt – einem jetzt Obdachlosen. Die deutsche Colleen Hoover heißt Jane Wonda, ein Künstlername, den die aus dem Weserbergland stammende Autorin laut „Zeit“ gewählt hat, weil Wonda „billig“ und Jane „nach Porno klingt“.
Bei Goethe zuhause
Rund 4000 Aussteller aus 95 Ländern sind in Frankfurt vertreten. Die Halle 1.2. gleich am Eingang jedenfalls ist zur 8000 Quadratmeter großen New Adult-Fanzone ausgebaut. „Es geht um ein von Fans getriebenes Event rund ums Signieren, Selfies mit Autori*innen“, meint Juergen Boos, der Buchmessen-Direktor, das Ganze nennt er „mehr eine Convention“, eine eigene Halle ist als Wartebereich für den Ansturm ausgewiesen. „Die Frankfurter Buchmesse ist immer im Wandel“, erklärt Boos beinahe entschuldigend. Auch eigene „Business Centres“ für Comics und Games gehören zu den Neuerungen.
Auf dem Paulsplatz in Frankfurt ist in Kooperation mit Stadtmarketing und Goethe-Haus und als Reverenz an das Gast- und Schwerpunktland Italien ein „Great Escape Room“ aufgebaut. Goethes virtuelle Wohnung in der Via del Corso, in die sich vor der rauen Wirklichkeit flüchten lässt, um die Rätsel rund um dessen Italienreise vor 238 Jahren zu lösen. Sechs Guinness-Weltrekordversuche, einer von einem Balljongleur, sind angekündigt. Und Thomas Gottschalk, der seine dritte Autobiografie vorstellt, Titel dieses Mal: „Ungefiltert“. Seltsam sei es, gerade jetzt am Leben zu sein, „strange“, sagt die türkisch-britische Autorin Elif Shafak in die Runde – in einer aufwühlenden Rede über die Möglichkeitsdimensionen der Literatur und die Notwendigkeit, das „Herz optimistisch zu halten“.
Angst ist Hoffnung
Angst, sagt Shafak, sei immer noch besser als Apathie. Natürlich werden bis Sonntag auf der Messe auch die ernsten Themen verhandelt. Die Kriege, die Ukraine, der Nahe Osten, die Menschenrechte, die Erosion der Demokratie, der schreiende deutsche „Bildungsnotstand“ (Karin Schmidt-Friedrichs), die AfD und die anderen. Ein eigenes Format dazu nennt sich nach einem berühmten Punksong „Frankfurt calling“. Der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Harari („Eine kurze Geschichte der Menschheit“) streitet im Saal Harmonie mit dem Kapitalismuskritiker Kohei Saito darüber, ob auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft „nur noch der Systemabsturz hilft“. Die gute, böse, heilbringende, weltumstürzende Künstliche Intelligenz ist selbstredend auch ein Thema. Ihre Folgen. So meint Börsenvereinsvorsteherin Schmidt-Friedrichs auf der Pressekonferenz etwa zu der Tatsache, dass sich die KI zu Trainingszwecken millionenfach Texte einverleibt, einfach so, ohne Beachtung von deren Urheberschaft: „Das geht gar nicht.“
Info
Frankfurter Buchmesse, 16. bis 20. Oktober. Für das allgemeine Publikum ist die Messe am Freitag (14 bis 18.30 Uhr), am Samstag (9 bis 18.30 Uhr) und Sonntag (bis 17.30 Uhr) geöffnet. www.buchmesse.de