Film Das neue Standardwerk zum deutsche Film wiegt zwei Kilo

So sieht eine Doppelseite in dem neuen Filmbuch aus.
So sieht eine Doppelseite in dem neuen Filmbuch aus.

Zwei Kilo Filmgeschichte bietet das dicke Buch „Der deutsche Film 1895 bis heute“. Es ist der Katalog zur gleichnamigen aktuellen Ausstellung in der Völklinger Hütte – und noch ein bisschen mehr, denn eigentlich war das Buch vor der Ausstellung da.

Ein neues Standardwerk zur deutschen Filmgeschichte ist da. Es ist dick, schwer und so unhandlich, dass man es nur am Tisch lesen kann, aber es hat etwas, das allen bisherigen Büchern dieser Art fehlt: viele Bilder. Ein solches Buch hatte die Deutsche Kinemathek schon in der Planung, bevor es zur Zusammenarbeit mit den Saarländern kam. Man brauchte sich also nur anzupassen. „Große Filme altern nicht, sie entfernen sich nur in der Zeit“ lautet das Motto von Ausstellung und Buch. Dem entsprechend werden einzelne Filme vorgestellt, 128 wie in der Ausstellung – im Buch auf einer Doppelseite.

Drei Bilder und ein Text

Den Anfang macht das Programm der Brüder Skladanowsky mit dem boxenden Känguru und den Milton-Brüdern am Reck, das am 1. November 1895 im Berliner Wintergarten über die Leinwand flimmerte (zwei Monate vor den Projektionen der Brüder Lumière in Frankreich), jeder Film war kürzer als eine Minute. Aus den Filmen gibt es jeweils drei Bilder und einen kurzen Zeitungstext aus dem Entstehungsjahr, der vermittelt, was die Zuschauer damals empfanden: „Eine kinetoskopische Scene wird auf eine beleuchtete, helle Fläche reflectiert, so daß sie den Eindruck von Schattenspielern macht.“ Dazu kommen vier, fünf leicht verständliche Sätze von einem Kinemathek-Mitarbeiter: „Das Programm umfasste acht sehr kurze Streifen abgefilmter Varieténummern.“

Manchmal steht auch ein bisschen mehr dabei – wie bei den kurzen dokumentarischen Bildern, die 1904 in der Saarbrücker Innenstadt gedreht wurden. Natürlich sind so wichtige Filme wie „Metropolis“, „Nosferatu“ und „Das Cabinett des Dr. Caligari“ in dem Buch zu finden. Es teilt die deutsche Filmgeschichte in sieben Kapitel ein, beginnend mit dem frühen Film 1895-1918 und endend mit der „Neuorientierung 1990-2023“. Dazwischen liegen die Kapitel über das expressionistische Kino (1919-1925), das Kino der Weimarer Republik (1919-1932), der NS-Zeit (2933-1945), dem Nachkriegskino bis 1961 und dem in Ost- und Westdeutschland getrennten Filmschaffen bis 1989.

„Die Nachtaufnahmen, welche die Rettungsexpedition, deren Fackeln gespenstisch das Dunkel erhellen, festhalten, sind unübertroffen“, liest man da zu dem Film „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ (1929) des Pfälzers Arnold Fanck aus Frankenthal in einer zeitgenössischen Kritik. Die sieben dazugestellten Schwarzweiß-Fotos verdeutlichen dies.

Auch zwei Pfälzer dabei

Der kurze Kinemathektext erklärt, dass es die wohl bekannteste Produktion des Bergfilmers Fanck ist, der Spielfilmregisseur Georg Wilhelm Pabst ihm bei der Dramaturgie half und dass neben der Natur Leni Riefenstahl die Hauptrolle spielte, die bei Fanck debütierte.

Man sieht die Bilder und liest und versteht sofort, was gemeint ist. Denn das, was sonst filmhistorische Bücher für den interessierten Laien so langweilig macht – die Stabangaben – wurde in den Anhang gepackt und dort auch nur in kurzer Form, so fehlen Angaben zur Filmlänge, zu technischen Besonderheiten und auch, ob es den Film auf DVD oder sonst wo gibt. Denn eigentlich soll das Buch ja nicht nur einen Überblick über wichtige Filme geben, sondern auch dazu ermutigen, sie sich anzusehen, warum sonst hat man so so bilderstarke Filmfotos abgedruckt, die Lust machen auf mehr?

Neben Fanck sind aus der Pfalz noch Phil Jutzi aus Altleiningen mit dem Sozialdrama „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, 1929), Peter Fleischmann aus Zweibrücken mit seinem Anti-Heimatfilm „Jagdszenen aus Niederbayern“ (1969) auf einer Doppelseite dabei. Auf Pfälzer Seite fehlt natürlich Wilhelm Dieterle aus Ludwigshafen (der als Regisseur 1938 für den Oscar nominiert war, aber seine besten Filme sind amerikanische, nicht deutsche), doch man muss eben auswählen, und die Auswahl ist gelungen.

Hommage ans deutsche Kino

Um Verbindungen aufzuzeigen, wird die im Prinzip chronologische Vorgehensweise öfter unterbrochen: So folgt auf „Nosferatu“ von 1922 von F. W. Murnau sofort „Nosferatu“ von 1979 von Werner Herzog und man sieht, dass der Vampir nahezu gleich aussieht. Auf Lotte Reinigers Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Ahmed“ (1926) folgt ein Film, der gar kein deutscher ist: nämlich „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1“, weil darin Silhouetten auftauchen, die von Reiniger übernommen und inspiriert sind. Allerdings schlägt bei dieser und anderen deutschen Vorlagen für das internationale Kino dann doch der Hang der Filmhistoriker zum wissenschaftlich Korrekten durch: Der Filmtitel steht nur auf Englisch da, ebenso die zitierte Kritikerstimme.

Die beste Schau, die es je gab

Ergänzend zu den Filmen gibt es lange Überblickstexte zu den sieben Kapiteln und Doppelseiten zu Stars wie Asta Nielsen und Marlene Dietrich, aber auch Filmschaffenden wie der Kostümdesignerin Aenne Willkomm und dem Filmarchitekten Erich Kettelhut. Seitengroße Filmplakate und Hochglanzaufnahmen aus der Ausstellung in der Völklinger Hütte sind zusätzliche Hingucker. Das Buch endet mit dem größten deutschen Oscar-Erfolg „Im Westen nichts Neues“ (2022) und dem „Lehrerzimmer“ (2023) so aktuell wie Ausstellung. Die ist mit ihren überlebensgroßen Leinwänden, Plakaten, Fotos und Objekten natürlich nicht zu toppen, weil sie die beste Schau zu deutschen Kino ist, die es je gab, aber dieses neue Buch ist ebenso unverzichtbar.

Lesezeichen

„Der Deutsche Film 1895 bis heute“, Herausgeber: Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Ralf Beil, Rainer Rother, Sandstein Verlag Dresden 2024, 424 Seiten, 1042 farbige und schwarz-weiße Abbildungen, 54 Euro.

Die Ausstellung „Der Deutsche Film 1895 bis heute“ läuft bis 18. August in der Völklinger Hütte und ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet.

Das Buchcover zeigt Szenen aus „Systemsprenger“ und „Das Leben der anderen“.
Das Buchcover zeigt Szenen aus »Systemsprenger« und »Das Leben der anderen«.
Die Silhouetten aus dem Film von Lotte Reiniger wurden in einem Harry-Potter-Film aufgegriffen.
Die Silhouetten aus dem Film von Lotte Reiniger wurden in einem Harry-Potter-Film aufgegriffen.
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