Kunst Der freie Radikale: Frankfurt feiert Gustav Metzger, den Kunststar, den keiner kennt

Aktivist ohne Heizung im Atelier, staatenlos,, seine Haupterfindung war Kunst, die sich selbst zerstört: Gustav Metzger.
Aktivist ohne Heizung im Atelier, staatenlos,, seine Haupterfindung war Kunst, die sich selbst zerstört: Gustav Metzger.

Gustav Metzger ist ein Kunststar, den kaum jemand kennt. Als 13 -Jähriger floh er vor den Nazis mit einem der letzten Kindertransporte nach England, wo er 2017 starb. Er war Tischler, Gärtner, Aktivist. Seine kritische Kunst über Atomkraft, Künstliche Intelligenz und die Klimakrise nahm vieles vorweg und ist radikal bis zum Exzess. In Frankfurt wird er jetzt mit einer ersten großen Retrospektive in Deutschland gefeiert.

Die Bäume vor dem Frankfurter Taunustor stehen Kopf. Die Wurzeln wuchern himmelwärts, die Baumkronen stecken in Betonsockeln. Keine Chance. Die ohnmächtig „Strampelnden Bäume“ gehören zur Ausstellung des TOWWERMMK, einer Dependance des Museums für Moderne Kunst, die im filmreifen („Bad Banks“) Imposantturm des in Kaiserslautern lehrenden Architekten Helmut Kleine-Kraneburg residiert. Gustav Metzger, der 2017 in London verstorbene, weltberühmte unbekannte Künstler aus Deutschland, dem die aufwendig seine nochmalige Wiederentdeckung inszenierende Schau von Susanne Pfeffer und Julie Eichler gewidmet ist, hätte den finanzmetropolen Fingerzeig ziemlich sicher gehasst.

Steht draußen vor der Tür: Metzger-Werk „Strampelnde Bäume“.
Steht draußen vor der Tür: Metzger-Werk »Strampelnde Bäume«.

Der widerständige Exzentriker und Verweigerungsexperte war strikter Antikapitalist – unter anderem. Dazu Klimaaktivist, 1969 wurde er Chefredakteur der Computerzeitschrift „Page“ und befasste sich kritisch mit den Folgen der neuen Technologie. Und er war Atomgegner der ersten Stunde, Teil des 1960 gegründeten „Committee of 100“, der wegen der Organisation einer Demo einen Monat lang in Haft saß. Das Kind polnischer orthodox-jüdischer Eltern, 1926 in Nürnberg geboren, wurde 1939, als 13-Jähriger, last minute mit einem der Kindertransporte nach England vor den Nazis gerettet. Seine Eltern und ein Bruder sind in Buchenwald ermordet worden.

Endgegner Kapitalismus

„Der Kapitalismus ist das Grundübel, mit dem ich mich Zeit meines Lebens beschäftigt habe“, meinte Metzger, der große Teile seines Lebens in einem unbeheizten Atelier zubrachte, staatenlos, ohne Sozialversicherung, Telefon und Fernseher. Ohne eine Galerie zu haben vor allem. Ende der Siebziger rief er aus Protest gegen den Markt zu einem Kunstboykott auf, „Years without Art“. Zum Schluss stand er allein auf den Barrikaden und hielt sich als einziger (fast) daran. Jetzt vertritt die weltweit operierende Züricher Großgalerie Hauser & Wirth ihn, es ist leise irritierend.

Metzger, ewiger Asket, arbeitete zunächst als Tischler und Gärtner, zog 1944 in eine trotzkistisch-anarchische Kommune in Bristol und las die Schriften des Psychoanalyse-Gurus Wilhelm Reich, bevor er sich der Kunst zuwandte. Er studierte bei David Bromberg am Borough Road Polytechnic Institute in London – um sich mit ihm selbstredend anlässlich einer gemeinsamen Ausstellung zu überwerfen.

Gesellschaftliche Gewalterfahrungen und persönliche Traumata prägen Werk und Leben des anarchischen Außenseiters, der sich sein Geld als Antiquar und Secondhandmöbelhändler verdiente und phasenweise, statt Kunst zu produzieren, lieber aufrührerische Symposien veranstaltete und kunstrevolutionäre Manifeste verfasste. Ein Troublemaker im besten Wortsinn nannte ihn ein Kritiker des „Guardian“ einmal. Unerbittlich in seiner Haltung, radikal in seiner – oft – Mitmach-Kunst, bei der er das Publikum schon mal zum Ausschneiden von Zeitungsartikeln über die Klimakrise und Wirtschaftsmisere aufforderte, um die Fotos davon als neues Archiv zu verwerten. Seine hellsichtigen Werkideen wurde zeitweise erst Jahrzehnte später realisiert und meistens tragen sie noch immer.

Tisch oder Atompilz? Metzger umkreist das Objekt, aus seinem Secondhandmöbelhandel manisch. .
Tisch oder Atompilz? Metzger umkreist das Objekt, aus seinem Secondhandmöbelhandel manisch. .

Er begann als Zeichner, im Vordergrund von Rembrandt inspirierte familiäre häusliche Szenen aus seiner Kindheit. Später bildete er manisch ein und denselben dreibeinigen Tisch mit Kohle, Kreide, Bleistift, Pastell, Aquarell- und Ölfarben ab, kratzte die Konturen in Stahlplatten – immer sah das Teil auch wie ein Atompilz aus. Seine Kunst wurde immer konzeptioneller.

Bomben auf Autos

1972, die Pläne dafür sind im TOWERMMK ausgehängt, bei der legendären Documenta 5 von Harald Szeemann, wollte er die Abgase von 120 Autos in einen Containerkubus leiten. Später sollte der Fuhrpark im Innern starten und in Flammen aufgehen. Zur Not wollte Metzger mit Bomben nachhelfen. Aber selbst die abgespeckte Version mit vier Autos war den Kasseler Verantwortlichen noch zu heiß. 2007 wurde das frühe klimakritische Happening dann ausgerechnet bei der Schardschaw-Biennale in den Vereinigten Emiraten im Großformat in die Tat umgesetzt.

Dabei verachtete er Autos nicht nur wegen ihrer zerstörerischen Wucht, sondern auch, weil sie die Menschen vom sozialkommunikativen Busfahren abhielten. 1996 war er zufälliger Teilnehmer einer Anti-Auto-Demo im Londoner Stadtteil Camden, bei der Kinder eine demoliertes Karre als Hüpfburg benutzten und bis zur Erschöpfung „kill the Cars“ skandierten. Er besorgte sich das Foto für eine Installation. Es ist in Frankfurt als Fototapete zu sehen. Eine Tonspur läuft. Den silberfarbenen Ford, der davorsteht, haben von der kindlichen Wutentbranntheit angefixte Museumsmitarbeiter vorab zertrümmert. Ein schönes Sinnbild: Als Metzgers Haupterfindung gilt die sogenannte Autodestruktive Kunst.

Wilde Aktionen, die mitunter eskalierten wie 1965 ein Happening in der Londoner Architectural Association, bei dem er mit Wasser gefüllte Plastiksäcke auf an der Wand befestigten Heizplatten explosionsartig verdampfen ließ. Ein Kurzschluss war die Folge, Chaos, das Publikum wollte trotzdem weiter machen, Stühle flogen. In Frankfurt geht es friedlicher zu. Ein Video läuft, auf dem zu erleben ist, wie er auf der London Brigde, im Schutzanzug bunt bemalten Nylonstoff mit Salzsäure traktiert. Die Folge: Zersetzung. Ein ätzendes Werk im wahrsten Wortsinn, das die Kritiker an eine Mischung aus dem Abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock und den Schlitzkünstler Lucio Fontana erinnert hat. Er selbst hat Menschen über die enge Kunstszene hinaus inspiriert.

Metzger-Bewunderer Pete Townshend von The Who.
Metzger-Bewunderer Pete Townshend von The Who.

Der Künstler und The Who

Pete Townshend zum Beispiel, den Kopf der Rockband The Who. Townshend war Metzger-Fan, Hörer einer seiner Vorträge an der Londoner Kunstakademie. Der später von anderen Bands gekaperte Move von The Who, am Ende eines Konzerts die Gitarren zu zertrümmern, soll so auf den Künstler zurückgehen. Der seinerseits agierte als eine Art früher Videojockey bei deren Konzerten.

Dazu setzte er wärmeempfindliche Flüssigkristalle in Petrischalen und ließ sie sich in Projektoren drehen, sich verändernde psychedelische Muster entstanden, die Buntglasfenster-groß auf die Bühne projiziert wurden. Ein entsprechendes Environment, im TOWERMMK neu aufgelegt, besitzt zweifellos den größten Schauwert der Ausstellung. Am eindringlichsten allerdings sind Metzgers herznah gehende Inszenierungen historischer Fotos aus der Nazizeit.

Das Foto auf dem Boden zeigt Wiener Juden, die die Straße schrubben mussten. Wer es sehen will, muss unterkriechen.
Das Foto auf dem Boden zeigt Wiener Juden, die die Straße schrubben mussten. Wer es sehen will, muss unterkriechen.

So ist das Foto von Wiener Juden, die 1938, bewacht von der Hitlerjugend, eine Straße putzen müssen – auf Knien –, nur zu sehen, wenn man unter eine Judenstern-gelbe Decke kriecht. Eine Demutsgeste, die sehr sehr weit entfernt deren Demütigung körperlich spürbar macht. In einem Werk hat Metzger das ikonische Bild des Jungen aus dem Warschauer Ghetto, aufgenommen im April 1943, verwendet. Es sind die Tage der brutalen Niederschlagung des Aufstands. Der Junge steht mit erhobenen Händen etwas abseits der auf die Straße getriebenen Menschengruppe, er schaut flehentlich. Wehrmachtssoldaten bewachen die Szene. Metzger hat den Blick auf das hüfthohe Fotodokument mit Ausnahme eines Schießschartenausschnitts mit Holzlatten versperrt – weil es sich ohnehin nicht begreifen lässt. Und dann ist da noch der schmale Korridor, den der Künstler „Rampe in Auschwitz“ nennt.

Zum Schluss „Judenpech“

Er ist so eng, dass einem das großgezogene Foto an der Wand richtig auf die Pelle rückt. Es zeigt die Ankunft ungarischer Juden in dem furchtbaren NS-Konzentrationslager. An anderer Stelle der Schau ist eine Auswahl antijüdischer Gesetze und Verordnungen der Nazis gepinnt, etwa über das „Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit“. Auch Metzger selbst fühlte sich wegen seiner Ansichten, aber auch wegen seines Jüdischseins lange von der Kunstwelt ausgegrenzt. Seine sehr späte Wiederentdeckung bei Biennalen und Großausstellungen empfand er als „Wiedergutmachung“. Eine Art davon ist auch die Frankfurter Schau, die die erste große Metzger-Retrospektive in Deutschland darstellt. Wer sie verlässt, muss über ein asphaltiertes Stück Boden vor dem Taunustor laufen. Die Intervention ist einer Installation nachempfunden, die Metzger 1999 für die Nazi-Architektur des Münchner Hauses der Kunst entworfen hat. Der doppeldeutig lesbare Titel verweist auf das dabei verwendete Material, das seit der Antike bekannt ist: „Bitumen Judaicum“, „Judenpech“.

Die Ausstellung

„Gustav Metzger“, bis 5. Januar 2025 im TOWERMMK; www. mmk.art

 Unter den Holzlatten, ein ikonisches Foto.
Unter den Holzlatten, ein ikonisches Foto.
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