Kultur Der Kümmerer

Das Konzil in Konstanz. Hier finden die Konzerte der Südwestdeutschen Philharmonie statt.
Das Konzil in Konstanz. Hier finden die Konzerte der Südwestdeutschen Philharmonie statt.

Besuch beim künftigen Intendanten der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Schön hat es Beat Fehlmann in Konstanz. Sein Büro ist im Alten Rathaus der Bodenseestadt untergebracht. Das Gebäude beherbergt auch den Probensaal seines Orchesters, der Südwestdeutschen Philharmonie. Fantastischer Seeblick garantiert. Der Konzertsaal ist gleich nebenan im historischen Konzilgebäude. Alles atmet hier Geschichte. Alles ist ganz anders als in Ludwigshafen, wo Fehlmann seinen Dienst im September 2018 antreten wird.

Beat Fehlmann ist ein Kümmerer. „Jetzt räumt der Chef bestimmt wieder selbst ab“, meint seine Sekretärin, die ins Chefzimmer eilt, um ihm vielleicht doch noch zuvorzukommen. Der Journalist aus Ludwigshafen konnte sich derweil die kurze Wartezeit bei Kaffee und selbstgebackenen Plätzchen vertreiben. Der 1974 geborene Schweizer wählt seine Worte mit Bedacht. Man versteht ihn auch viel besser als die Massen seiner Landsleute, die die Weihnachtsmärkte am Seeufer und in der Altstadt bevölkern. Was für Heidelberg die Japaner, sind die Schweizer für Konstanz. Doch so langsam, mitunter zögerlich die Sätze auch manchmal kommen mögen, sie sind immer getragen von dem Feuer, das in dem Intendanten brennt. Für die Musik. Für sein Orchester. Für die Menschen in der Stadt. „Als ich mich entschieden habe, ins Kulturmanagement zu wechseln, geschah dies auch, weil ich merkte, dass ich als Musiker und Dirigent nicht das würde erreichen können, was ich als Intendant hoffentlich erreichen kann“, erzählt der ausgebildete Klarinettist, der auch Komposition und Dirigieren studiert hat. Dann folgte noch eine Zusatzausbildung in Kulturmanagement in Zürich. Die Menschen sind ihm wichtig, die ins Konzert kommen, in der Stadt leben. Und er holt sie ab. Ganz persönlich. Die Einführung ins Konzert mit Werken von Beethoven (Violinkonzert) und Mozart („Zauberflöten“-Ouvertüre und die sogenannte große g-Moll-Sinfonie) hält er an diesem Abend selbst. Vor dem ersten Akkord gibt er nochmals den Moderator, plaudert charmant über Lücken, die er in seinem Schulwissen ebenso entdeckt wie in manchem Etat. Und kommt dann zum eigentlichen Anlass: der Instrumentenlücke im Orchester. Es fehlt ein Marimbaphon, und er wirbt für Spenden, stellt sich in der Pause auch zum Tisch des Freundeskreises, um potenzielle Geldgeber direkt ansprechen zu können. Die Plakate vor dem Konzil, dessen Konzertsaal trotz seiner beängstigend niedrigen Decke und mit seinem Charme einer historisch aufgehübschten Prunksitzungs-Halle erstaunlich gut klingt, verraten nicht so viel über das abendliche Programm. „Tumulte“ steht da groß drauf. Deutlich kleiner die Komponisten Mozart und Beethoven. Und ganz klein, versichert Beat Fehlmann, stünden da auch noch die Werke. Muss man im einsetzenden Schneeregen, bei schlechtem Licht und ohne Brille übersehen haben. Alle Sinfoniekonzerte im Konzil haben solche Titel oder Motti. „Leidenschaft“ heißt eines, mit Beethovens Tripelkonzert und „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss. „Zweifel“ ein anderes, mit Chopins erstem Klavierkonzert und der Schönberg-Orchesterbearbeitung des g-Moll-Streichquartetts von Brahms. Beat Fehlmann, der Erfinder: Neue Konzerttitel für alte Konzertformate. Neue Konzertformate für neues Publikum. Er weiß aber dann schon auch, dass so ein Titel auch interpretatorisch die Richtung vorgeben kann. Mit einem zuckergussartigen Dirigat á la Karl Böhm oder Herbert von Karajan wird man in Mozarts vorletzter Sinfonie KV 550 kaum Tumulte hören (bei dem Geiger Kolja Blacher, der das Konzert hier vom Kapellmeisterpult aus leitet, ist das zum Glück ganz anders). Und Fehlmann weiß, dass die Konzertdramaturgie mit Ouvertüre, Solo-Konzert vor, einer Sinfonie nach der Pause nachgerade erzkonservativ ist. „Wir machen das ganz bewusst. Die Plakate sollen ganz klar das Orchester in den Mittelpunkt stellen, nicht die Solisten oder die Werke. Und meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass eine tradierte Konzertdramaturgie noch immer stark nachgefragt ist. Wir haben hier in Konstanz weit mehr Liebhaber- als Fachpublikum“, berichtet Fehlmann. „Außerhalb des Konzils haben wir aber auch neue Formate.“ Die heißen dann vielleicht „Wolfgang am See“ oder „Best of“, ein Konzert, bei dem Chefdirigent Ari Rasilainen, der einst ja auch bei der Staatsphilharmonie war, in 50 Minuten durch die Musikgeschichte reist. Man wird sehen, wie sich so etwas nach Ludwigshafen übertragen lässt. Fehlmann gibt zu: „Ich habe jetzt keinen Werkzeugkoffer, den ich mitnehmen werde.“ Es gehe auch vielmehr um die Haltung, die Einstellung, mit der man einen neuen Job in einer noch fremden Stadt antrete. „Ich kenne die Stadt noch nicht wirklich, bin aber immerhin schon mal bis zur Parkinsel gejoggt“, erzählt er. Und gibt Einblick in seine Urlaubsplanung. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wird er mit seiner Frau verreisen. Nach Ludwigshafen. „Ich werde auch auf jeden Fall in der Stadt wohnen und nicht in einem der schönen, malerischen Dörfer an der Weinstraße.“ Fehlmann versteht sich auch als Vermittler, und damit ist angesichts der angespannten Situation, die zuletzt in der Ludwigshafener Philharmonie herrschte, sicherlich nicht nur die Musikvermittlung gemeint. Es braucht in Zukunft ein ausgleichendes, versöhnendes Element in dem in den vergangenen Monaten so arg gestörten Verhältnis zwischen Intendanz und Teilen des Orchesters. Jene Musiker, die zunächst versteckt, dann ganz offen Frontalangriffe auf den scheidenden Intendanten Michael Kaufmann geritten haben, mögen sich jetzt zufrieden die Hände reiben. Von Fehlmann kommt nur Lob für seinen Vorgänger: „Michael Kaufmann hält die Türen weit auf. Das ist nicht selbstverständlich, und er betont auch, dass dies bei seinem Amtsantritt ganz anders gewesen sei.“ Doch der Vermittler Beat Fehlmann greift auch zu ganz ungewöhnlichen Methoden, wenn es darum geht, Menschen zur klassischen Musik hinzuführen: „Ich glaube jeder Mensch, ganz egal, ob er mit klassischer Musik vertraut ist oder nicht, wird von den großen Werken der Musikgeschichte berührt.“ „Genial“ heißt eine Reihe in Konstanz, in der es auch 50-minütige Kurzkonzerte gibt. Um Schwellen- oder Berührungsängste anzubauen. So nach dem Motto: „Klassik ist nicht nur lang, sondern auch langweilig.“ Und Fehlmann liefert dazu die Höranleitung, indem er im Programmheft eine Partitur mit erklärten Zeichen schreibt, die irgendwo an die Notation der Musik des 20. Jahrhunderts erinnert, etwa im Stile von Mauricio Kagel. Sie soll jenen helfen, die Mozarts g-Moll-Sinfonie KV 550 noch nicht kennen. So, wie es zu den großen Werken der Literaturgeschichte Lektürehilfen gibt, liefert Fehlmann eine Hörhilfe. Grenzen scheint es da in Konstanz kaum zu geben. Die Südwestdeutsche Philharmonie geht auf die Menschen zu. Spielt in Autohäusern, in der Turnhalle des Handballvereins, lässt sich von den Mathematikern und Informatikern der Uni einen Komponierautomaten entwickeln, der, aufgestellt in der Stadtbibliothek, von über 1000 Menschen benutzt wird. Das überzeugendste Ergebnis hat das Orchester dann uraufgeführt. Transparenz und Identifikation sind noch so zwei Schlagwörter, mit denen man Fehlmanns erfolgreiche Arbeit in Konstanz beschreiben könnte. Er gibt dort eine Art Rechenschaftsbericht heraus, keineswegs nur für die Geldgeber. Darin wird nicht nur erklärt, wofür die Gelder verwendet werden, sondern auch warum. Die Strategie des Orchesters wird ebenso offengelegt wie die wirtschaftliche Situation durch ein Controlling genau beobachtet wird. Ein solches Controlling wird es als Ergebnis der Ist-Analyse durch die Münchner Agentur „Metrum“ künftig auch in Ludwigshafen bei der Staatsphilharmonie geben. Die „Metrum“-Studie zur Staatsphilharmonie fordert außerdem auch eine bessere finanzielle Ausstattung für das Orchester – die Minister Konrad Wolf bei der Vorstellung Fehlmanns auch versprochen hat. „Die ,Metrum`-Studie und die Finanzzusage des Ministeriums waren wichtig für meine Entscheidung für Ludwigshafen“, betont Fehlmann. Er weiß, dass vieles davon abhängen wird, wie erfolgreich die Suche nach einem neuen Chefdirigenten als Nachfolger von Karl-Heinz Steffens verlaufen wird. Und er ist Realist genug, um zu wissen, dass diese Suche kein Wunschkonzert ist. Er weiß den Stellenwert der Staatsphilharmonie sehr wohl einzuschätzen, weiß, dass er einen Karrieresprung zu einem wichtigeren, größeren Orchester macht. Aber eben nicht zu den Berliner Philharmonikern oder zu New York Philharmonic. Er sieht in der Staatsphilharmonie ein Orchester des Landes Rheinland-Pfalz. „Es geht hier auch um Demut und Ehrlichkeit. Man muss sich der Situation stellen. Es gibt auf dem Markt einige wenige Orchester für die absoluten Hotspots, in Wien, Berlin oder Frankfurt. Die steigen dort ab. Aber die Staatsphilharmonie spielt eben auch in Pirmasens.“ Und genau dort muss sich seiner Auffassung nach auch der künftige Chefdirigent wohlfühlen, darf ein Konzert nicht als lästige Pflichtaufgabe absolvieren. „Man muss sich damit identifizieren, auch der künftige Chefdirigent muss das. Der darf sich auch in Pirmasens nicht vorkommen wie im falschen Film.“

Ab September 2018 Intendant der Staatsphilharmonie: Beat Fehlmann.
Ab September 2018 Intendant der Staatsphilharmonie: Beat Fehlmann.
Der künftige Arbeitsplatz von Beat Fehlmann: Die Philharmonie in Ludwigshafen.
Der künftige Arbeitsplatz von Beat Fehlmann: Die Philharmonie in Ludwigshafen.
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