Deidesheim Der Neue: Arnold Stadler als Turmschreiber eingeführt

Schlüsselübergabe: Arnold Stadler mit dem langjährigen Bürgermeister Manfred Dörr.
Schlüsselübergabe: Arnold Stadler mit dem langjährigen Bürgermeister Manfred Dörr.

Arnold Stadler, einer der wichtigen deutschsprachigen Schriftsteller, ist jetzt offiziell Deidesheimer Turmschreiber. Feierlich wurde er ins Turmstübchen im Schlosspark geleitet. Er residiert dort einen Monat schreibend und mit viel Kontakt zur Bevölkerung. Ein tägliches Weindeputat steht ihm auch zur Verfügung.

Mit der Einladung auf die einmonatige Turmschreiberei in Deidesheim vollendet sich für den Hesse-, Kleist- und Büchnerpreisträger Arnold Stadler das zweite Dutzend der Ehrungen. Gleichwohl sagt er, derweil sich im bilderreichen historischen Ratssaal die zu seiner Einführung angereiste Gästeschar schon um Sitzplätze bemüht, er habe sich darüber ganz besonders gefreut. Es schließe sich quasi ein Kreis, sagt Stadler. 1990 nämlich, da hatte er die Pfalz kennengelernt; als Stipendiat des Landes im Künstlerhaus Edenkoben. „Diese Eindrücke haben mich stet begleitet. 34 Jahre, eine lange Zeitspanne, gefüllt mit Leben, mit weiten ausschlagenden Amplituden des Daseins. Jetzt bin ich wieder hier und es fühlt sich gut an.“

Vielleicht ist das eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften, die Treue. Zu Meßkirch, seiner Geburtsstadt, und der bäuerlichen Umgebung seines oberschwäbischen Heimatorts Rast hatte er immer eine innige, durchaus nicht unkritische Beziehung. Ihre Atmosphäre durchzieht seine frühe Lyrik wie alle seine nachfolgende Prosa, die weniger romanhaft daherkommt, als zuweilen erwartet, dafür in Innenwelten führt, die sich mit ihrem Nachspüren, ihrer beharrlichen, sehnsüchtigen Fährtensuche als spannender erweist als jeder noch so dramatisierende Plot.

Der Anker Theologie

Auch die Theologie ist so ein Anker, der nie wirklich eingezogen wurde. Ihr hatte sich der 1954 in eine wärmende katholische Umgebung hineingeborene Autor zunächst im Lebensentwurf verschrieben. Um dann doch, wie es der Laudator des Abends, der Turmschreiber-Kollege von 2018, Andreas Maier, beim Inthronisationsfest in Deidesheim so griffig schilderte, in Rom letztminütig das Taxi zum priesterlichen Examenstermin vorzeitig zu verlassen, und dafür in Freiburg, Köln und Bonn Germanistik zu studieren. 1986 wurde er über „Das Buch der Psalmen und die Deutschsprachige Lyrik der 20. Jahrhunderts“ promoviert.

Als Stadler 1990 den Stipendienaufenthalt in Edenkoben antrat, hatte er einen schmalen Lyrik-Band und einen ersten Roman („Ich war einmal“) veröffentlicht. „Feuerland“ entstand in Edenkoben und wurde viel beachtet. Und mit „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ kam das, was man den Durchbruch nennt, die breite Wahrnehmung im Literaturbetrieb.

Es sind Geschichten, Anekdoten, Betrachtungen, Innenschauen, fußläufige „Roadmovies“, Reflexionen, die das „große und das kleine Sein“ gleichberechtigt nebeneinanderstellen. Über 30 Romane, Erzählungen, Betrachtungen, Abhandlungen umfasst Stadlers Oeuvre bisher, kaum ein Werk dabei, das nicht bejubelt und auch mal – auf hohem Niveau – kontrovers diskutiert wurde.

Schriftsteller-Kollege Andreas Maier, ein Laudator, wie man ihn sich kaum backen könnte, stellt Stadlers Werk als „Denk-Prosa“ vor; als „Wanderung zum eigenen Ich“, eine Lebensbewegung, voller Aufrichtigkeit, „aber ohne Wahrheitskitsch“. Mit tiefenanalytischer Zugewandtheit und einem seltenen Talent zur verbalen Veranschaulichung spricht Maier zu den Gästen im Ratssaal. Stadler begreife das Leben als vielfältig, barrierefrei. Das Scheitern und die Sünde gehörten einfach dazu. Maier lobt Stadlers Imagination. Mit Wendungen wie „als ob“ oder „als wäre“ verwandelten sich Sehnsüchte für den Moment in Wirklichkeit .

Herzlichkeit gibt es dazu

Was man dem mit 7500 Euro vergleichsweise bescheiden dotierten Deidesheimer Literaturpreis bescheinigen darf: Er ist mit einer Herzlichkeit und Frische ausgestattet, die alles Pekuniäre wettmachen. Manfred Dörr, Stadtbürgermeister a. D. und Vorsitzender der Literaturstiftung in der Frank J. Lyden Stiftung, führte moderierend durch die Feier. Und sein glühendes Engagement für die Literatur konnte man ihm rundweg abnehmen.

Dörr hat das 1978 aus der Taufe gehobene und zwischendurch etwas verhungerte Projekt Turmschreiber 2016 zur Chefsache erklärt und wieder auf die Beine gestellt; und überdies mit Andreas Maier, Katja Lange-Müller und jetzt eben Arnold Stadler im Beirat federführend für hochrangige Besetzung gesorgt.

Dies spürte man auch der herzlichen Erwiderung Arnold Stadlers auf all die vorangegangenen Elogen: Er fühlt sich offensichtlich empfangen im besten Sinne. In seiner sanften, immer etwas nachdenklich wirkenden, feinabgestimmten Verbalkunst schweift er unter anderem zu Michael Praetorius, der Musik. „Ich singe gerne“, sagt er, eine Kostprobe folgt postwendend. Dann schwenkt er wieder in die Literatur ein. Erinnert zum Beispiel an den altdeutschen Dichter Otfried von Weißenburg, der in den 860er Jahren das erste und größte deutschsprachige Literaturwerk im südrheinfränkischen Dialekt veröffentlichte. „Vermutlich“ sei dieser „ein Südpfälzer“ gewesen, meint er – und streut gleich noch einen seiner unnachahmlichen Merksätze ein: „Provinz gibt es nicht, es gibt nur die Welt.“ Und dann fügt Stadler an: „Ich bin eigentlich nur ein Übersetzer. Ich übersetze die Welt in Sprache.“

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