Mainz Der Pfälzer, der das Lachen ins ZDF zurückbrachte: Zum 75. Geburtstag von Markus Schächter
In der Sonne geben die zarten Rosenblüten alles, um sich gegen die kräftigen Farben der Jahreszeit zu behaupten. Beim Besuch bei Markus Schächter vor wenigen Tagen in Mainz fällt der Blick vom Wohnzimmer auf dieses Farbspektakel im Garten. Und genau dort, so ist es in die Annalen eingegangen, widmete sich der 1949 in Hauenstein (Kreis Südwestpfalz) geborene Medienmanager am 9. März 2002, einem Samstag, seinen Rosen, während das Drama um die ZDF-Intendantenwahl auf dem Mainzer Lerchenberg dem Finale zustrebte.
Nach monatelangem Tauziehen zwischen den beiden von SPD und CDU geführten Freundeskreisen im ZDF-Fernsehrat hatte das Gremium im fünften Wahlgang den damaligen Programmdirektor zum neuen Intendanten gewählt. Markus Schächter war Favorit der Belegschaft, ein Eigengewächs. Aber im rot-schwarzen Farbenspiel wollten die Regierungschefs, vor allem jene aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, andere Kandidaten durchsetzen. Alle fielen durch. Am Ende vermittelten der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), er war Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats, und sein Kollege aus Thüringen, der Speyerer Bernhard Vogel (CDU).
Schächter konnte viel in die Waagschale werfen. Nach seinem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Publizistik und Religionswissenschaft in Frankreich, in München und in Mainz arbeitete er ab 1972 fürs ZDF und den damaligen SWF, bevor er sich 1981 ganz für den Lerchenberg entschied. Dazwischen lagen vier Jahre auf der anderen Seite des Schreibtischs. Von 1977 bis 1981 war der Pfälzer Sprecher der damaligen rheinland-pfälzischen Kulturministerin Hanna-Renate Laurien (CDU). Im ZDF war er seit 1998 Programmdirektor, er leitete zuvor die Kulturredaktion und jene für Kinder und Jugend. Er hob die Kindernachrichtensendung „Logo“ aus der Taufe, die Wissenschaftssendung „Terra X“ ebenfalls.
Wie blickt Markus Schächter heute auf die Umstände seiner Wahl zurück? „Damals waren die öffentlich-rechtlichen Sender ein Kampffeld für Parteien. Es gab die Vorstellung, die Sender seien das, was wir heute unter Influencern verstehen, die selbst ernannten Meinungsdominatoren. Der Kampf war zum Teil makaber.“
Nach fünf Jahren bekam Schächter bei seiner Wiederwahl so viele Stimmen wie nie ein ZDF-Intendant zuvor. Doch noch einmal spielte die Politik übel mit. 2010 schlug er den damaligen Chefredakteur Nikolaus Brender für weitere fünf Jahre vor. Aber die Aufsichtsgremien entschieden sich dagegen, allen voran Roland Koch (CDU), damals Ministerpräsident von Hessen. Brender musste gehen. Rheinland-Pfalz zog vors Bundesverfassungsgericht, und Karlsruhe entschied 2012, dass der Einfluss der Regierungen in den Gremien der Öffentlich-Rechtlichen weniger werden müsse. „Es hat entpolitisiert, versachlicht und geholfen, die Wahlen zu einem Intendanten weitaus weniger dramatisch zu gestalten“, sagt Markus Schächter über das Urteil.
Sein Verdienst an der Senderspitze war es, den damaligen Ein-Kanal-Sender ZDF in der digitalisierten Welt zu einer Senderfamilie auszubauen. Neo, Arte, 3Sat und ZDF Info kamen hinzu. Doch noch etwas hat Markus Schächter den ZDF-Zuschauern hinterlassen. Fast drei Jahrzehnte, nachdem sein Vorgänger die Satire aus dem Sender verbannt hatte, holte er sie zurück. Georg Schramm und Urban Priol starteten 2007 mit der Sendung, die schon im Titel einen Schuss Selbstironie trägt: „Neues aus der Anstalt“. zwei Jahre später ging die „heute-Show“ erstmals auf Sendung.
Aus dem Experimentierlabor ZDF Neo ist Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ ins Hauptprogramm eingezogen. Der Mann punktet beim jungen Publikum. Markus Schächter dagegen fremdelt mit dem Genre. „Böhmermann hat eine Vorstellung von Satire, die weit über das hinausgeht, was das klassische Feld von Satire ist. Er hat Journalismus integriert und muss sich dann auch mit journalistischen Kriterien messen lassen.“ Böhmermann löst immer wieder Streitfälle aus.
Von einem anderen Star des Senders dagegen spricht Markus Schächter bei dem Treffen in seinem Haus in sehr warmen Tönen. Thomas Gottschalk, der langjährige „Wetten dass...?“-Moderator. Gottschalk bleibe der „coole Kumpel“, der „König der Leichtigkeit, auch wenn er im Moment nach außen nur hadert und motzt“. Beide pflegen nach wie vor den Kontakt. Ein Abendessen mit Gottschalk gehöre zu den lustigen und angenehmen Begegnungen. Weil er ihn so lange kennt, hat er auch eine Begründung parat, warum Gottschalk gerade mit, nun ja, schwierigen Äußerungen von sich Reden macht. In einem „Spiegel“-Interview sagte er jüngst, Frauen im Fernsehen „rein dienstlich angefasst“ zu haben. „Manchmal merkt Gottschalk selbst, dass er wieder in die Aufmerksamkeitsökonomie investieren muss. Dann bringt er ein neues, schlagzeilenfähiges Buch auf den Markt“, sagt der langjährige Senderchef.
Nachdem Markus Schächter für eine dritte Amtszeit nicht mehr kandidieren wollte und sich 2012 aus dem ZDF verabschiedete, widmete er sich der Wissenschaft und der Lehre. Schon durch seine frühere Tätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater wurde ihm der Titel Professor verliehen. Doch nun war er Mitbegründer des Lehrstuhls Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Die Ethik des Algorithmus sei zu seinem Thema geworden.
Jäh musste er vor sechs Jahren die Lehrtätigkeit einstellen. „Da kam der Schlag ins Kontor“, wie Schächter seinen Schlaganfall nennt, der ihm das Laufen erschwert. Einige Ehrenämter hat er behalten. Den Vorsitz im Kuratorium Hoher Dom zu Mainz wird er zwar bald abgeben, im Kuratorium der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer bleibt er aber Mitglied.
Dass ihm die Mobilität fehlt, um mit seinen vier Enkeln Fußball zu spielen, das schmerzt den Familienmenschen und Vater von drei Kindern sichtbar. Dennoch – bei einem Telefonat wenige Tage nach dem Besuch hört es sich im Hintergrund sehr lebhaft an. Seine Frau und er hätten „Enkeldienst“, erklärt er.
Die Familie in Hauenstein sehe er viel häufiger als früher. Weil alle noch leben, seine fünf Brüder und Schwestern sind zwischen 73 und 87 Jahren alt, sei Grund genug, sich häufig zu treffen, zu feiern, zu singen und viel zu erzählen. Markus Schächter ist der Zweitjüngste und wird an diesem Donnerstag 75 Jahre.
Die Heimatverbundenheit zur Pfalz ist auch in dem Mainzer Haus sichtbar. Beim Abschied macht Markus Schächter an der Eingangstür auf das Werk eines Pfälzer Künstlers aufmerksam. Es ist eine Ansicht von Hauenstein. Darauf ist die Kirche zu sehen – und das Elternhaus.