Kultur Der Tausendsassa

Spielt nicht nur Klarinette, sondern komponiert und dirigiert auch – und begeistert sein Orchester wie Publikum: Jörg Widmann.
Spielt nicht nur Klarinette, sondern komponiert und dirigiert auch – und begeistert sein Orchester wie Publikum: Jörg Widmann.

Jörg Widmann ist Komponist, Klarinettenvirtuose und Dirigent in einer Person. Und er kann ein junges Orchester für sich begeistern. Mit allen vier Eigenschaften bekam es das Publikum beim BASF-Sinfoniekonzert im Feierabendhaus Ludwigshafen zu tun. Unter seiner Leitung spielte die Junge Deutsche Philharmonie Robert Schumanns zweite Sinfonie, zuvor gab es Widmann satt.

Erst war die Orchesterbearbeitung des Andantes aus einer frühen Klarinettensonate von Mendelssohn zu hören, dann eine etwa 40-minütige Messekomposition – ohne Sänger, nur für großes Orchester. Der dem Kollegen Aribert Reimann gewidmete Mendelssohn ist eines jener hübschen Sächelchen, die sich perfekt zur Zugabe eignen. Mit traumverlorener Sicherheit blies der nebenbei auch dirigierende Jörg Widmann seine Klarinette, das um Harfe und Celesta bereicherte Streichorchester assistierte mit großer Aufmerksamkeit. Mendelssohn war erst 15, als er die Es-Dur-Sonate schrieb; nichts Weltbewegendes, aber durch seinen unirritierbar melodiösem Zuschnitt schon ein Hinweis auf die Pranke des Löwen. Einsatz und Spielfreunde der aus den besten Studenten der deutschen Musikhochschulen rekrutierten Jungen Deutschen Philharmonie waren überzeugend, noch überzeugender in Widmanns Messe für großes Orchester, einer Auftragsarbeit der Münchner Philharmoniker und von diesen 2005 unter Leitung von Thielemann aus der Taufe gehoben. Von Thielemann weiß man, dass er nicht gerade süchtig nach Uraufführungen ist. Dass er es im Falle der Widmann-Messe dennoch tat, heißt eigentlich nur: So avantgardistisch neu kann die Musik gar nicht sein. Ist sie auch nicht, trotz gelegentlicher orchestraler Entfesselung klingt die Messe ziemlich kommod. Bleibt die Frage, ob man eine Messe ohne Text (und also ohne Sänger) schreiben kann. Kann man, manchmal klingen die einzelnen Orchesterinstrumente frappierend sprachähnlich. Die weitaus spannendere Frage ist, ob eine Messe ohne Sanctus und Agnus und mit auf Crucifixus und Et resurrexit beschränktem Credo, also ohne Eucharistie und Glaubensbekenntnis überhaupt eine richtige Messe sein kann. Ist sie nicht, ist eben ein in die Conditio humana verkrallter Widmann – stark im explosiv in den Raum geschleuderten Kyrie, stark im von Blech und Glockeninstrumenten zum Dröhnen gebrachten Gloria, das Et in terra pax hingegen zart und fast hilflos in seiner (unmöglichen?) Bitte nach dem Frieden auf Erden. Die Leistung des jungen Orchesters war enorm, bestach durch Ausgeglichenheit in allen Gruppen, instrumentales Können und bedingungsloses aufeinander Hören – und eine gute Probenarbeit. Der mit großem Körpereinsatz dirigierende Komponist war zu Recht angetan, Die gute Vorbereitung kam hörbar auch Schumanns zweiter Sinfonie (in C-Dur) zu Gute, wobei des Guten im heftigst gestrichelten Scherzo-Satz wie im rasant durchgepeitschten Finalsatz ein gutes Stück zu viel war, Eine Sinfonie, selbst eine des immer etwas hektischen Schumann, ist keine Etüde. Fast hatte man den Eindruck, die Freude am eigenen Können hätte die Vorsicht der Musik gegenüber überrannt. Aber macht nichts, man kann es auch mal so machen, wie Widmann und seine ihm bedingungslos auf seine wedelnden Gesten folgenden Musiker es getan haben. Heißt, deren Frische überzeugte, der Posten Interpretation weit weniger. Indessen waren am Ende alle zufrieden, das Publikum, der Dirigent und das begeistert mit dem Füßen trampelnde Orchester.

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