Kultur Desaströses Dinner

Nach dem Fenchel-Anchovi-Salat wird die Fassade langsam bröckeln: Bijan Zamani, Lara-Sophie Milagro, Nora Buzalka und Götz Schul
Nach dem Fenchel-Anchovi-Salat wird die Fassade langsam bröckeln: Bijan Zamani, Lara-Sophie Milagro, Nora Buzalka und Götz Schulte (von links) in »Geächtet«.

Das mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Konversationsstück „Geächtet“ des New Yorker Dramatikers Ayad Akhtar ist vor zwei Jahren der Renner an deutschsprachigen Bühnen gewesen, wurde von Hamburg bis Wien und von Dresden bis Köln rauf- und runtergespielt. Antoine Uitdehaags Inszenierung am Münchner Residenztheater gehört dabei sicher zu den konventionelleren. Bei den Festspielen Ludwigshafen am Theater im Pfalzbau ist sie jetzt dort zu sehen gewesen.

Die Geschichte von Amir Kapoor und der amerikanischen Gesellschaft ist nicht die einer gelungenen Integration. Es ist die einer perfekten Assimilation. Der Sohn pakistanischer Einwanderer ist als Anwalt so erfolgreich, dass er kurz vor der Partnerschaft in einer renommierten Kanzlei steht. Seine Hemden kosten 600 Dollar pro Stück, und von ihrem schicken Loft aus haben seine Frau und er einen Blick auf das Kaufhaus Macy’s. Was eine kleine Abweichung von Akhtars Text ist, der sie in der Upper East Side verortet. Aber Regisseur Uitdehaag will wohl, dass wir wirklich verstehen, wie sehr sein Kapoor die amerikanischen Werte verinnerlicht hat. Um zu zeigen, dass er mit dem Islam, der Religion seiner Eltern, absolut nichts mehr am Hut hat, serviert seine Frau einem eingeladenen Ehepaar zum Abendessen Schweinelende. Die Fallhöhe ist also recht hoch. Dieses desaströse Dinner ist die Schlüsselszene in „Geächtet“. Mit ihr nimmt die zuvor dahinplätschernde Inszenierung Fahrt auf. Da ist allerdings schon über eine Stunde vergangen, und die Vorstellung biegt allmählich auf die Zielgerade ein. Bei diesem Dinner also sitzen mit Amir (Bijan Zamani), seiner protestantisch-amerikanischen Frau Emily (Nora Buzalka), dem jüdischen Galeristen Isaac (schön schmierig: Götz Schulte) und der afroamerikanischen Anwältin Jory (Lara-Sophie Milagro) vier allzu holzschnittartig angelegte Figuren zusammen. Die Religion dient als Mittel, schon lange schlummernde Konflikte zwischen ihnen aufbrechen zu lassen. Erst kommt heraus, dass Jory statt Amir Partnerin in der Kanzlei werden wird, und dann, dass die aufstrebende und sich für die islamische Kultur begeisternde Malerin Emily mit Isaac ins Bett geht. Auf dem Eskalationsgipfel lässt sich Amir dazu hinreißen, angesichts der Attentate vom 11. September einen „klammheimlichen Hauch von Stolz“ zu äußern, woraufhin Isaac ihn einen „verkappten Drecksdschihadisten“ nennt. Am Ende schlägt Amir seine Frau und legt damit nicht nur seine Ehe in Trümmer, sondern gleich seine komplette berufliche und soziale Existenz. Welchen Anteil haben der sich bis zum offenen Rassismus steigernde misstrauische Blick auf alles kulturell Fremde seit dem 11. September an diesem Scheitern? Welche Ressentiments trägt jeder von uns in sich, welche Klischees haben auch wir Europäer in unseren Köpfen? Das sind die Fragen – heute wichtiger denn je –, die „Geächtet“ unter der Oberfläche verhandelt und die Regisseur Uitdehaag nur ansatzweise zulässt. Weil er den spannenden Stoff zumindest über weite Strecken als emotional lauwarme Boulevardkomödie inszeniert. Emily und Amir und später auch ihre Gäste sitzen in einem hübsch und teuer eingerichteten, in reinem Weiß strahlenden Wohnzimmer (Bühne: Momme Röhrbein). Existenzielle Konflikte schlummern hier. Uitdehaag lässt sie nur im Ansatz aufbrechen. Die Szene, in der Amir seine Frau schlägt, hätte man plakativer, sprich: brutaler inszenieren können. Die Identitätsprobleme des nur scheinbar so perfekt angepassten Amir hätten deutlicher herauskommen können. Stattdessen konnte der Regisseur billigsten Gags nicht widerstehen: So lässt er Isaac sagen, Amir sei „zu allem Überfluss auch noch Alkoholiker“ und anschließend einen kräftigen Schluck Rotwein nehmen. Dem Ludwigshafener Publikum hätte man durchaus mehr Auseinandersetzung mit Religion, Ressentiments und Rassismus zumuten können. Das Bedürfnis danach ist jedenfalls da – wie der auffallend zurückhaltende Applaus gezeigt hat.

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