Literatur Ein Ereignis: Aus dem Nachlass erschienen, der letzte Roman von Peter Kurzeck

Die Schwerkraft des Alltags in Lust verwandeln: Kurzeck.
Die Schwerkraft des Alltags in Lust verwandeln: Kurzeck.

Elf Jahre nach seinem Tod ist jetzt Peter Kurzecks letzter Roman aus seinem Nachlass erschienen – und steht prompt auf Platz eins der Bestenliste. In „Frankfurt – Paris – Frankfurt. Das alte Jahrhundert“ erzählt der wunderbare Autor von seinen Anfängen, seinen Reisen, dem Schreiben und dem Trinken, den letzten Dingen. Seine Abschiedsworte: „Bald wieder Sommer“.

Als Peter Kurzeck im November 2013 starb, war der Verlust riesig für alle, die seine in Entstehung begriffene, auf zwölf Bände angelegte Romanchronik „Das alte Jahrhundert“ bis zu dem 2011 erschienenen „Vorabend“ mitgelesen hatten. Die Chronik schien ans Ende gekommen, es sah aus, als könne Kurzecks autobiografisch grundiertes Projekt, nicht fortgesetzt werden, ein Projekt, das von dem Autor Peter im Frankfurt 1984 nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin erzählt, und sich gegen die Endlichkeit und Sterblichkeit stemmt, indem es das Leben seines Erzählers durch Sprache in einen faustischen Moment, die Last der Sorgen und die der Schwerkraft des Alltags in Lust verwandeln will.

Zum Glück für die Leser fand sich in der Arbeitswohnung im südfranzösischen Uzès der umfangreiche Nachlass mit zum Teil weit ausgearbeiteten Manuskripten. Der erste Nachlassband, das Romanfragment „Bis er kommt“, Band sechs der Chronik, erschien 2016. Im September 2018 meldete Kurzecks Verlag Stroemfeld Insolvenz an. Wieder war unklar, wie es weitergehen würde. Der Frankfurter Schöffling Verlag übernahm die Betreuung. Band sieben, „Der vorige Sommer und der Sommer davor, und Band acht „Und wo mein Haus“ sind in den vergangenen Jahren erschienen, und nun ist „Frankfurt – Paris – Frankfurt“ herausgekommen, das „Parisbuch“, von dem Kurzeck zu Lebzeiten oft gesprochen hat. Der letzte Teil der Chronik, der erscheinen kann.

Das Buch erzählt von Kurzecks Anfängen als Autor und von einer Reise Peters und Sibylles nach Paris. Sie erinnert den Erzähler auch an seinen ersten Besuch in der Stadt, die seiner Weltgier und Getriebenheit den idealen Raum bot. Auch der Autor Kurzeck besuchte keine andere europäische Metropole so oft. Das Reisen, das Gehen waren ihm, der als Kind aus Böhmen vertrieben wurde und dem die Erfahrung der Flucht ein Leben lang im Körper steckte, ursprünglich kaum das Vergnügen des Flaneurs. Reisen ist obsessiv, zeugt von der Entwurzelung und Verstörung, die dem Erzähler das Suchende mitgeben. Das Wunder: immer wieder gelingt vermittels der Sprache eine Verwandlung, die den Fluch und die extreme Entwurzelung bannt. Die Parisschilderungen in diesem Roman sind von unwiderstehlicher Schönheit.

Vor dem Fenster, der Himmel

Doch auch die Schilderungen von Kurzecks Anfängen als Autor, zeigen wie sehr Kurzeck an die Literatur glaubte. Peter erzählt vom ersten Besuch bei einem Lektor von Suhrkamp, im Verlagsgebäude, das sich zu dieser Zeit in der Frankfurter Lindenstraße befand: „Sibylle und ich. Wir hatten das Manuskript mit. Ein dicker gelber Ordner, beinah wie ein Koffer so groß. Ich hatte vorher angerufen. Wir kannten dort keinen Menschen. Das Manuskript mit meiner alten Schreibmaschine auf karierte Doppelbögen, die gelocht sind und sich im Ordner schlecht umblättern lassen.“ Die deutliche Aufregung verwandelt sich Ernüchterung: „Zehn Uhr morgens, Heizungswärme. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Lektor bei Suhrkamp in so einem engen Büro sitzt. Mit Doktortitel. Aufmerksam, ein freundliches Gesicht. […] Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt so enge Büros gibt. Oben auf dem Dach. Beinah schon ein Kämmerchen. Nicht fürs Denken gemacht und einheitlich weißlichgrau, wie vor dem Fenster der städtische Himmel.“

Eklatant ist der Kontrast zwischen der Kraft, die hier der Erzähler der Literatur zumisst, und dem Betriebsapparat, durch den auch sein eigenes Schreiben hindurchgeschleust werden muss, damit es in die Welt kommt. Eine Zeitlang arbeiten der Erzähler und der Lektor gemeinsam an dem Manuskript, doch das bittere Ende der Zusammenarbeit zeichnet sich schon an: „Meistens vormittags, er und ich in seinem engen Büro und sagen einander, wie weit wir jetzt sind. In der Wirklichkeit und in Gedanken. Und weiter, wie weiter? Geht keiner je auf die Dachterrasse? Nur der Verleger selbst. Einzig er hat den Schlüssel. Wie der liebe Gott oder ein Phantom kann er jederzeit auftauchen und hier, allein oder in Begleitung, den Rand des Himmels abschreiten, die Fensterfront. Der Himmel ein allgegenwärtiger Blick. Im Büro kein Gedanke an einen Winkel, den man von der Dachterrasse aus nicht hätte einsehen können, wohin also mit den Gedanken in diesem Büro?“

Siegfried Unseld lehnte Peter Kurzecks Romanerstling „Der Nussbaum gegenüber dem Laden in dem du dein Brot kaufst“, das Buch, von dem hier die Rede ist, schließlich ab. Der Roman erschien 1979 im Stroemfeld Verlag und Siegfried Unseld hatte, so viel ist sicher, eine verlegerische Fehlentscheidung getroffen.

Anhand des Parisbuchs lässt sich auch etwas beobachten, das den Blick auf die Obsession dieses Erzählens noch einmal schärft bzw. verschiebt: Im Jahr 1977 war Peter Kurzeck noch starker Alkoholiker, die Schnapsflasche war immer griffbereit, auch billiger Supermarktwein fließt hier noch in Strömen, am Schreibtisch, beim Autofahren, selbst noch in den Arbeitsgesprächen im Verlag. Das ist ein wichtiges Motiv auch des Romans: „Bei jedem ersten Buch geht es immer ums Leben. Du musst dir beweisen, dass du ein Schriftsteller bist und zu Recht auf der Welt. Deinen Schnaps bringst du selbst mit.“

Das Trinken flankiert das Schreiben, man wagt kaum sich auszudenken, was aus dem Autor geworden wäre, hätte er nicht radikal mit dem Alkohol gebrochen. Schreiben und Trinken erscheinen hier deutlich als zwei Seiten eines Getriebenseins. Dass das Schreiben aber über das Trinken siegt, markiert letztlich den Sieg des Eros über Thanatos, es verzögert das Sterben, anstatt es zu beschleunigen, prolongiert die eigene Existenz über den Tod hinaus.

Eine Verheißung

So lesen sich die ergreifend schönen letzten Sätzen, Abschiedssätze nun von einem großen Werk, wie eine Verheißung; wie ein unverbrüchlicher Trost aus dem Mund eines um die Sprache Werbenden, sie Liebenden: „Bald wieder Sommer. Bevor sie jetzt gleich ihrem eigenen Lärm und Geschrei hinterdrein, hier hereinstürzen werden, die Kinder, erst eine Pause. Eine Pause und in Ruhe den heutigen Nachmittag und den Weg mit deinem Kind hell vor dir herträumen. Nicht erst gestern dein täglicher Heimweg noch? So auf dem Fußboden, auf der Matratze. Du atmest, du spürst, wie dein Leben dich trägt.“

Lesezeichen

Peter Kurzeck: „Frankfurt – Paris – Frankfurt. Das alte Jahrhundert “; 10. Roman; Schöffling, Frankfurt/Main; 288 Seiten, 28,00

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