Kultur „Es begab sich aber zu der Zeit“

Von Kindern für Erwachsene: Ein Josef und drei kleine Engel warten in einer Kasseler Kirche auf ihren Krippenspiel-Auftritt.
Von Kindern für Erwachsene: Ein Josef und drei kleine Engel warten in einer Kasseler Kirche auf ihren Krippenspiel-Auftritt.

Krippenspiele an Heiligabend aufzuführen, ist nach wie vor eine beliebte Tradition. Doch die Fortsetzung dieser aus den geistlichen Schauspielen des Mittelalters hervorgegangenen Darstellung der Weihnachtsgeschichte durch Laien war im 18. Jahrhundert verpönt, zeigt die Theaterwissenschaftlerin Laura Schmidt in ihrer Studie zum „Weihnachtlichen Theater“.

Schreckliche Dinge wusste 1784 die „Berlinische Monatsschrift“ über Zellerfelde, heute Clausthal-Zellerfeld, zu berichten. Bei der Weihnachtsmesse dort sei es üblich, Sänger „als Engel angekleidet“ auftreten zu lassen, „in weißen Hemden mit grünem Bande“. Der gelehrte Redakteur fühlte sich an die heidnischen Bräuche der Antike erinnert, er überschrieb seinen Text „Christliche Bacchanalien in der Christnacht“. In dem Harzort hatte sich ein Brauch aus dem Mittelalter erhalten, der in Städten wie Berlin ausgestorben war, nämlich den Gottesdienst in der Christnacht mit einem musikalischen Spiel zu begehen. Der Beitrag der „Monatsschrift“, berichtet die Münchner Theaterwissenschaftlerin Laura Schmidt in ihrer Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität, rief eine lebhafte Debatte hervor. Die Mehrzahl der Kommentatoren verurteilte im Geiste der Aufklärung „volkskulturelle Weihnachtsbräuche“. Auch in katholischen Territorien war die Obrigkeit das ganze 18. Jahrhundert hindurch bemüht, gegen die hergebrachten „weihnachtlichen Spieltraditionen“ vorzugehen. 1745 wurde in Bayern untersagt, dass Handwerkertruppen in den Wirtshäusern Weihnachtsspiele mit Hirten, den Weisen aus dem Morgenland und dem bethlehemitischen Kindermord aufführten, Begründung: Es sei zu „Zoten, Raufhändeln und Gotteslästerungen“ gekommen. Der Zellerfelder Korrespondent behauptete sogar, die Darbietungen dort würden „den Pöbel aus den benachbarten Bergstädten hinzulocken, der, um sich gegen die Kälte zu schützen, sich reichlich vorher mit Branntwein versieht“. Doch parallel zu den obrigkeitlichen Restriktionen gegen das nach-mittelalterliche Volkstheater bildete sich, wie Laura Schmidt untersucht hat, jene weihnachtliche „Fest- und Theaterkultur“ aus, die uns heute selbstverständlich geworden ist. Eine Kultur, die – und das unterscheidet sie von den Weihnachtsbräuchen des Mittelalters – vor allem für Kinder bestimmt war und bis heute bestimmt ist. Ein frühes Beispiel bilden zwei kleine Weihnachtsspiele des Leipziger Dichters Christian Felix Weiße aus den 1770er Jahren. Thema waren die Geschenke zu Weihnachten, und Weißes Intention, schreibt Schmidt, war sehr schlicht: Die Kinder wurden in die Pflicht genommen, sich tugendhaft zu verhalten. Die Stücke sollten von Kindern gespielt werden, mit den Erwachsenen als Publikum. Ende des 18. Jahrhunderts erlebte das Weihnachtsfest eine radikale Umgestaltung. Schmidt spricht von einer „Verbürgerlichung“: Die Festbräuche wechselten ihren Ort, sie zogen aus der Kirche und von der Straße in den Familienkreis. Das Wohnzimmer wurde zur Bühne – oft mit Auftritt halbtheatralischer Figuren wie Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht, und manchmal eben auch für kleine Theaterspiele. 1832 führte Albert Lortzing mit seinen Kindern ein Singspiel „Der Weihnachtsabend“ auf, überschrieben „Launige Szenen aus dem Familienleben“. Blickt man auf die Theaterspielpläne heute, muss es überraschen, dass von eigentlichen Weihnachtsprogrammen in den öffentlichen Theatern nicht vor der Mitte des 19. Jahrhunderts die Rede sein kann. 1848 wurde in Hamburg das Stück „Weihnachten“ von August Wilhelm Hesse uraufgeführt. Die Handlung war dem Roman „A Christmas Carol“ von Charles Dickens entnommen, dessen Verfilmung im Fernsehen bis heute allgegenwärtig ist: das Thema der Erlösung in rein moralischer Form, des religiösen Rahmens entkleidet. Von 1869 an wurden dann die „Weihnachtsmärchen“ populär, die mit Weihnachten vom Stoff her nichts zu tun hatten, aber sich eben an Kinder richteten und sie in eine „weihnachtliche“ Stimmung versetzen sollten. Eines dieser Stücke ging ins Opernrepertoire ein: Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ 1893. Dass die Literaturhistoriker seit den 1850er Jahren die mittelalterlichen Weihnachtsspiele wiederentdeckten, führte gelegentlich zu deren Wiederbelebung auf der Bühne. Und manchmal versuchten sich Schriftsteller auch in Nachdichtungen. 1915 brachte Max Reinhardt das „Deutsche Weihnachtsspiel“ von Otto Falckenberg auf die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin, so „sinnenfreudig“ wie „üppig ausgestattet“, schreibt Schmidt. Größere Bedeutung hatten solche „neomittelalterlichen Neudichtungen“ rund um die Krippe und den Stall von Bethlehem in der Laienspielbewegung, auch im Umkreis von Rudolf Steiners Anthroposophie. Steiner strebte „eine Gegenbewegung zur modernen Entmythologisierung der Welt an“, so Schmidt. Auch die Arbeiterbewegung nahm die weihnachtliche Theaterkultur auf. 1894 brachte der Gewerkschaftler Richard Lipinski das „soziale Drama“ „Friede auf Erden“ heraus. „Ich tat, was jener Nazarener lehrte“, sagt die Hauptfigur. „Seine Lehre ganz befolgend, trat ich für die Enterbten ein, ihnen galt meine Arbeit, mein Ringen.“ Aber die Weihnachtsstimmung wurde auch für ganz andere Zwecke genutzt. „Weihnachten, Weihnachten, es wird mir ganz weich zumute!“, heißt es im Stück „Weihnachten im Felde“ des Komödiendichters Roderich Benedix 1871. Der Fortgang lässt dem heutigen Leser den Atem stocken: „Wenn ich jetzt einen Franzosen unter den Händen hätte, ich glaube, ich schlüge ganz sanft zu!“ Im Ersten Weltkrieg häuften sich solche martialischen Weihnachtsstücke. Nur ein Beispiel: „Durch Kriegesleid zur Weihnachtsfreud’“ von Max Ressel, 1916. Auch die Nationalsozialisten wollten das Weihnachtstheater für ihre Zwecke nutzen. 1935 führte Eberhard Wolfgang Möller ein Krippenspiel auf, in dem neben den Figuren der biblischen Geschichte zwei Mitglieder der SA im Mittelpunkt stehen. Schmidt hat darauf verzichtet, ihre Geschichte des Weihnachtstheaters bis in die Gegenwart fortzuführen. Im Spielplan der großen Theater hat sich jedenfalls die Gewohnheit durchgesetzt, immer wieder Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und Tschaikowskys „Nussknacker“-Ballett aufzuführen. Lesezeichen Laura Schmidt: „Weihnachtliches Theater. Zur Entstehung und Geschichte einer bürgerlichen Fest- und Theaterkultur“; transcript Verlag, Bielefeld; 398 Seiten; 39,99 Euro.

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