Kultur Gesang der Unterdrückten
Zwei überwältigende Werke des vergangenen Jahrhunderts erklangen in der Heidelberger Stadthalle im vierten Konzert des Festivals „Modern Times“ unter dem Motto „Nobody knows“: Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert und Luciano Berios Sinfonia für acht Singstimmen und Orchester.
Beide Kompositionen erfuhren vorzügliche Wiedergaben durch die das Festival veranstaltende Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und das Vokalensemble Schola Heidelberg unter Karl-Heinz Steffens` vorbildlicher Stabführung. Erstklassig waren auch die Solisten: Sopranistin Janice Dixon und Trompeter Reinhold Friedrich. Sowohl bei Zimmermanns als auch bei Berios Komposition handelt es sich um Bekenntnismusik, um tönende Manifeste gegen Diskriminierung, Unrecht und Unterdrückung. Zimmermanns Konzert ist „Nobody knows de trouble I see“ betitelt, nach dem ähnlich benannten berühmten Spiritual. Zimmermanns Werk war 1954 entstanden und nahm Bezug auf den Rassismus, in den Vereinigten Staaten. Berio wiederum schrieb seine Sinfonia 1968 unter dem Eindruck von Martin Luther Kings Ermordung und des Vietnam-Kriegs. Gemeinsam ist beiden Werken die gesteigerte Expressivität, der unerhört dynamische Duktus, gepaart mit hohem ästhetischem Anspruch und seltener kompositorischer Meisterschaft. Beide arbeiten mit gigantischen Klangballungen und schmerzenden orchestralen Aufschreien. Mit Zimmermanns Stück schloss sich übrigens auch ein Kreis: Seine Sinfonie in einem Satz war auch 1973, im ersten Konzert des Sommermusikfestes „Modern Times“ zu hören. „Nobody knows de trouble I see“ wartet mit Tönen des Schreckens und der Verzweiflung auf, ist Musik, die sich außer sich gebärdet und betroffen macht. Besonders in einer so spannungsvollen, emotionsgeladenen, optimal koordinierten Aufführung wie jetzt durch die Staatsphilharmonie mit Steffens am Pult, der sich diesmal als sinfonischer Stratege im großen Stil profiliert hatte. Ein Kapitel für sich bildete freilich Reinhold Friedrichs differenziertes, ungewöhnlich brillantes, ausdrucksgewaltiges Trompetensolo. Hingebungsvoll und sehr subtil sang zuvor Janice Dixon, das frühere Ensemblemitglied des Mannheimer Nationaltheaters, vier Spirituals – darunter auch „Nobody Knows The Trouble I’ve Seen“. Berios Sinfonia ist unter anderem ein virtuoses Dokument der Kunst des Zitats. „Die Summe europäischer Komposition“, so Steffens. Zu vernehmen und ganz meisterlich versteckt sind Fragmente von Ravel, Strawinsky, Berg und viel Mahler. Andererseits wurde der Vokalpart, das polyglotte Singen, Sprechen, Deklamieren, Haspeln der vorzüglichen Vokalensemble Schola Heidelberg höchst raffiniert in den Orchestersatz integriert. Der Gesang der Entrechteten, Erniedrigten und Geknechteten entfaltete sich auf suggestivste Weise.