Kultur Jenseits neuer Töne

Krzystof Penderecki
Krzystof Penderecki

Musik von und mit dem polnischen Komponisten und Dirigenten Krzystof Penderecki stand im Zentrum des SWR-Konzerts mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern im Mannheimer Rosengarten, das so eine nur wenig verspätete Geburtstags-Hommage an den im November 85 Jahre alt gewordenen Musiker war, der zu den wichtigen Protagonisten der Neuen Musik zählt.

Polen spielte in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung in der Entwicklung einer neuen Musiksprache, allen voran Krzystof Penderecki, der als Entdecker neuer Klangwelten galt und mit innovativen Werken in der musikalischen Avantgarde Zeichen setzte. Penderecki war es auch, der mit seiner Lukas-Passion das wahrscheinlich erste große Erfolgsstück der Neuen Musik nach 1945 komponierte, das auch außerhalb der Insider-Zirkel große Wirkung entfaltete. Schon in seinem Stabat mater, das auch Teil der Passion wurde, und dem Schlussstück der Passion, die beide mit einem Dur-Akkord schließen, deutete der Komponist an, dass die traditionelle tonale Musik für ihn noch nicht „ausgestorben“ war. Zunehmend schrieb er Musik im Bann der klassisch-romantischen Überlieferung. Auch beim Konzert in Mannheim waren jetzt neuere tonale oder zumindest gemäßigt neutönerische Werke von ihm zu hören. Den ersten Teil des Abends im Musensaal dirigiert Krzystof Penderecki selbst, den zweiten sein Assistent Maciej Tworek bei Pendereckis zweitem Violinkonzert „Metamorphosen“, das 1995 von Anne-Sophie Mutter uraufgeführt wurde. Die von Mutter geförderte südkoreanische Geigerin Ye-Eun Choi war die Solistin bei dem rund 45-minütigen, einsätzigen Werk, das seinem Titel gemäß wenige musikalische Elemente immer wieder in neuer Gestalt bringt. Vor allem aber ist das Stück ein großer dramatischer Spannungsverlauf zwischen motorischer Kraft, dramatischen Aufschwüngen und Momenten fast meditativer Ruhe. Es ist ein großräumig angelegtes Konzert mit dankbaren solistischen Aufgaben und einer opulenten Kadenz, das immer wieder bekannte Violinkonzerte (etwa das von Beethoven) zitathaft aufscheinen lässt. Das gleichsam sinfonisch ambitionierte Stück, das dem Orchesterpart neben der Solovioline gleichberechtigte Bedeutung gibt, schließt mit einem großen erhabenen, fast apotheotischen Klangfeld. Ye-Eun Choi faszinierte nicht nur durch die technische Beherrschung ihres umfangreichen Parts, noch viel mehr begeisterte sie durch die Intensität ihres Vortrags und ihre Identifikation mit Geist und Musik des Werks. Eine Freude war auch ihre Zugabe mit einem Solowerk von Bach. Maciej Tworek gestaltete überlegen und höchst vielfarbig den komplexen Orchesterpart des Violinkonzerts, der zeigte, dass Penderecki auch in sozusagen konventioneller Tonsprache immer noch auf der Suche nach speziellen Klangschattierungen ist. Begonnen hatte der Abend mit dem Adagio aus Pendereckis dritter Sinfonie in der Neufassung von 2013. Das reine Streicherstück in tristanesker Klangsprache und Haltung erinnert an spätromantische Musik, etwa an Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“. Klar, dass der Komponist am Pult der erlesen spielenden Streicher der Deutschen Radio Philharmonie mit dem Soloquartett der Konzertmeister für eine idealtypische Wiedergabe sorgte, die von Klangschönheit und durchsichtiger Auffächerung der Struktur gekennzeichnet war. Penderecki dirigiert schon seit Langem nicht nur eigene Werke, sondern mit großen Orchestern auch das klassisch-romantische Repertoire. In Mannheim bot er nun eine sehr überzeugende Wiedergabe der neunten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch. In den 1990er-Jahren traf ich just in Mannheim Penderecki zu einem Interview – und da meinte er zu mir, dass Schönberg gewiss als großer Neuerer in die Musikgeschichte eingegangen sei, dass aber die bedeutendste Musik des 20. Jahrhunderts doch eher von Komponisten wie Bartok oder eben – der Name fiel ausdrücklich – Schostakowitsch stamme. Die enge Vertrautheit mit dieser Musik und das Wissen um ihren Wert führten zu einer in Faktur und Charakter kongenialen Wiedergabe dieser Neunten der anderen Art, bei der Penderecki ganz lakonisch und ohne jede Übertreibung, dafür ganz klar und pointiert die antiheroische Haltung des Werks deutlich machte. Viel Beifall für ihn, seinen Assistenten, die Solistin und nicht zuletzt das Orchester.

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