Kultur Keine Reichsparteitagsstimmung

Hitlers Lieblingsoper zu Ostern: Christian Thielemann dirigiert „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Salzburg. Die Wagner-Oper ha
Hitlers Lieblingsoper zu Ostern: Christian Thielemann dirigiert »Die Meistersinger von Nürnberg« in Salzburg. Die Wagner-Oper hat der Ex-Mannheimer Jens-Daniel Herzog inszeniert.

Das Salzburger Osterfestspiel-Publikum liebt den ebenso charismatischen wie kompromisslosen Berliner Christian Thielemann, der überhaupt keine Probleme damit hat, dass man ihn als Preußen bezeichnet. Er schätzt die preußischen Tugenden, definiert sich über eine deutsche Kapellmeistertradition, in der man sein Handwerk von der Pike auf lernt. Auch am Wochenende jubelte das internationale Publikum Thielemann und seiner Sächsischen Staatskapelle nach der Premiere von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Großen Festspielhaus zu. Ohne Thielemann und sein Dresdner Orchester würde es die Osterfestspiele in Salzburg auch vielleicht gar nicht mehr geben. Gegründet wurden die Osterfestspiele 1967 durch Herbert von Karajan. Der wollte damals nicht nur sein eigenes Festival haben, in dem er alleine das Sagen hatte, sondern auch seinen Berliner Philharmonikern, die ja ein Konzertorchester sind, die Möglichkeit geben, Opern zu spielen. Bis 2013 blieben die Berliner unter den Nachfolgern Karajans der Stadt an der Salzach treu. Dann kehrten sie Salzburg schnöde den Rücken und spielen seit damals bei den Osterfestspielen in Baden-Baden. Thielemanns große Stunde nahte. Er, der ohnehin ein glühender Karajan-Verehrer ist, sprang mit dem Orchester der Semperoper Dresden ein. Seit 2012 ist Thielemann Generalmusikdirektor des berühmten sächsischen Opernhauses. Und es lief und läuft ja auch gut in Salzburg. Die Produktionen, die während der Osterfestspiele zu sehen sind, wandern danach an die Semperoper. So kann man die finanzielle Last auf mindestens zwei, bei den aktuellen „Meistersingern“ sogar auf vier Partner verteilen, weil noch zwei japanische Opernhäuser mit im Boot sind. Die Festspiele an Ostern sind noch ein wenig teurer als die im Sommer, die Menschen kommen vielleicht auch noch ein wenig mehr wegen des Gesehen-Werdens hierher. Da rückt dann die Kunst auf der Bühne vielleicht eher in den Hintergrund. Jedenfalls bei der Dame in der ersten Reihe des Oberranges: Die Hälfte der fast sechsstündigen Aufführung lang ist sie mit ihrem Handy beschäftigt, beantwortet Nachrichten und schaut sich Bilder an, lässt sich beobachten. So kann man einen Opernabend auch verbringen. Christian Thielemann ist verantwortlich für die künstlerische Ausrichtung der Festspiele, und das soll aus seiner Sicht auch so bleiben. Er holt sich die meist vorzüglichen Sänger zusammen und wählt auch die Regisseure aus, die sich durchaus den Bedürfnissen des Publikums anpassen. Jens-Daniel Herzog, ehemaliger Schauspieldirektor des Mannheimer Nationaltheaters, verlegt die Handlung der „Meistersinger“ in ein Theater, das aussieht wie die Dresdner Semperoper. Hans Sachs ist Regisseur an dem Haus, zugleich aber auch für das Schuhwerk der Darsteller verantwortlich, was vorsichtig ausgedrückt ein wenig albern wirkt. Aus seinem Lehrbuben David wird ein Regieassistent, der Chor wird zu Bühnenarbeitern, und aus dem Vorsingen Walthers von Stolzing zwecks Aufnahme in der Meistergilde macht Herzog ein Vorsingen am Theater. Walther möchte Teil dieser Starsänger-Riege werden, doch als er im Finale am Ziel seiner Träume scheint, zeigt er den Meistern die kalte Schulter und sucht mit seiner Braut Eva das Weite. Hans Sachs, der das alles angezettelt hat, kann sich nur schlapplachen. Thielemann glaubt, ein Gefühl dafür zu haben, was er dem Salzburger Publikum zutrauen kann und was nicht. Nur keine Experimente, nur kein Risiko, bloß keine Provokationen. Und alle, auch der geschäftsführende Intendant Peter Ruzicka, ordnen sich dem Ausnahmedirigenten unter. Doch Ruzicka soll 2020 einen Nachfolger bekommen, der Thielemann so gar nicht passt: Nikolaus Bachler, derzeit noch Intendant der Bayerischen Staatsoper in München. Ab 2022 soll er sogar die künstlerische Verantwortung in Salzburg übernehmen, was faktisch einer Entmachtung Thielemanns gleichkäme. Der hat dann auch schon gleich mal in den „Salzburger Nachrichten“ einen rausgehauen: „Mit Herrn Bachler wird es nichts. Wenn die Politiker ihn wollen, muss ich gehen.“ Es wäre nicht der erste vorzeitige Abschied in der Karriere des Christian Thielemann, und natürlich würde sein Orchester mitgehen. Die Osterfestspiele stünden dann ohne Orchester da. Es sei denn, die Berliner Philharmoniker kämen nach Salzburg zurück – und ließen wiederum die Osterfestspiele in Baden-Baden im Stich. Noch aber ist er in Salzburg der unumstrittene Chef, und er tut das, was er am besten kann: Thielemann dirigiert Wagner. Er weiß natürlich um die Minen, auf die man gerade bei den „Meistersingern“ treten kann. Das Stück war Hitlers Lieblingsoper, es gab festliche Aufführungen des Nazi-Regimes, die wie Reichsparteitage inszeniert wurden – und umgekehrt wurden Reichsparteitage wie die „Meistersinger inszeniert. Vor allem die Schlussansprache des Sachs hat es in sich. Da wird die Überlegenheit der „deutschen Kunst“ gegenüber dem Ausland (wörtlich dem „welschen Tand“) gefeiert. Die Salzburger Regie von Jens-Daniel Herzog lässt alles Politische außen vor. Diese Ansprache, die eigentlich an das Volk auf der Festwiese gerichtet ist, trennt er von dem Massenauflauf. Sachs redet Walther im persönlichen Gespräch ins Gewissen, das Volk bekommt davon gar nichts mit. Thielemann ist das ohnehin egal. Allerdings vermeidet er das zu dick aufgetragene Pathos. Seine „Meistersinger“ sind eher zurückhaltend, sehr detailverliebt und versuchen auch durch extrem langsame Tempi, gar keine Reichsparteitagsstimmung aufkommen zu lassen. Für die Sänger ist das ein Fest, weil das Orchester alle Rücksichten auf sie nimmt. Das hilft dem großartigen Georg Zeppenfeld, die höllisch schwere Partie des Hans Sachs grandios durchzustehen. Und auch der souveräne Klaus Florian Vogt als Walther komplettiert ebenso wie Jacquelyn Wagner (Eva) und Adrian Eröd (Beckmesser) ein stimmlich absolut festspielwürdiges Ensemble. Ganz unbeeindruckt von den Querelen um das Festival – und von der Frau in der Reihe vor mir, die dann zum Schlussapplaus natürlich auch ihr Handy zückt, um eifrig Fotos zu machen und auch gleich zu verschicken.

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