Kultur Magie der leisen Töne

Faszinierende Aufführung vor beeindruckender Kulisse: Am Dienstagabend erklang beim „Heidelberger Frühling“ Claudio Monteverdis „Marienvesper“ in der Jesuitenkirche der Neckarstadt. Das Konzert stand unter der Leitung von Markus Uhl, im Hauptberuf Bezirkskantor an dieser zweitgrößten Kirche Heidelbergs.

Monteverdis

„Marienvesper“, 1610 gedruckt und damit in unmittelbarem Umfeld seiner Oper „L`Orfeo“ stehend, ist ein wahres Wunderwerk des italienischen Meisters an der Schwelle zwischen Spätrenaissance und Frühbarock. Eine Art Visitenkarte, mit der Monteverdi nachwies, was er, salopp gesagt, so alles drauf hatte. Und er hatte so einiges drauf. Das Jahr 1600 markiert eine Wende in der Musikgeschichte. Mit der Erfindung der Oper eröffnen sich dem menschlichen Gesang völlig neue Möglichkeiten. Der strenge Satz der vokalen Mehrstimmigkeit, das, was Monteverdi „prima prattica“ nennt, wird abgelöst durch einen Sologesang, der sich am Text orientiert. Aus der mehrstimmigen Polyphonie wird die einstimmige Monodie, aus der besagten „prima prattica“ die „seconda prattica“. Nun hat Monteverdi seine „Vespro della Beata Vergine da concerto composta sopra canti firmi („Marienvesper zum Konzertieren komponiert über Cantus firmi“) Papst Paul V. gewidmet, was nicht nur vor dem biografischen Hintergrund zu sehen ist, dass er auf eine Anstellung in Rom hoffte. Es unterstreicht zugleich auch, dass dieses Werk eben auch der Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts seine Reverenz erweist, dass es zum Teil im oben beschriebenen alten Stil komponiert ist. Diesem gegenübergestellt werden hochvirtuose solistische Vokal-Passagen, die auch aus einer Monteverdi-Oper stammen könnten. Die „Marienvesper“ wirkt wie eine Gesamtschau aller kompositorischen Techniken des frühen 17. Jahrhunderts. So viel zur musikhistorischen Einordnung, die auch Grundlage historisch informierter Aufführungen heute ist. Aber es bleibt eben auch ein Rest Ungewissheit, trotz der überlieferten acht Stimmbücher des Drucks. Wir wissen letztlich noch nicht einmal ob die „Marienvesper“ als geschlossenes Werk zu verstehen ist oder ob es sich nicht vielmehr um eine Zusammenstellung früherer Kompositionen handelt. Auch was die Besetzung betrifft, tappen wir weitgehend im Dunkeln. Während frühere Interpreten beispielsweise mit einem Chor agierten, vertraut Markus Uhl in Heidelberg auf acht Solostimmen. Das Orchester – das Ensemble „L’arpa festante“ – doppelt bewusst nicht die Vokalstimmen, hält sich während der gut 80-minütigen, pausenlosen Aufführung eher zurück. Das Ergebnis ist ebenso überraschend wie überzeugend: Natürlich fehlt es dieser „Marienvesper“ – sieht man von dem eröffnenden „Deus in adiutorium“ mit der aus der Oper „L’Orfeo“ bekannten fanfarenhaften Wirkung – an Pracht und Klangfülle der Barockoratorien im Stile Bachs, Händels oder Telemanns. Doch dafür ergibt sich ein klares, überaus transparentes Klangbild, aus dem sich die ganze Ausdruckspalette dieser wunderbaren Musik heraushören lässt. Jede einzelne Textauslegung durch die Singstimme ist nachvollziehbar. Aus dem Solistenensemble ragen die Sopranistin Hanna Zumsande und der Tenor Daniel Schreiber heraus. Mitunter gerät allerdings durch ihre großartige Gestaltungskraft auch das stimmliche Gleichgewicht etwas ins Wanken. Alle Beteiligten reagieren jedoch sehr sensibel und flexibel auf die so unterschiedlichen, immer im Wechsel auftretenden Anforderungen des Werkes. Das Ergebnis: Ein Musikerlebnis der anderen Art, der leisen Töne, der stillen Intensität, das einen für anderthalb Stunden herausträgt aus dem Lärm des Alltags.

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