Kultur „Meistersinger“-Premiere bei den Bayreuther Festspielen vom Publikum gefeiert
Mit dem Australier Barrie Kosky hat am Dienstagabend erstmals ein jüdischer Regisseur bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen inszeniert. Das Publikum auf dem Grünen Hügel bejubelte bei der unter anderem auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem schwedischen Königspaar besuchten Premiere bis auf wenige Buhs die Lesart des Regisseurs, die Richard Wagners einzige komische Oper quasi als Traumvorstellung beziehungsweise als Kunstvision des Bayreuther Meisters versteht. Auf NS-Symbolik in dieser wohl am meisten vorbelasteten Oper Wagners – sie war nicht nur das Lieblingswerk Adolf Hitlers, sondern wurde immer wieder auch für Parteiaufmärsche missbraucht – verzichtete die Regie.
Alles beginnt in Haus Wahnfried
Die Bühne von Rebecca Hingst zeigt im ersten Aufzug Richard Wagners Bayreuther Domizil Haus Wahnfried. Wir schreiben das Jahr 1875, verrät die Regie in einem Vorspann auf dem Vorhang. Richard kommt gerade mit seinen beiden Hunden vom Spaziergang zurück, Cosima Wagner hat Kopfschmerzen. Franz Liszt, Wagners Schwiegervater, wird erwartet, auch der jüdische Dirigent Hermann Levi. Es ist eine eher kleinbürerliche Idylle, die den Meister mit seinem Spleen für Seidenwäsche und teure Parfüms durchaus auch mal der Lächerlichkeit preisgibt. Doch so langsam ergreift die Kunst, ergreift die Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ Besitz von den Protagonisten. Aus Franz Liszt wird Veit Pogner, aus Cosima dessen Tochter Eva, die am Ende, wenn alles gut wird, den geliebten Walter von Stolzing bekommt, der wiederum zunächst aussieht wie der junge Richard Wagner, während Hans Sachs selbst dessen gealtertes Alter Ego darstellt. Hermann Levi schließlich verwandelt sich in Sixtus Beckmesser, die vielleicht böswilligste Karikatur eines Menschen, nicht nur eines Juden, die Wagner je erschaffen hat.
Aus Traum wird Alptraum
Nun beginnt ein Spiel auf drei Zeitebenen, die allerdings nebeneinander herlaufen, nie wirklich und schlüssig zusammengeführt werden: der Renaissance oder Dürer-Zeit (alle Meistersinger tragen die typische Dürer-Frisur), der Wagner-Zeit und der Nachkriegszeit. Gegen Ende des ersten Aufzugs verwandelt sich die Bühne und zeigt von nun an den Gerichtssaal, in dem 1945 die Prozesse gegen die deutschen Kriegsverbrecher stattfanden. Immer stärker auch werden die Traumvisionen Wagners zur Bühnenrealität. Mit furchtbaren Konsequenzen. Sie werden zum Alptraum. Sein Versuch, Beckmesser im zweiten Aufzug bloßzustellen, endet fast in einem Lynchmord an diesem in der berühmten Prügelfuge. Ein riesiger Kopf zeigt die hässliche Fratze aller antisemitischen Vorurteile: die Darstellung eines Juden, wie sie auch im berüchtigten „Stürmer“ NS-Zeiten gezeigt wurde.
Triumph der Männerstimmen
Doch Hans Sachs bereut zutiefst. In seinem Wahnmonolog zu Beginn des dritten Aufzugs macht er sich klar, was er angerichtet hat. Ein darstellerisch wie sängerisch herausragender Michael Volle brüllt aus sich heraus: „Gott weiß, wie das geschah.“ Barrie Kosky hofft also zumindest auf so etwas wie ein schlechtes Gewissen auch bei Wagner, der selbst sämtliche antisemitischen Vorurteile gepflegt hat. Auf der Bühne hat die „Meistersinger“-Welt die Wagner-Realität nun vollends verdrängt. Alle bis auf Sachs tragen nun altertümliche Kostüme. Der totale Triumph der Kunst über das Leben also? Nicht ganz. Zunächst singt Klaus-Florian Vogt in der Rolle des Walter von Stolzing sein Preislied nun wiederum als jüngerer Doppelgänger von Sachs. Er bekommt, was dieser nicht haben darf: die Hand Evas. Dann verlässt der ganze Chor die Bühne, die Requisiten werden hinausgeschoben. Die Opernwelt verschwindet wieder. Zurück bleibt Hans Sachs alleine, am Rednerpult. Als der politische Agitator Richard Wagner. Bis dann der Schlusschor als Opernorchester auf die Bühne gefahren wird. Nun ist die Zeitreise in der Theaterwelt angekommen. Und damit, nicht nur über den Umweg der zitierten Architektur der Nürnberger Prozesse, auch bei uns. Die Inszenierung wird von zwei exzellenten Sängerdarstellern geprägt: neben dem bereits erwähnten Michael Volle als Sachs ist dies noch Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Klaus Florian Vogt singt den Stolzing gewohnt wunderschön lyrisch gefärbt. Leichte Schwächen dagegen bei Anne Schwanewilms, die als Eva einfach zu viele intonatorische Ungenauigkeiten zu verzeichnen hatte. Überzeugend zudem noch Günter Groissböck als Pogner, Daniel Behle als David und Daniel Schmutzhard als Fritz Kothner.
Buhs für Dirigent unverständlich
Die vereinzelten Buhs für Philippe Jordan am Pult des Festspielorchesters bleiben ein Rätsel. Endlich einmal hat man die „Meistersinger“ ohne alle bombastische Emphase, ohne hohles Pathos hören können. Durchsichtig im Klang, federnd und weitgehend in einem Komödienton. Ganz so, wie es sich Wagner ja auch erträumt hatte.