Kultur Metz: Centre Pompidou zeigt 50 Jahre Künstlerleben des Fernand Léger

Im „Zirkus Médrano“ (1918) war Fernand Léger regelmäßiger Gast. Das farbenfrohe Spektakel in der Manege spielt auch noch im Spät
Im »Zirkus Médrano« (1918) war Fernand Léger regelmäßiger Gast. Das farbenfrohe Spektakel in der Manege spielt auch noch im Spätwerk eine große Rolle.

Eine Neuentdeckung? Das vielleicht nicht. Schließlich gehört Fernand Léger zu den festen Größen der modernen Malerei, präsent in vielen Ausstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Dennoch: 20 Jahre nach einer großen Retrospektive in Paris bietet das Centre Pompidou von Metz mit über 60 Werken jetzt auch einiges, was hinter dem allgegenwärtigen Léger in Vergessenheit geraten ist.

Fernand Léger, der Kubist: mit Picasso, Georges Braque und Juan Gris eine der Entdeckungen des legendären Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler, mit dem er 1913 einen dreijährigen Exklusivvertrag unterzeichnet, der schon 1914 endet. Der Erste Weltkrieg verändert die Welt und die Menschen. Verändert er auch die Kunst des Soldaten Léger, der in der Marne-Schlacht kämpft und während des Fronturlaubs mit den Filmen von Charlie Chaplin das Kino entdeckt? Die Fragmentierung von Landschaft und Körper, die der Kubismus ins Extreme führte, hat schon vor dem Fronterlebnis die Kunst revolutioniert, auch wenn der 1881 in der Normandie geborene Fernand Léger später Verdun als „Akademie des Kubismus“ beschreiben sollte. Aber er sagt auch etwas, was durchaus eine Erklärung für die spätere Popularität seiner Kunst sein kann: „Meine neuen Kameraden im Pionierbataillon waren Bergleute, Kanalarbeiter, Holzfäller und Metallarbeiter. Unter ihnen lernte ich das französische Volk kennen, sein genaues Wirklichkeits- und Zweckmäßigkeitsempfinden.“ Während andere den Weg in die Abstraktion gehen, macht sich Léger auf die Suche nach der Schönheit in der Moderne. Die neue Zeit, ihre technischen Errungenschaften, die Welt der Arbeit und der Maschinen, die Großstadt mit ihrem Lärm, ihren farbigen Reklamebildern: All das ist präsent in Légers Kunst – durchaus in bis zur Abstraktion gehender Zerstückelung der Formen, immer mit bunten, manchmal sogar grellen Farben – wenn man so will – „verschönt“. Das Ausblenden der Grausamkeit – von Menschen wie von Maschinen – ist etwas, was man ihm durchaus zum Vorwurf machen kann. Noch 1953, zwei Jahre vor seinem Tod, hat Fernand Léger mit dem großformatigen Gemälde einer „Landpartie“ („La Partie de campagne“) das Bild eines „goldenen Zeitalters“, einer glücklichen Idylle, entworfen, wie die französische Malerei es schon im 18. und mit der einbrechenden Industrialisierung auch im 19. Jahrhunderts häufig thematisierte. Eine bukolische Szenerie, die keine Arbeitskämpfe, keine Not, keine Dissonanzen kennt, nur brüderlich vereinte Menschen im Einklang mit der Natur in einer Harmonie der Farben. Die Farben: Sie machen den Unterschied. Schon bei einem frühen, „rein-kubistischen“ Gemälde wie „La Noce“, einer Straßenszene mit buchstäblich gesprengter Perspektive, die Léger auf dem Salon des Indépendants von 1912 ausstellte. Die Farben sind noch nebelhaft, gedeckt, es dominieren Braun- und Grautöne – in denen ein strahlendes Blau und ein roter Fleck auf sich aufmerksam machen. Zwischen diesem ersten und dem letzten Bild der Ausstellung in Metz liegen fast fünf Jahrzehnte Suche nach der Schönheit, die Fernand Léger im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen überall fand. Dass neben der Liebe zu den Farben auch die präzise Konstruktion ein durchgehendes stilistisches Kennzeichen bleiben, mag mit der Ausbildung des jungen Fernand Léger zusammenhängen: Erst 1900 kommt der gelernte Architekturzeichner nach Paris, malt impressionistische Bilder, zerstört sie, zieht 1908 nach Montparnasse, wo er auf die Maler Robert Delaunay, Marc Chagall, Amedeo Modigliani, die Dichter Blaise Cendrars, Guillaume Apollinaire und viele andere trifft. Mit „La Noce“ beginnt der Léger, den wir kennen und der sich 1917 langsam vom Kubismus verabschiedet – etwa mit einem Gemälde wie „Die Kartenspieler“, in dessen Titel eine Hommage an Cézanne mitklingt, das aber auch den Menschen als Roboter und Légers Faszination für mechanische und industrielle Ästhetik zeigt. Bedrohlich ist das nicht. Ebenso wenig wie die 1924 entstandenen „mechanischen Elemente“, auseinandergenommene und wieder zusammengesetzte Röhren aus Stahl: „Ich liebe die Formen, mit denen die moderne Industrie uns konfrontiert ... den Stahl mit seinen tausend farbigen Reflexen“, schreibt er 1922 an seinen neuen Galeristen Léonce Rosenberg. Zu gleicher Zeit aber entwickelt er eine Begeisterung für die Welt der Reklame, der Buchstaben, die er wie Stahlkonstruktionen auseinandernimmt für den Film, bewegte Bilder, die sich ebenfalls schneiden und neu zusammenfügen lassen. Und er bestimmt den Rhythmus. Ein Stück kubistisches Erbe ist schon noch dabei, wenn er den verehrten Chaplin als „Charlot cubiste“ aus beweglichen, bemalten Holzelementen verewigt. Aber Léger schreibt auch ein Drehbuch für einen Animationsfilm mit dem gleichen Titel, entwirft das Plakat für „La Roue“ (Das Rad) von Filmpionier Abel Gance und dreht zusammen mit dem US-amerikanischen Filmemacher Dudley Murphy den Film „Ballet mécanique“, Ausschnitte von Körpern und Maschinen in Großaufnahme – ein früher Experimentalfilm. Im Gegensatz dazu wieder die Welt von Zirkus und populärem Spektakel. Léger gestaltet Bühnenbilder und Kostüme, sieht den Bühnenraum als Erweiterung der Leinwand, entwirft für die Weltausstellung 1937 in Paris das Monumentalgemälde „Transport des Forces“ (Kraftübertragung), in dem Industrie- in Traumlandschaften eins werden. 1940 flieht er aus dem besetzten Frankreich in die USA, kehrt 1945 zurück, und obwohl er dann sofort Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs wird, entwirft er 1952 das Wandgemälde für den großen Sitzungssaal des UN-Gebäudes in New York (und die wunderbare Illustration zu Paul Éluards Widerstands-Gedicht „La liberté“). Man weiß schon, dass er sich die Welt schön gemalt hat, aber es ist auch heute noch unmöglich, sich seinem Charme zu entziehen. In Metz bespielt Fernand Léger die erste Ebene des Centre Pompidou. Und er ist dort mit seinen Zirkusbildern die Verbindung ins Erdgeschoss, wo die Präsentation „Musicircus“ der Verbindung von Musik und Kunst nachspürt. Aber mit seinen polychromen Blumen aus Zement und Gips auch zu den beiden oberen Ebenen, in der ein „Unendlicher Garten“ aus Kunst von Giverny bis Amazonien blüht. Aber das ist eine andere Ausstellungsgeschichte. Die Ausstellung „Fernand Léger – Das Schöne ist überall“, Centre Pompidou Metz bis 30. Oktober.

„Fleurs polychromes“, polychrome Blumen aus Zement und Gips entstanden in den 1950ern.
»Fleurs polychromes«, polychrome Blumen aus Zement und Gips entstanden in den 1950ern.
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