Literatur Moussa Abadi erinnert sich an die Damaszener Juden, das Nachwort stammt von Rafik Schami

Sein Buch brauchte 30 Jahre, bis es jetzt auf Deutsch erschien: Moussa Abadi.
Sein Buch brauchte 30 Jahre, bis es jetzt auf Deutsch erschien: Moussa Abadi.

„Es war einmal in Damaskus“: So könnten diese Geschichten beginnen, die 30 Jahre und einige Übersetzungsumwege brauchten, um schließlich – oder besser endlich? – auch auf Deutsch erzählt zu werden. Allerdings leitet diese Eingangsformel gemeinhin Märchen ein, aber was der 1907 in Damaskus geborene Moussa Abadi als alter Mann in Paris niedergeschrieben hat, sind alles andere als „Märchen aus 1001 Nacht“, sondern Kindheitserinnerungen. Und da mag zwar manches aus heutiger Perspektive märchenhaft klingen – und doch war es einmal Realität.

Dass an einer Jeshiwa, einer Talmudschule, jüdische Kinder nicht nur religiöse Unterweisungen, sondern auch Arabischunterricht erhalten? Unvorstellbar in Zeiten wie diesen, in denen ein friedliches Miteinander der Religionen im Nahen Osten mit jedem Tag ferner zu rücken scheint. Und doch war es möglich, als Moussa Abadi im zum Osmanischen Reich gehörenden Damaskus aufwuchs, in einer Gasse der Altstadt, die parallel zu jener verlief, in der einige Jahrzehnte später Rafik Schami groß wurde. Der seit über 50 Jahren in Deutschland lebende Christ hat zu der unter dem Titel „Die Königin und der Kalligraph“ erschienen Geschichtensammlung des 1997 als Franzose gestorbenen Abadi ein Nachwort geschrieben. Es sind nicht nur die Erinnerungen an ein Damaskus, das es nicht mehr gibt, die die beiden gemeinsam haben, es ist auch die Kunst des Erzählens in einer blumig-bilderreichen, alle Sinne weckenden Sprache, die Menschen, Straßenzüge, Geräusche, Gerüche wie auf einer Bühne lebendig werden lassen. Das ist kein Zufall, denn die Kunst der mündlichen Überlieferung in den Ländern, die wir zum Orient zählen, ist zum einen keine Frage der Religion. Zum andern arbeitete Moussa Abadi, Sohn des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, der nach dem Abitur an einer katholischen Schule mit einem Stipendium 1929 nach Paris kam und an der Sorbonne studierte, später als Literatur- und Theaterkritiker. Nur für kurze Zeit kehrte er 1931 noch einmal nach Damaskus zurück, um dort – auch dies kein Märchen – zwei Jahre als Französischlehrer an einer muslimischen Schule zu arbeiten. Mit Sendungen wie „Images et visages du théâtre d’aujourd’hui“ – Bilder und Gesichter des Theaters von heute – für Radio France Internationale galt seine Aufmerksamkeit ganz besonders jungen Ensembles. Hatte er doch auch selbst als Schauspieler in einem solchen, der Compagnie des Quatre Saisons des später renommierten Theatermanns André Barsacq, mitgewirkt.

Das war, bevor die Realität mit aller Brutalität über dem unterdessen Studierten Kinderpsychologen und mit einer Arbeit über den „Ursprung des Märchens und des Fabliau im Mittelalter“ promovierten Mediävisten Abadi hereinbrach. 1940 marschierten die Nazis in Paris ein, Moussa Abadi floh ins noch nicht besetzte Nizza. Ihm folgte Odette Rosenstock, eine junge Ärztin, die er im Dezember 1939 kennengelernt hatte. Beider Namen wird untrennbar verbunden bleiben mit dem Résistance-Netzwerk „Marcel“: Odette und Moussa retteten mit ihren Helfern 527 jüdische Kinder vor dem sicheren Tod – bevor Odette selbst verhaftet, nach Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen deportiert und schließlich 1945 befreit wurde ...

Das ist eine ganz andere Geschichte – und führt doch zurück zu Moussa Abadis Erinnerungen an seine Kindheit. Da ist beileibe nicht alles eitel Sonnenschein. Es wimmelt nur so von skurrilen Gestalten, Gaunern und Großsprechern. Not, Elend und Verbrechen bleiben keineswegs ausgespart aus den Gassen der Damaszener Altstadt. Aber Abadis zärtlich humorvoller Blick – auch den teilt er mit Rafik Schami – tauchen die Szenerie mitsamt ihren Protagonisten in ein versöhnliches Licht: eher Komödie als Tragödie und ein Blick in die Vergangenheit nicht als Verklärung, sondern als Vision für die Zukunft. Ein winziger Funken Hoffnung, denn schließlich war das Märchen ja schon einmal wahr.

Lesezeichen

Moussa Abadi: „Die Königin und der Kalligraph. Meine Damaszener Juden“, aus dem Französischen von Gerhard Meiser; Nachwort von Rafik Schami; Manesse; 224 Seiten;
26 Euro.

In Syrien geboren: Rafik Schami, der Künstlername bedeutet „Freund aus Damaskus“
In Syrien geboren: Rafik Schami, der Künstlername bedeutet »Freund aus Damaskus«
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