Literatur Punk und Poesie: Die Autobiografie von Slime-Sänger Tex Brasket

„Jede Nacht hat ihren Preis“: Sänger Tex Brasket.
»Jede Nacht hat ihren Preis«: Sänger Tex Brasket.

Millionär wird er wahrscheinlich nie. Aber als Tellerwäscher hat Tex Brasket gearbeitet. Und überhaupt in seinen bisher 44 Lebensjahren unfassbar viel erlebt: Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit, Elend. Aber auch Ruhm: als neuer Sänger der legendären deutschen Punkband Slime. Nun erscheint seine Autobiografie „Dreck und Glitzer“.

Mit den Füßen voraus wurde Nathaniel Gram Brasket am 4. Februar 1980 geboren, einem milden Montag in Galveston, einer idyllischen texanischen Kleinstadt 80 Kilometer südöstlich von Houston. Die Stadt liegt auf einer Insel am Golf von Mexiko und ist berühmt für ihre meilenlangen Sandstrände.

In etwa 8000 Kilometer Entfernung erschien genau zur gleichen Zeit, im Februar 1980, in einer Auflage von 2000 Stück die erste EP von Slime mit dem noch Jahrzehnte später für Aufregung sorgenden Titel „Wir wollen keine Bullenschweine“. In den Jahren danach zementierten die Alben „Slime I“, „Yankees raus“, „Alle gegen alle“, „Viva la Muerte“ und vor allem „Schweineherbst“ den Ruf von Slime als wichtigste deutsche Punkband der 1980er- und 1990er-Jahre. Es gibt sie immer noch, und das damalige Baby Nathaniel aus Texas ist heute ihr Frontmann. Aber dazu später.

Der Start ins Leben war für den kleinen Nathaniel das genaue Gegenteil einer Bilderbuchidylle. Kaum hatte er seinen ersten Schrei getan, wurde er schon positiv auf Kokain und Opiate getestet. Seine Mutter war schwer drogenabhängig, sein Vater saß wegen Totschlags im Gefängnis. Er sollte beide erst viele Jahre später kennenlernen. Der kleine Nathaniel kam nach überstandenem Entzug im Alter von vier Tagen in ein Pflegeheim und weiter zu einem in die USA ausgewanderten deutschen Paar, das ihm mit Thomas Willy Georg gleich drei richtig deutsche Namen gab und bald darauf mit ihm nach Bayern zog. Und wieder in die USA, nach Phoenix, Arizona. Und zurück nach Bayern. Da war er gerade mal 13 Jahre alt.

Bis zur Pubertät hatte dieser Thomas/Nathaniel, der später Tom hieß und inzwischen Tex ist, also schon mehr erlebt als die meisten anderen Menschen in 80 Jahren nicht. Das Hin und Her zwischen Europa und den USA – es sollte sein Leben weiter bestimmen. Als er 18 war, flog er über den Atlantik und machte sich auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern. Er sollte zehn Jahre bleiben und nicht nur sie kennenlernen, sondern auch seine sechs Halbgeschwister. Und der Frau begegnen, die später die Mutter seiner Kinder werden sollte und die wie er aus einer dysfunktionalen Familie kam, wie er in seinem Buch „Dreck und Glitzer“ schreibt.

Es ist sehr viel Dreck und wenig Glitzer, wovon Brasket erzählt. Es handelt von Armut und viel Alkohol, von roher Gewalt, Kriminalität, Suizidversuchen, Depressionen, Psychiatrieaufenthalten und von Drogen, allen denkbaren Drogen. Sich zu merken, welcher amerikanische Verwandte was genau konsumiert, ist praktisch unmöglich. Co-Autor Christian Schlodder sorgt in seinen eingestreuten Kapiteln für einen roten Faden, einen chronologischen Ablauf und einen nüchternen Blick von außen. Brasket schreibt atemlos, schnörkellos und manchmal in brutaler Härte. Es ist die Härte der Straße, die er erlebt hat, seit er 2016 allein nach Berlin zog und dort schnell in der Obdachlosigkeit landete. Auf dem Langen Jammer, wie die nur teilweise erhaltene Fußgängerbrücke Storkower Straße im Volksmund heißt, verdiente er sich als Straßenmusiker das Geld zum Überleben, bekam die ersten kleinen Gigs, ein viral gehendes Youtube-Video und irgendwann Kontakt zum Produzenten Christian Mevs. Der ist seit 1980 Gitarrist von Slime – und der Rest Geschichte.

Heute lebt Tex Brasket mit Partnerin im westfälischen Lippstadt. Seit dem Ausstieg des langjährigen Sängers Dirk Jora 2021 ist er der Frontmann von Slime. Und begegnet der Härte des Lebens mit zarter Poesie. „Jede Nacht hat ihren Preis, jeder Tag ist ein Geschenk“, singt er im Song „Sein wie die“. Nach der Lektüre dieses Buches mag man ihm recht geben.

Lesezeichen

Tex Brasket/Christian Schlodder: „Dreck und Glitzer. Eine Geschichte von der Straße und vom Licht an dunklen Orten“; Kiepenheuer & Witsch; 240 Seiten; 18 Euro

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