Kino Riefenstahl, Benesch und Angelina Jolie in Venedig
Dreimal war Leni Riefenstahl (1902-2003) mit ihren Filmen beim Festival von Venedig, zuletzt 1938 mit „Olympia“, diesem Meilenstein der Filmgeschichte, was Sportbilder angeht. Im faschistischen Italien gewann sie den Siegerpreis (der damals Coppa Mussolini hieß). Wo sonst, wenn in Venedig, hätte Andres Veiels (64) neue Doku „Riefenstahl“ Premiere haben sollen?
Man sieht die Riefenstahl auf Filmausschnitten und Fotos in Venedig strahlen. Sie stammen aus ihrem Nachlass, 700 Kisten Material, das seit 2018 zugänglich ist. Sandra Maischberger, die Riefenstahl zu ihrem 100. Geburtstag interviewte, hatte den Eindruck, dass sie immer noch log und die Wahrheit verbog, also Fake News produzierte und sich selbst glorifizierte. Als Produzentin für ihren Film engagierte sie Veiel. In dem Nachlass fand sich Erstaunliches: Riefenstahl hatte viel aufgehoben, als wolle sie auch nach ihrem Tod noch die Kontrolle über alles behalten. Sie hatte Seiten aus Telefon- und Notizbüchern herausgerissen, Telefongespräche in ihrer Wohnung mitgeschnitten. Es gibt ein Foto von ihr, in dem sie strahlend Hitler die Hand schüttelt, Fotos mit Goebbels, ein Gespräch mit Speer, über die Honorare, die sie für Interviews nehmen sollte.
Der Führer schickt Rosen
Es gibt Fotos mit dem Pfälzer Regisseur Arnold Fanck (1889-1974), der sie als Schauspielerin für seine Bergfilme engagierte, nachdem sie ihn so lange traktierte, bis er es tat. Sie schrieb Briefe an „meinen Führer“ und freute sich, als der ihr ein Telegramm und Rosen nach Venedig schickte, wo „Olympia“ lief. Aus den letzten 50 Jahren ihres Lebens, in denen sie dauernd betonte, kein Nazi zu sein, überraschen Aufnahmen, die sie zensierte: Beim Interview für die Doku von Ray Miller (1993) über sie herrschte sie ihn bei der unbequemen Frage nach ihrem Verhältnis zu Hitler an, er solle die Kamera ausmachen, sie riss sie ihm quasi aus der Hand. Briefe und Fotos belegen, dass sie Sinti und Roma für einen Film aus dem KZ holte (Fotos zeigen sie im Lager). Veiel kommentiert nicht, aber er zeigt ein Porträt dieser Powerfrau, das anders ist als alle bisherigen. (Kinostart: 31. Oktober).
Noch mal Olympia in Deutschland: 1972 in München. Der Spielfilm „September 5“, von der Münchner Produktionsfilme Berghaus Wönke – einer der Produzenten ist der US-Schauspieler Sean Penn – beginnt mit Sportbildern im Studio des US-Fernsehsenders ABC bei den Spielen: Gerade hat US-Schwimmer Mark Spitz seine siebte Goldmedaille gewonnen. Zwei Minuten später hört man Schüsse. Die Geiselnahme palästinensischer Terrorristen beginnt: Sie sind im Olympischen Dorf ins Quartier der israelischen Delegation eingedrungen, zwei Mitglieder haben sie gleich erschossen, neun als Geiseln genommen. Die Sportreporter von ABC, die damals als erste per Satellit rund um die Uhr über die Spiele berichten, erkennen, was sie da vor sich haben.
Die Geiselnahme von München im Live-TV
Daraus macht der Schweizer Tim Fehlbaum (42) einen spannenden oscarreifen Medienthriller, der „Die Unbestechlichen“ und „Spotlight“ (Oscar als bester Film 2015, lief auch in Venedig) alt aussehen lässt. Er spielt nur in den technischen Kontrollräumen des ABC-Studio. ABC hat das Sportgelände weiträumig mit Kameras bestückt, und dann schaffen sie es, eine weitere auf einem Dach nahe des israelischen Quartiers zu deponieren. Kabel müssen besorgt werden, der einzige Satellitenplatz, den nun eigentlich die Konkurrenz CBS hat, muss mühsam getauscht werden. Die Reporter interviewen den einzigen Israeli, der entkommen konnte, sie gucken und hören, was die deutschen Medien machen, um ihre Ahnungen zu bestätigen und Quellen zu haben.
Der ehrgeizige Studiochef handelt dabei oft am Rande der Legalität und der Moral. Er weiß: was ABC zeigt, sehen auch die Terroristen, das setzt Diskussionen in Gang. Wie die Fernsehleute es schaffen, in aller Hektik und vielen Widrigkeiten zum Trotz zu senden, ist faszinierend und nostalgisch – im Zentrum mit dabei: die Einzige, die Deutsch spricht, Leonie Benesch („Das Lehrerzimmer“) . Sie übersetzt deutsche Fernsehkommentare, Telefonate, telefoniert mit deutschen Sendern und wird irgendwann sogar rausgeschickt nach Fürstenfeldbruck, von wo die Terroristen und ihre Geiseln wegfliegen sollen. Wie die Sache ausgegangen ist, weiß man, am Ende waren alle Geiseln tot. „Wir haben versagt, Deutschland hat versagt“, sagt die Übersetzerin und packt schnell ihre Sachen zusammen. (Kinostart: 7. November).
Die letzten Tage der Callas
Noch mal geht es in die 70er-Jahre: Der Wettbewerbsfilm „Maria“ des Portugiesen Pablo Larrain (48) schildert die letzten Tage von Maria Callas (1923-1977), als sie schon lange nicht mehr singen kann. Das will sie nicht wahrhaben, sie singt trotzdem – für sich mit einem einsamen Pianisten in einem großen Pariser Theater, fast jeden Tag. Dazwischen sieht man sie, die elegante Dame (perfekt verkörpert bis in die Mimik von Angelina Jolie) mit ihrem Hausangestellten, der jeden Tag den Flügel woanders hinstellen muss, – und immer wieder Schwarz-Weiß-Rückblicke auf ihr Leben: von der Bühne, mit Onassis, mit Kennedy. Das Ganze ist ruhig und tableauhaft in schwelgerische Bilder gehüllt, Callas’ Pillenkonsum inklusive. Langsam und in Schönheit gehe ich zugrunde, könnte über diesem Biopic (eine deutsche Coproduktion, Maren Ades Komplizenfilm ist dabei) stehen, das bis auf eine amüsante Szene mit John F. Kennedy – sie lässt ihn eiskalt abblitzen, als er an ihren Tisch kommt – allerdings nur wenig Neues bietet.