Interview Robert Stadlober über Goebbels und sein neues Album

Auch bei den Internationalen Fimfestspielen in Berlin war Robert Stadlober in diesem Jahr zu Gast.
Auch bei den Internationalen Fimfestspielen in Berlin war Robert Stadlober in diesem Jahr zu Gast.

Schauspieler Robert Stadlober ist derzeit beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen in zwei Filmen zu sehen, der Komödie „Andrea lässt sich scheiden“ und als Goebbels in „Führer und Verführer“. Jetzt erscheint sein neues Album, für das er Tucholsky vertont hat. Mit dem 42-Jährigen sprach Steffen Rüth über Politik, seine Karriere und die Macht der Sprache.

Das neue Album heißt „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ und spürt Tucholsky nach. Wann haben Sie angefangen, sich für das Werk von Kurt Tucholsky zu begeistern?
Ziemlich früh, so in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Ich bin in Berlin auf die Waldorfschule gegangen, dort ist man jemandem wie Tucholsky generell näher als auf anderen Schulen. In der Schule kam ich auch in Kontakt zu lokalen Antifa-Gruppen in Kreuzberg, da gehörte Tucholsky ebenfalls zum Kanon. Auch durch erste Kontakte zum Theater schwirrte er immer in meinem Hinterkopf rum.

Sie haben bereits als Jugendlicher erfolgreich als Schauspieler gearbeitet. War die Waldorfschule ideal, um Leidenschaften zu entdecken und auszuleben?
Ich hatte keine großen Vergleichsmöglichkeiten, aber ich denke, die Beschäftigung mit Text und Sprache ist eine der großen Säulen der Waldorfpädagogik. Man beginnt ab dem ersten Tag mit rhythmischem Sprechen in der Gruppe, man lernt Gedichte, man lernt, auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Ich habe keine klassische Schauspielausbildung und auch kein anderes Studium in einem künstlerischen Fach absolviert. Ich rechne meiner Schule hoch an, dass sie mir Textverständnis und ein Gefühl für Stimmungen und Rhythmen mitgegeben hat.

Und wo haben Sie denn als Teenager politisch gestanden?
Zu der Zeit war Antifa noch nicht das Schimpfwort, zu dem es heute seltsamerweise geworden ist. Einige meiner Verwandten waren in der Antifa, haben in den Dreißiger- und Vierzigerjahren für die KPD gearbeitet. Auch die SPD war damals Antifa. Sich dort zu engagieren, gehörte zu meiner politischen Bildung dazu und war in meinen Kreisen vollkommen normal. Im Kreuzberg der Nachwendezeit war die Antifa einfach wichtig. Wenn progressive Projekte aufgebaut wurden, kamen Menschen mit kurzen Haaren und wollten das verhindern. Dagegen hat sich die Antifa aktiv gewehrt.

Und ich liebte es, auf Punkkonzerte zu gehen und Bier zu trinken, da kam ich natürlich auch mit alternativen Sichtweisen auf die Welt in Kontakt.

Hat sich Ihre politische Haltung seither gewandelt?
Der Wunsch nach einer solidarischeren Welt, nach einer Welt, in der alle nach ihren Möglichkeiten und Träumen versuchen können zu leben, der ist bei mir unverändert. Dieser Wunsch wird oft als links gelesen. Dabei ist das eigentlich Humanismus. Ich bin ein humanistischer Antifaschist (lacht).

Das Cover des neuen Albums „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut".
Das Cover des neuen Albums »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut«.

Oft hochpolitisch sind auch die Texte Kurt Tucholskys, die vor rund hundert Jahren, während der Zeit der Weimarer Republik, entstanden. Was gab den Ausschlag für dieses Album genau jetzt?
Das war eher Zufall. Ein Kunstfestival in Stuttgart trat mit der Bitte an mich heran, einen Abend mit Tucholsky zu gestalten. Ich war erst nur so mittel begeistert, nahm aber meine Tucholsky-Gesamtausgabe zur Hand und war selbst überrascht, dass in ziemlich kurzer Zeit 16 Lieder entstanden. Ich habe mir für Tucholsky sogar eine neue Gitarre gekauft, eine Airline Folkstar, das ist ein Nachbau einer klassischen Dobro-Gitarre aus den Sechzigern, sie klingt sehr warm und folkig und hat einen leichten Country-Einschlag.

„Dann gab es Krieg und hohe Butterpreise“, heißt es im Lied „Die blonde Frau singt“. Erschreckend aktuell.
Das kann man eins zu eins auf unsere heutige Situation übertragen. Im vergangenen Sommer und Herbst sind viele meiner pazifistischen Gewissheiten auseinandergebrochen. Bei Tucholsky habe ich Bestärkung, Trost und eine Form von Halt und Sicherheit gefunden.

Wie das?
Die Zersplitterung der Welt da draußen wurde mir durch hundert Jahre alte Texte neu erklärt. Das Erschreckende und auch Bestärkende dabei ist, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Die Verwerfungen der Wirklichkeit sind für jede Generation scheinbar ähnliche. Wenn man also möchte, dass es eine bunte, diverse und demokratische Gesellschaft gibt, dann muss man sich diese jeden Tag neu erkämpfen.

Was können wir von Kurt Tucholsky lernen?
Was ihn momentan für mich so wichtig macht, war sein Pochen auf den Individualismus, bei gleichzeitigem Beharren auf einer solidarischen Gesellschaft. Er hat Unterschiede anerkannt und sich mit nichts gemein gemacht. Er war so ziemlich in jeder Partei links der Mitte, ist aber überall schnell wieder raus, weil ihm die Heilsversprechen der Politik suspekt waren. Und obwohl er ein Dandy und ein Bonvivant war, sind ihm die Bedürfnisse und Interessen der unteren Klassen nicht egal gewesen. Es war ihm ein Anliegen, dass alle ein gutes Leben führen, nicht nur die Reichen und Privilegierten. Und er war tolerant.

Fehlt es heutzutage an Toleranz, schmoren alle in ihrem eigenen Saft?
Ja. Jeder denkt nur noch, sein eigenes Weltbild sei das einzig Wahre und Richtige. Die Leute setzen sich nicht mehr auseinander, sie diskutieren nicht mehr. Dass daran nur die sozialen Medien schuld sein sollen, ist mir als Erklärung zu einfach. Auch zu Tucholskys Zeiten hieß es schon, dass die Leute zu viel Zeitung lesen würden. Ich glaube, viel hat damit zu tun, dass die Welt einem permanent erzählt, man müsse schauen, dass man selbst als erster aus der Sache rauskommt und die Ellbogen so weit ausfährt wie möglich. Das spiegelt sich auch in der Politik wieder. Dort erleben wir ein Erfolgs- und Profitstreben, eine völlige Entsolidarisierung, einen Selbstoptimierungswahn. Wenn das so weitergeht, wird irgendwann niemand mehr gucken, wie es dem geht, der humpelt. Denn du selbst kannst ja superschnell rennen.

Eine „teuflische Rolle“: Robert Stadlober als Goebbels in Joachim A. Langs Film „Führer und Verführer“.
Eine »teuflische Rolle«: Robert Stadlober als Goebbels in Joachim A. Langs Film »Führer und Verführer«.

In Joachim Langs Film „Führer und Verführer“ sind Sie aktuell in der Rolle des Joseph Goebbels zu sehen. Sind Sie auch als Künstler ein Verführer?
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, dass man als Künstler eine große Verantwortung hat. Ich bin bis heute skeptisch, wenn mir Leute, die ich aus Filmen oder aus dem Musikgeschäft kenne, irgendwas verkaufen wollen. Ich bin da sehr kritisch. Ich mache für nichts Werbung. Ich kann besser schlafen, wenn niemand ein Konto eröffnet, weil er vorher „Crazy“ gesehen hat.

Was war das für eine Erfahrung, den Reichspropagandaminister und einen der engsten Vertrauten Adolf Hitlers zu spielen?
Ich war an der menschlichen Seite des Joseph Goebbels nicht sehr stark interessiert. Mir ging es darum, die Zusammenhänge darzustellen. Fast alles, was wir über Goebbels wissen, stammt aus dem Material, das er selbst freigegeben und abgesegnet hat. Die Idee hinter dem Film war, die Momente zu zeigen, von denen er nicht wollte, dass sie öffentlich werden. Da es kein Material gibt, kann man das nur fiktiv. So haben wir uns ihm über Äußerlichkeiten, Sprache, bestimmte Situationen angenähert.

Szene aus dem Film „Führer und Verführer“.
Szene aus dem Film »Führer und Verführer«.

Haben Sie ihn entlarvt?
Zumindest haben wir versucht, ihn ein bisschen zu dechiffrieren. Goebbels und andere Nationalsozialisten haben versucht, ein Menschenbild zu propagieren, dem sie selbst in keiner Weise gerecht wurden. Der Typ war relativ klein, er war körperlich eingeschränkt, er konnte die klare deutsche Sprache, die er so bewundert hat, nicht sehr gut sprechen, sein Dialekt ist immer wieder durchgebrochen.

Und warum hat seine Demagogie so gut funktioniert?
Das ist ja leider ein kluger Mensch gewesen. Er war ein Meister in dem, was er tat. Er war der erste, der Unterhaltung benutzte, um politische Inhalte zu vermitteln. Er war es auch, der die unterbewusster Beeinflussung der Menschen etabliert hat, die bis heute in der Politik zur Anwendung kommt, aber teils natürlich auch in Werbestrategien für Produkte genutzt wird. Ein Donald Trump dürfte sich viel bei ihm abgeschaut haben. Es ist grauenhaft faszinierend, zu welchen schrecklichen Dingen ein relativ kluger Mensch fähig ist.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die aktuelle politische Landschaft, speziell das Streben der Rechtsextremen an die Macht?
Es ist hoffnungslos, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. In meiner Jugend wurde uns vorgeworfen, dass wir so unpolitisch seien. Heute sind bei der Klimaschutzbewegung und anderswo tolle Menschen dabei. Manche haben einen leichten Dachschaden, aber ich finde es faszinierend, wie schnell sich die jungen Leute heute vernetzen und wie beharrlich sie sind.

Gerade jungen Menschen könnte man eine Welt zeigen und ihnen sagen: „Lasst uns zusammen versuchen, diese Welt zu erschaffen“. Nur fehlt in der Politik fürs Andersdenken die Fantasie, das war schon zu Tucholskys Zeiten so. Ich bin weit davon entfernt, ein Parteigänger der Grünen zu sein, aber man fühlt sich irgendwie mitgenommen, wenn jemand wie Robert Habeck versucht, komplexe Zusammenhänge zu erklären. Der belächelt und belehrt die Leute nicht, und er beschimpft sie vor allem nicht als Idioten.

Album und Termine

„Album Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“, ab 30. August.

„Andera lässt sich scheiden“ läuft noch am 29. August und 6. September beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen, „Führer und Verführer“ am 31. August. Details unter www.flu.de

Zur Person: Robert Stadlober

Seit dem Coming-of-Age-Film „Crazy“ zählt Robert Stadlober (42), geboren in der Steiermark, aufgewachsen in Berlin, zu den vielseitigsten und profiliertesten Schauspielern im deutschsprachigen Raum. Zuletzt war er im Kinoerfolg „Andrea lässt sich scheiden“ und als Joseph Goebbels in „Führer und Verführer“ zu sehen. Aber seit jeher macht Stadlober auch Musik. Auf seinem neuen Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ (es erscheint am 30. August) hat er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont und dabei den oft schweren Texten ein luftiges Indie-Folk-Gewand verpasst. Robert Stadlober lebt seit fünf Jahren wieder in Wien. rth

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