Provenienzforschung Rote Liste: Das Museum Pfalzgalerie durchforstet seine Sammlung nach NS-Raubkunst

Bild des Monats und Raubkunst: Max Slevogts „Im Grünen“.
Bild des Monats und Raubkunst: Max Slevogts »Im Grünen«.

Das Bundeskabinett hat jetzt ein Gesetz verabschiedet, das die Herausgabe von NS-Raubkunst erleichtern soll. Die Provenienzforscherin Laura Vollmers untersucht die Sammlung des Museums Pfalzgalerie in Kaiserslautern nach möglichen Restitutionsfällen. Akut betroffen ist ein Slevogt-Selbstporträt. Bleibt es?

Zum Beispiel Max Slevogts Gemälde „Im Grünen“. Der Weg auf dem Bild führt durch sprießende Vegetation, den Wald, Licht fällt ein. Der Sandboden schimmert violett. Im Vordergrund sind zwei Frauen, leicht verdeckt von einer Baumgruppe, ins Gespräch vertieft. „Frau Finkler und Nini Slevogt“, wie der Titelzusatz nahelegt.

Im Oktober 2018 war das Werk als „Bild des Monats“ im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (mpk) ausgestellt. In der Lost Art Datenbank indes wird die auf das Jahr 1904 datierte Idylle des Pfälzer Hausheiligenkünstlers und Impressionisten als „Parklandschaft“ ausgewiesen. Als „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ aus jüdischem Besitz. Die Art von Bild, dessen Herausgabe ein gestern vom Bundeskabinett verabschiedetes Gesetz neu regelt.

Der Breslauer Fabrikant und Kunstsammler Leo Smoschewer, dem es gehörte, ist 1938 gestorben. Gleich darauf wurde sein Maschinenbau-Unternehmen wie auch die bedeutende Kunstsammlung des Feingeists von den Nazis „arisiert“, wie es zynisch hieß. Ein Jahr später nahm sich seine Witwe Elise, nunmehr völlig mittellos, das Leben. 1945 tauchte Slevogts „Im Grünen“ aus Smoschewers Besitz dann nach dem Umweg über verschiedene Kunsthändler im Kriegszwischenlager der Pfalzgalerie in Ortenburg bei Passau auf. Tragik umwölkt das Bild. Es sind solche oft bedrückenden Geschichten, denen Laura Vollmers hinterherrecherchiert.

Einmal, sagt die 28-jährige Frankfurterin, habe sie dem in den USA lebenden Enkel eines von den Nazis ermordeten Sammlerehepaars seine Familiengeschichte erzählt – aus Gestapoakten. Er sei in Tränen ausgebrochen. Seine Eltern hatten immer darüber geschwiegen. „Ich schau’ so tief in die Leben von Menschen rein“, sagt die studierte Kunsthistorikerin, die als Provenienzforscherin am Kaiserslauterer Museum Pfalzgalerie die Herkünfte von Kunstwerken und Kulturgütern der Sammlung klärt. Eine auf zwei Jahre befristete Projektstelle. Sie wird von der vom Bund, den Ländern und Kommunen getragenen Magdeburger Stiftung Zentrum für Kulturverluste bezahlt.

„Immer muss ein Restaurator dabei sein“, erzählt Vollmers, wenn sie die Rückseiten und Rahmen der Bilder nach Hinweisen untersuche: Stempel von Galerien, handschriftliche Notizen, Exlibris, irgendwas, das ihr etwas über die Biografie eines Bildes erzählt, das vielleicht zu Unrecht dem Museum gehört. Der Rest ist Aktenstudium, Detektivarbeit, Geschichtswissenschaft, aktive Erbensuche. „Was ich tue, lebt von der Transparenz“, sagt sie, „obwohl vieles hinter verschlossenen Türen stattfindet“. Vollmers, die zuvor schon in Hamburg und im Frankfurter Städel gearbeitet hat, checkt zeitgenössische Auktionspreise, um zu taxieren, ob jemand seine Sammlung durch Verfolgungsdruck unter Wert verkaufen musste. Bisweilen bewegt sie sich im Feld der Psychologie und muss im Nachhinein persönliche Verhältnisse bewerten.

War es ein Freundschaftsdienst oder verfolgte jemand hauptsächlich Eigeninteressen, wenn er oder sie den Besitz der jüdischen Nachbarn unter dem Bett versteckt aufbewahrt hat? Viel Arbeit. Vollmers sagt, sie habe sich trotzdem früh auf die Provenienzforschung konzentriert.

„Gütliche Einigung“

120 Gemälde aus der mpk-Sammlung sind in ihrem Prüf-Portfolio, eingeteilt in unbedenkliche grüne, sehr viele (Vollmers schätzt „70 bis 80 Prozent“ ) kaum lösbare gelbe – und „fünf Prozent“ rote Fälle, bei denen sie Verdacht schöpft. An einem besonders heiklen Werk sitzt sie gerade. Slevogts „Im Grünen“, das eingangs erwähnte Bild, derweil gehört keiner Kategorie mehr an. Der Fall ist 2012 durch eine „gütliche Einigung“ mit den Erben von Leo Smoschewer gelöst worden. 60.000 Mark hat der Bezirksverband als Träger des Museums Pfalzgalerie nachträglich an die Erben bezahlt, um das Bild behalten zu können. Ähnlich wurde bei Slevogts „Porträt des Stadtrats Max Cassirer“ aus dem Jahr 1907 verfahren.

1996 hat es die Pfalzgalerie aus Privatbesitz gekauft. 1943 war es zwangsenteignet worden. 2009 meldete sich im Auftrag der Cassirer-Erben dann ein Anwaltsbüro. Der Bezirksverband zahlte noch einmal 26.000 Euro Entschädigung für das ursprünglich 50.000 Mark teure Bild. „Wir fühlen uns moralisch verpflichtet, das Unrecht auszugleichen, das einst der Familie Cassirer widerfahren ist“, sagte damals der Bezirkstagsvorsitzende Theo Wieder. „Wir erkennen die historische Verantwortung an und wollen uns im Rahmen der völkerrechtlichen Erklärungen bewegen.“ Oft laufen die sogenannten Restitutionsverfahren weniger reibungslos ab als in der Pfalz.

Präzedenzfall Picasso

„Viele von den Nazis entzogenen Kulturgütern sind auch weiterhin nicht im Besitz ihrer Eigentümer. Das liegt sehr oft daran, dass ihr Verbleib ungeklärt ist“, sagt etwa Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Es gebe aber auch Fälle, in denen das Recht es zu schwer macht, bestehende Herausgabeansprüche durchzusetzen. „Das heute vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz soll die Durchsetzung bestehender Herausgabeansprüche erleichtern“, meinte der Minister gestern zu der neuen Regelung des Kulturschutzgesetzes. Fast schon ein Präzedenzfall dafür ist, wie sich die Staatsgemäldesammlung Bayern und die Erben des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy (1875 bis 1935) streiten.

Es geht um Pablo Picassos „Madame Soler“ aus dem Jahr 1903, blaue Phase. Beide Parteien sehen sich als rechtmäßige Eigentümer des Werks an, auf dem die Gattin eines mit Picasso befreundeten Schneiders die Betrachtenden intensiv fixiert. Es ist komplex. Man ist sich nicht darüber einig, ob das Gemälde unter dem Druck der Nazis veräußert wurde. Die Beweislage ist uneindeutig. Und die Möglichkeit, verjährte Restitutionsansprüche juristisch einzuklagen, gibt es derzeit nicht.

Bisher konnte lediglich die nach ihrer ersten Vorsitzenden, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, benannte „Beratende Kommission“ angerufen werden. Sie wurde 2003 als Reaktion auf die Washingtoner Erklärung eingerichtet, mit der sich 43 Staaten und 13 nichtstaatliche Organisationen verpflichteten, entsprechende Kunstwerke zu identifizieren und gerechte und faire Lösungen mit den Eigentümern, den Erben, zu finden. Problem der Kommission: Sie muss von beiden Konfliktparteien gemeinsam einbezogen werden, wogegen sich die bayerische Staatsgemäldesammlung aber wehrt. Außerdem sind ihre Empfehlungen rechtlich nicht bindend. Ende Juni wurde deshalb ihr Ende verkündet. Das neue Gesetz soll ihre Geburtsfehler korrigieren.

Konkret sieht es Auskunftsrechte vor, es soll eine Anpassung der Verjährungsregeln geben. Als zuständig für Klagen auf Herausgabe sollen die Landgerichte sein. Gleichzeitig soll ein besonderer Gerichtsstand in Frankfurt am Main eingeführt werden. Was mit in Privatbesitz befindlicher Raubkunst passiert (es ist nicht gerade unerheblich), bleibt dabei ungeklärt. Dafür sieht der verabschiedete Entwurf eine Pflicht zur Rückzahlung staatlicher Leistungen vor, wenn es zu einer Restitution kommt. Glaubt man Provenienzforscherin Laura Vollmers, steht eine solche in Kaiserslautern jetzt wieder kurz bevor. Ein ererbter Fall aus dem Jahr 2001.

Slevogts Gemälde „Selbstporträt mit weißem Hemd und Schleife“ von 1907 ist möglicherweise während einem der zahlreichen Besuche des Autors, Sammlers und KPD-Mitbegründers Eduard Fuchs bei seinem Künstlerfreund in der Pfalz entstanden. 1933 flüchtete der Nazi-Gegner aus Furcht vor politischer Verfolgung nach Frankreich. Im Juni 1937, steht in der Lost Art Datenbank, hat die Gestapo seinen Besitz samt des Slevogt-Porträts beschlagnahmt. Seit 1942 gehört es dem Pfälzer Museum. Bleibt das so? Noch steht die Klärung aus.

Detektivische Arbeit: Provenienzforscherin Vollmers
Detektivische Arbeit: Provenienzforscherin Vollmers
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