Kultur Schadenersatzklage: Ed Sheeran wird auf 100 Millionen US-Doller verklagt

Soll 100 Millionen US-Dollar zahlen: Ed Sheeran.

Der englische Singer/Songwriter Ed Sheeran wird auf 100 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt, weil er angeblich seinen Hit „Thinking Out Loud“ von Marvin Gayes „Let`s Get It On“ abgekupfert haben soll. Es klagt eine Firma, die als Geschäftsmodell Rechte von Songs verwertet. Musiker sind entsetzt, denn das könnte einen Präzedenzfall schaffen.

Zugegeben: Die Stücke klingen in Teilen sehr ähnlich. Die Akkordfolge im Hauptteil ist fast dieselbe. Wie die Akkorde zusammen mit Bass und Schlagzeug einen Groove bilden, ist praktisch identisch. Und es gibt Konzertmitschnitte, die zeigen, dass Sheeran seinen Song und Marvin Gayes Stück miteinander mischt. Hat Sheeran also bewusst und absichtlich einen Soulklassiker kopiert, wie ihm vorgeworfen wird? Dem Kläger David Pullman, Gründer und Chef der Firma Structured Asset Sales (SAS), geht es allerdings nicht um Kunst. Er ist Investmentbanker. Mit SAS kauft er Verwertungsrechte. Mitunter verkaufen Komponisten und Texter Rechte, meist an Plattenfirmen, die sie wiederum oft weiter verkaufen. Hat eine Firma die Verwertungsrechte, wird sie an Einnahmen beteiligt, wenn Songs auf Tonträgern oder über Downloads verkauft werden, wenn sie live gespielt oder in Funk und Fernsehen gesendet werden. Und sie hat Anspruch auf entgangenes Geld, wenn jemand – ohne dafür zu bezahlen – einen Song verwendet, dessen Verwertungsrecht sie besitzt. SAS hat die Rechte für „Let’s Get It On“ gekauft. Ed Townsend jr. hat den Song 1973 geschrieben. Sheeran hat sein Lied 2014 veröffentlicht und damit einen Riesenhit gelandet: Die Single war in elf Ländern auf Platz eins der Hitlisten und wurde bislang fast zehn Millionen mal verkauft. Das offizielle Sheeran-Video wurde auf YouTube gut 2,4 Milliarden mal aufgerufen. In Abschnitt 35 der Klageschrift behaupten die Kläger sogar, dass Sheeran durch die Veröffentlichung der Single einen „starken und abrupten Anstieg“ seiner Popularität in den USA erfahren habe. Das ist nach ihrer Ansicht Grund genug, von Ed Sheeran 100 Millionen US-Dollar zu fordern. Worauf stützen die Kläger ihre Behauptung, Sheeran habe abgekupfert? Liest man die Klageschrift, wird eine ganze Reihe von Elementen aufgelistet. Dabei gibt es einiges, das unstrittig ist: Das Tempo ist identisch, nämlich etwa 80 Schläge pro Minute (bpm). Allerdings gibt es Millionen weitere Songs, die dieses Tempo haben. Interessanter wird es bei den Harmonien. Musiker benennen Akkorde nach ihrer Position in einer Tonleiter mit römischen Zahlen und unterscheiden sie nach ihrer Funktion. Bei Marvin Gaye ist die Akkordfolge I – iii – IV – V. Dabei bedeutet iii: ein Mollakkord auf der dritten Stufe der Tonleiter; große Zahlen sind Dur-Akkorde. Ist dieser harmonische Ablauf nun etwas Besonderes, Unverwechselbares? Nein, tatsächlich ist das eine sehr triviale Akkordfolge. Und wie ist die Akkordfolge bei Ed Sheeran? I – I6 – IV – V. Der zweite Akkord ist eine Umkehrung des ersten. Beide Akkordfolgen unterscheiden sich im zweiten Akkord. Nun argumentieren die Kläger, dass für den Hörer I6 und iii so ähnlich klingen, dass der Unterschied zu vernachlässigen ist. Nichtmusiker hören die feinen Unterschiede vermutlich wirklich nicht. Ist damit erwiesen, dass Sheeran abgeschrieben hat? Musiker meinen, das ist die falsche Frage. Denn die Ähnlichkeit der Akkordfolge muss gar nicht absichtlich entstanden sein. Sie ist so trivial, dass sie fast unvermeidlich ist, wenn man sich die Aufgabe stellt, einen Song mit drei oder vier Akkorden zu schreiben. Und es gibt hunderte von Songs, die dieses Tempo, diese Art von Begleitung und diese Akkordfolge haben. Einer davon ist „Earth Angel“, einer der größten Hits des Jahres 1954, den Marvin Gayes Komponist Townsend mit Sicherheit gekannt hat. Damit wäre die angebliche Vorlage zum Abkupfern schon nicht mehr einzigartig. Akkordfolgen, die vom Grundakkord einer Tonart ausgehen und dahin wieder zurückkehren, heißen Kadenz. Und Popsongs bleiben fast immer in einer Tonart und haben einfache Kadenzen. Eine beliebte Kadenz ist I – V – vi – IV. Sie kommt vor in „Let It Be“ (Beatles), „No Woman No Cry (Bob Marley), „Take On Me“ (A-ha), „One Of Us“ (Joan Osborne), „Poker Face“ (Lady Gaga), „Time To Say Goodbye“ (Andrea Bocelli). Eine Liste beim Internetmagazin Buzzfeed listet knapp 70 weitere Popsongs mit dieser Akkordfolge auf. Zudem wird diese Kadenz seit Jahrhunderten benutzt. Die Kläger gegen Sheeran führen noch weitere Punkte an, etwa dass Sheerans gesungene Melodie ebenfalls Töne aus den Akkorden verwendet. Das können auch nur Juristen betonen – denn tatsächlich können Melodien gar nicht anders, als zu ihrer Begleitung zu passen. Sonst würden sie falsch klingen. Und so geht es weiter in der Klageschrift, in der auch Ähnlichkeiten in der Phrasierung und Rhythmik festgestellt werden – was sie aber ebenfalls mit unzähligen Soul-Stücken gemeinsam haben. Für unerheblich halten die Kläger, dass Sheeran eine andere Melodie singt und einen anderen Text geschrieben hat. Zudem gibt es bei ihm einen Liedteil, den es im anderen Stück nicht gibt. Problematisch ist nun, dass in diesem Fall an einem US-amerikanischen Gericht eine Jury von musikalischen Laien entscheiden wird, ob ein Plagiat vorliegt und Sheeran zahlen muss. In einem ähnlichen Fall, deutlich kleiner dimensioniert, reichte es der Jury, dass die Stücke ein ähnliches „Feeling“ haben. Bekommen die Kläger Recht, könnte das eine Klageflut in Gang setzen und womöglich Anwälte reich und Musiker arm machen.

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