Literatur Sommerzählreihe „Hoffnungsschimmern“: Sigrid Sebald schreibt

Feiern im Bierkönig – eine Exportidee?
Feiern im Bierkönig – eine Exportidee?

Sommererzählreihe „Hoffnungsschimmern“ (8): Immer, wenn es Sommer wird, beginnen wir mit dem Erzählen. Die Reihe gibt es schon seit 29 Jahren. Schriftsteller und Journalisten unserer Zeitung schreiben mit. Die Geschichte heute stammt von der RHEINPFALZ-Journalistin Sigrid Sebald.

Eftimios señoras y señores,

oder sollte ich schlicht hola sagen?

Ach, suchen Sie es sich einfach aus, welche Anrede Ihnen an liebsten ist, liebe Mallorquinerinnen und Mallorquiner, für mich macht es keinen Unterschied, in bin dafür bekannt, sehr geschwind von einer Sprache zur nächsten und, einmal drin, dort auch ruckzuck den Jargon wechseln zu können. Überdies bin ich für meine exzellenten Ideen bekannt, wenn ich das mal so sagen darf. Ich darf doch? Danke. Sie werden es nicht bereuen. Wie mir scheint, mangelt es Ihnen auf Ihrer bezaubernden Insel gerade an einer gamechangenden Idee (si, ich spreche auch crossover), wenn nicht gar generell an irgendeiner Idee. Und ich helfe gerne.

Wie ich höre, wollen Sie Touristen loswerden, es wird Ihnen einfach zu viel, ich verstehe das, da kommt ja kein Mensch mehr nach mit Paellapfannen und Luftmatratzen Nachbestellen vom spanischen Festland oder woher beziehen Sie Ihre Pfannen und Matratzen? Es spielt aber auch keine Rolle, Ihnen allen ist die Sonnenhutschnur gerissen, schon vor Längerem, und DAS spielt eine Rolle. Ich meine, ich würde mich auch bedanken, wenn ich in meinem eigenen Garten kein Sandsack-Wurfspiel mehr spielen könnte, weil die Bahn ständig vollliegt mit Mallorquinerinnen und Mallorquinern auf Delfin- und Segelbootmotivbadetüchern, die hier URLAUB machen wollen, also die Mallorquiner, nicht die Tücher. Schreckliche Vorstellung, puh, da kriege ich nervöse Flecken an den Hals, das kann ich Ihnen sagen.

Sicher, es wäre auch ein wenig schmeichelhaft, sollte jemand je in unserem Garten die schönste Zeit des Jahres verbringen wollen, allerdings müssten wir da erst mal die Wiese vertikutieren, aber dann hätten wieder die Bienen nichts zu essen und zu bestäuben, und schon wäre das Geschrei an dieser Stelle groß, nein, nein, das geht nicht, auf gar keinen Fall, Sie müssen auch mich verstehen. Schmeichelhaft hin, Wiese her, irgendwann würde der Andrang hinterm Haus einen doch sehr in der Privatsphäre stören und an der persönlichen Entfaltung hindern, denke ich. Insofern dürfen Sie versichert sein, dass Sie meine vollständigste Unterstützung haben für Ihr Anliegen.

Warum tut sie das, werden Sie nun denken, hat sie Schlafstörungen, ist sie motorisch nicht auf der Höhe, hat sie geistige Einschränkungen, oder warum sonst spielt sie das quälend lange, an Ödnis kaum zu überbietende Sandsack-Wurfspiel? Ist das wieder so eine germanische Schrulle? Da können Sie jetzt mal drüber nachdenken, während ich Ihnen erkläre, warum ich mich hier zu Wort melde: Ich sag’s Ihnen: Weil mir Ihre Methoden, ans Ziel zu gelangen, wie soll ich sagen, nun, ich will offen sein: unzulänglich erscheinen.

Sie setzen sich auf Strände, schreiben „Tourist go home!“ an Wände und bestehen darauf, dass Mallorca nicht Deutschlands 17. Bundesland ist. Das alles mag recht folkloristisch-charmant und durchaus ein Anfang sein, das alleine wird Ihnen aber nichts bringen, das kann ich Ihnen sagen, ich kenne mich da aus, denn schauen Sie doch mal auf die Klimademonstranten hier bei uns und inwieweit die ihre Forderungen durchsetzen können, indem sie auf die Straße gehen (Strände haben wir nicht so viele) und sich an selbigen festkleben (geht am Strand gar nicht). Das nur zur Veranschaulichung. Sie haben ja auf Mallorca keine Probleme mit dem Klima, bei Ihnen ist ja meist schönes Wetter. Ich vermute sogar, dass Sie wegen des dauerhaften Sommer-Sonne-Sonnenscheins etwas larifari geworden sind, was effiziente Vergrämung angeht.

Halten Sie mich für einen Blaustrumpf, aber ich weise nur mal auf das wenig durchdachte Oben-Ohne-Verbot in Ihren beliebten Trinkhallen hin. Es hat die Menschen in den Hallen verwirrt, und den Teil der neuen Regelung, der besagt, dass beim Betreten etwa des „Bierkönigs“ ab sofort Sportkleidung zu tragen ist, habe ich vergebens gesucht. Da war wohl einer aus euerer Amtsstube in Palma lieber am Strand als am Schreibtisch, was?!

Wie dem auch sei, jedenfalls tragen Deutsche im „Bierkönig“ und ähnlichen Vergnügungsetablissements nun alle Fußballtrikots, die die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe kennzeichnen, denke ich mal. So traf ich unlängst an einem urigen „Bierkönig“-Holztisch auf Gernhart Reinlunzen, Marco Rahlsex und Lutz Meinzwanz, ihre Namen standen hinten auf ihren Fußballtrikots, die alle die Nummer 69 hatten. Verwunderlich war, dass Gernhart, Marco und Lutz offenbar gar keinem Fußballclub angehörten, sondern laut ihren Trikots einem Sing- und Saufverein. Aber sie waren ja auch nur zu dritt, das hätte für eine Fußballmannschaft nicht gereicht. Aber für einen Skatclub. Sei’s drum. Sowohl das Trikot-Trio als auch ich selbst hatten etwas Sangria getrunken, aus einem Literglas – aus dem Plastikeimer ist ja verboten und ich halte mich immer an die örtlichen Gepflogenheiten des Gastlandes – und da könnte es auch sein, dass ich manches nicht mehr so genau erinnere.

Ganz sicher bin ich mir, dass auch die sechs oder sieben Herren von der Stiftung Hupentest Trikots trugen, ganz nach Vorschrift, und dass die Tester die Ergebnisse gleich per Aufkleber bekanntgaben, war für mich ein schönes Beispiel dafür, dass der deutsche Nachwuchs eben nicht dumm und faul ist, wie es immer heißt. Alle Getesteten erhielten die Note „sehr gut“, was mich sehr freute, auch hier offenbar alles deutsche Qualität. Dass überhaupt so viele Frauen Hupen mithatten, war alleine schon bemerkenswert. Sie hatten die Schallgeräte made in Germany mutmaßlich zuvor bei einem der Straßenhändler erworben, bei denen es auch Hüte in Form eines Brathendls gibt, das mit den Flügeln klatscht, außerdem beleuchtete Haarreifen und Trikots für die, die ihrs vergessen haben. Alles sehr umsichtig und gut organisiert.

Nach einem zweiten Liter sehr bekömmlichen Sangrias wollten meine Mitreisende und ich noch ein Foto von uns selbst vor einem Bierkönig-Emblem machen, als wir von einer Gruppe junger Männer, auch sie in Trikots, umringt wurden, die auch ein Foto machen wollten, allerdings von sich. Ihr Sprecher forderte uns auf, doch einfach stehenzubleiben und Teil ihres Fotos zu werden, so wie auf so manchem Foto vom Betriebsausflugs nach Luxemburg zwei unbekannte Asiaten in die Kamera lächeln, was man erst zu Hause bemerkt. Einem gelockten Lulatsch neben mir war das aber nicht geheuer, er forderte mich zum Abstandhalten auf, er rechne damit, dass das Foto geteilt werde, und seine Freundin sei sehr eifersüchtig. Da ich mich, wie erwähnt, jeder Gruppe innerhalb von Sekunden sprachlich anpassen kann, rief ich aus: „Ey, Digga, was soll’n das, isch könnt’ dei Muuddaa sein!“, in dialektfreier Jugendsprache, wie ich finde. Worauf der Lulatsch behände auf die andere Seite unserer spontanen Foto-Allianz.wechselte.

Estimados señoras y señores, bitte verzeihen Sie, jetzt bin ich ein wenig abgeschweift, sicher warten Sie schon zum Zerreißen gespannt auf meine bahnbrechende Idee, Ihren Hoffnungsschimmer, wie Sie denn nun einen Großteil Ihrer Touristen wieder vom Hals kriegen können. Ein paar wollen Sie ja behalten, habe ich gehört, und das ist ja auch nur vernünftig, gegen Gernhart, Marco und Lutz oder auch die Helfer von der Stiftung Hupentest ist ja nun wirklich nichts zu sagen, sie dürfen sich wohl weiterhin willkommen fühlen bei Ihnen.

Für die anderen habe ich folgenden Plan, der nicht ganz uneigennützig ist, das muss ich einräumen. Denn sehen Sie, es ist so: Sie auf Mallorca wollen Touristen loswerden, und wir hier in der Westpfalz könnten so was wie Touristen ziemlich gut gebrauchen. Da sieht’s noch ein bisschen mau aus bei uns auf diesem Sektor. Und da habe ich gedacht, ob Sie uns Ihren Überfluss nicht vielleicht abtreten könnten. Wäre doch für beide gut. Win-Win und so.

Umgelenkt werden müssten die Ströme natürlich behutsam, man kann jetzt nicht von heute auf morgen alle Mallorca-Touristen ungefragt nach Saarbrücken fliegen und mit Bussen weiter nach Kaiserslautern, Zweibrücken oder gar Pirmasens kutschieren, das ist mir schon klar. Wir müssen ja vor Ort auch noch ein paar Vorbereitungen treffen, Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut, nicht wahr, und Palma sicher auch nicht.

Größere Trinkhallen müssen errichtet und mit robustem Bierzelt-Interieur ausgestattet werden, das alles kann ein Weilchen dauern. Die Strände unserer Bäche, Flüsse und Forellenteiche könnten wir notfalls auch etwas herrichten, aber ich denke nicht, dass das nötig sein wird. Wir konzentrieren uns auf die Geselligkeit, und Mickie Krause wird’s egal sein, ob er im Mega-Park oder im „Parkkönig“ im Strecktalpark singt. In Zweibrücken war er sogar schon mal, und er hat gesagt, hier wär „das geilste Publikum der Welt“. Na also. Olaf, der Flipper, ist so ein liebenswürdiger Mensch, der kommt bestimmt auch. Die Trikots dürften kein Problem sein, die bestellen wir in China, und verkaufen können sie dann die Sandsack-Wurfspieler in den ewig langen Spielpausen, in denen Aktivität und Spannung von Null in den Minusbereich rutschen. Sie sehen, ich habe an alles gedacht.

Das Einzige, was Sie machen müssen, ist: Legen Sie bitte die Westpfalz-Werbeprospekte, die ich Ihnen mitschicke, in all Ihren Hotels aus, und machen Sie auch verbal ordentlich Reklame für unsere schöne Region hier, die es genau so sehr verdient hätte, zum Urlaubermagneten zu werden wie Ihre zauberhafte Insel im Mittelmeer. Sie werden sehen, bereits in der nächsten Saison werden Sie wieder Platz an Ihren Stränden und genug Luftmatratzen für alle haben und wir hier alle Hände voll zu tun mit Hupenverkauf und Co..

Sagen Sie ja, schlagen Sie ein, Sie tun das Richtige!

Muchos saludos, amigos!

Die Autorin

Sigrid Sebald ist stellvertretende Redaktionsleiterin der RHEINPFALZ in Zweibrücken. Sie lebt mit Mann, Kind und Katze im Zweibrücker Stadtteil Rimschweiler. Ihre Geschichten sind größtenteils erfunden, Teile davon beruhen allerdings immer mal wieder auf wahren Begebenheiten. In dieser Geschichte sind das schockierenderweise die Begegnungen im „Bierkönig“.

Bisher erschienen: „Die Schule des Sehens“ von Frank Pommer (am 20. Juli), „Frühe Rätsel“ von Gabriele Weingartner (24. Juli), „Manchmal kommt alles ganz anders“ von Root Leeb (31. Juli), „Ich rede ungern mit meiner Stehlampe“ von Ute-Christine Krupp (3. August), „Klemke begegnen“ von Dieter M. Gräf (10. August), „Siena so nah“ von Pola Schlipf (14. August) und „Landgang“ von Norman Ohler (17. August).

Die Autorin: Sigrid Sebald.
Die Autorin: Sigrid Sebald.
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