Kultur Sonderlinge von der Insel
Im Mittelpunkt der fünften Auflage des Festivals „Modern Times“ der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz steht in diesem Jahr Musik von der britischen Insel. Eröffnet wurde das Festival gestern Abend im Ludwigshafener Pfalzbau. Dasselbe Programm – mit Chefdirigent Karl-Steffens am Pult und dem fulminant spielenden jungen australisch-taiwanesischen Geiger Ray Chen als Solisten im Britten-Konzert – gab es am Abend vorher in der Landauer Jugendstil-Festhalle.
Es liegt sicherlich auch an der Insellage. Britische Komponisten sind die großen Einzelgänger der Musikgeschichte. Die Sonderlinge. Darin zumindest den Brexit-Politikern unserer Zeit durchaus ähnlich. Aber Benjamin Britten, den man mit Fug und Recht als den wichtigsten englischen Tonsetzer des 20. Jahrhunderts bezeichnen darf, ist zugleich auch ein zutiefst überzeugter Humanist. Und ein brillanter Natur-Schilderer, zum Beispiel in seinen „Four Sea Interludes“, jenen Orchesterzwischenspielen aus seiner 1945, kurz nach Kriegsende uraufgeführten Oper „Peter Grimes“. Hier spricht das Meer selbst, die eigentliche Hauptfigur der Oper, und die Staatsphilharmonie findet dafür eine emphatische, packende Klangsprache. Emphase verlangt auch die Wiedergabe des Violinkonzerts von Benjamin Britten. Zugleich ist dieses 1939 entstandene Werk aber auch Klagegesang und Mahnung. Britten verweist auf die aufkommende Menschheitskatastrophe am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Der 1989 in Taipeh geborene Geiger Ray Chen findet dafür Töne von erlesener Schönheit. Zusammen mit Steffens und dem äußerst sensibel agierenden Orchester gelingt eine sehr intensive, berührende, nachgerade aufwühlende Wiedergabe. Gipfel- und Zielpunkt ist der Schlusssatz, der als Passacaglia angelegt auf archaische Formmodelle zurückgreift und so fast schon zu einer religiösen Aussage wird. Zu einem Gebet, das um Frieden bittet, nachdem der vorangegangene Mittelsatz in rasantem Tempo noch viel kämpferischer geklungen hatte. Und nebenbei dem Solisten aberwitzig schwere technische Fähigkeiten abverlangt, über die der junge Solist aber ohne Zweifel verfügt, was er auch in seiner Paganini-Zugabe beweist. Nach der Pause dann die große romantische, besser spätromantische Sinfonie. Aber eben nicht von Brahms, Bruckner oder Mahler, sondern von dem Londoner Ralph Vaughan Williams. Dessen 1914 uraufgeführte „London Symphony“ ist auch das Porträt einer Stadt. Eine Liebeserklärung an London, wenn man so will eine Programmsinfonie, wie wir sie auch von Dvorák oder Smetana kennen. Aber doch ganz eigen, originell. Britisch eben. Und von Steffens und der Staatsphilharmonie fantastisch interpretiert. Das ist ganz große Sinfonik, die man in Deutschland viel zu selten zu hören bekommt. Ein Grund mehr, sich jedes einzelne Konzert von „Modern Times“ anzuhören. Es lohnt sich nämlich, Entdeckungen zu machen.