Kultur Sorgen um die Zukunft

Paula Beer und Franz Rogowksi spielen in Christian Petzolds Anna-Seghers-Verfilmung „Transit“ Menschen auf der Flucht. Petzold g
Paula Beer und Franz Rogowksi spielen in Christian Petzolds Anna-Seghers-Verfilmung »Transit« Menschen auf der Flucht. Petzold gehörte zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes, der – erfolglos – eine Findungskommission einforderte, um die Nachfolge von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick zu regeln.

19 Filme, darunter vier deutsche, sind bei der 68. Berlinale im Bärenrennen. Direktor Dieter Kosslick stellte gestern das Programm des Filmfestivals vor, das am 15. Februar beginnt. Zu den Stars, die erwartet werden, gehören Joaquin Phoenix, Isabelle Huppert, Bill Murray, Tilda Swinton – und Sänger Ed Sheeran als Protagonist eines Dokumentarfilms der Reihe „Special“. Auch die #MeToo-Debatte soll nicht ausgespart werden.

Wichtigster deutscher Wettbewerbsbeitrag ist Christian Petzolds „Transit“ mit Franz Rogowski und Paula Beer. Der Film nach dem autobiografischen Roman von Anna Seghers erzählt von Exilschriftstellern während der NS-Zeit: Ein Flüchtlingsthema also. Rogowski, der mit dem Berlinale-Erfolg „Victoria“ bekannt wurde und nun als „European Shooting Star“ geehrt wird, spielt neben Sandra Hüller auch in Thomas Stubers Außenseiter-Liebesfilm „In den Gängen“. Emily Atef wiederum spürt in „3 Tage in Quiberon“ dem Leben von Romy Schneider nach, gespielt von Marie Bäumer. Philip Grönings Drama „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ ist vierter deutscher Bärenanwärter. Für Diskussionen sorgen dürfte der norwegische Beitrag: „Utøya 22. Juli“ von Erik Poppe spürt dem Attentat von Anders Breivik nach. Dazu hat Dieter Kosslick zwei Debütfilmer in den Wettbewerb geladen, aber auch alte Bekannte wie Gus Van Sant (mit „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“), den für seine vielstündigen Werke bekannten Lav Diaz (der geladene Film „Season of the Devil“ dauert „nur“ 234 Minuten) oder Alexey German Jr aus Russland. Der diesjährige Wettbewerb spiegele „die Welt so, wie sie ist: komplex, vielschichtig, aber auch spannend“, sagte der Festivaldirektor bei der Vorstellung des Programms. Die ausgewählten Filme brächten uns eine Welt näher, „die keineswegs nur im guten Sinne immer wieder zum Staunen veranlasst“, gab er sich weniger optimistisch als sonst. Eine sorglose Feier der Kinokunst dürfte die 68. Berlinale tatsächlich nicht werden. Da ist zum einen die Debatte, wie das Festival weiter gehen soll: Kosslicks Vertrag endet im Mai 2019. Und so hatten rund 70 Filmemacher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters gefordert, sie möge doch eine Findungskommission einsetzen, um eine geeignete Kuratorenpersönlichkeit für das wichtige Amt zu finden. Da die Filmemacher auch eine inhaltliche Reform ob der mitunter unübersichtlich wirkenden Programmfülle des Festivals anregten, wurde ihr Offener Brief auch als Kritik an Dieter Kosslick verstanden. Den Mit-Unterzeichner Christian Petzold lud Kosslick dennoch ein. Die gute Laune hat es dem Berlinale-Chef, der mit seiner fröhlichen, offenen Art zum Aushängeschild und Publikumsliebling des Festivals geworden ist, allerdings für eine Weile verdorben: Herausragende Filme an Land zu ziehen, sei dieses Mal besonders schwer gewesen, hatte er im Dezember mitgeteilt. Gerade in den USA sorge man sich um den Ruf des Festivals, das neben Cannes und Venedig noch als eins der drei A-Festivals weltweit gilt. Dabei hatten sich starke Berlinale-Filme noch immer durchgesetzt, so die Oscar-Erfolge „Boyhood“ und „Grand Budapest Hotel“: Dessen Regisseur Wes Anderson zeigt denn auch sein neues Werk, „Isle Of Dogs“, kommende Woche als Weltpremiere und Eröffnungsfilm. Der letztjährige Goldgewinner „Körper und Seele“ wiederum schaffte es zum Europäischen Filmpreis und zur Oscar-Nominierung. Gleich vier Mal nominiert ist die schwule Liebesgeschichte „Call Me By Your Name“, die 2017 im Berlinale-Panorama uraufgeführt wurde. Einen Schatten wirft auch die #MeToo-Debatte, die Frage nach (Macht-)Missbrauch in der Filmbranche, auf das Festival. So hat Schauspielerin Anna Brüggemann gefordert, dass sich Frauen auf dem Berlinale-Teppich dem Glamour-Dresscode verweigern sollen, um nicht auf ihr Äußeres reduziert zu werden. „Nur so werden wir das Rollenbild des Pin-ups endlich hinter uns lassen“, befand sie. Sneaker statt Highheels also? Donnerstag in einer Woche wird sich zeigen, ob jemand ausgerechnet bei einem von überhöhter Star-Aura lebenden Filmfestival ihrem Aufruf folgt. „Ich werde auf jeden Fall keine Frau zurückweisen, die flache Schuhe trägt – und auch keinen Mann mit Highheels“, scherzte Kosslick gestern. Die gewichtigere Wortmeldung des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung aber hat sich die Festivalleitung zu Herzen genommen: Johannes-Wilhelm Rörig hatte von Kosslick gefordert, bei der Berlinale „ein deutliches Signal zu setzen, dass sexuelle Übergriffe nicht geduldet werden dürften“. Die Berlinale hat reagiert. So gibt es etwa eine „Gesprächsrunde zu sexueller Belästigung in Film, Fernsehen und Theater“, und unter dem Titel „Nein zu Diskriminierung!“ werden Beratungsangebote vermittelt. Eingebunden wird auch die Initiative „Speak Up“, die dafür eintritt, dass Frauen und Männer bis 2020 zu gleichen Anteilen zu den Entscheidern nicht nur in der Filmbranche gehören sollen. Im Berlinale-Programm selbst sind 37,5 Prozent der Filme von Frauen gedreht worden, im Wettbewerb sind jedoch nur vier Regisseurinnen vertreten.

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