Kultur Stimmen des Entsetzens

Frieder Bernius.
Frieder Bernius.

Der gebürtige Ludwigshafener Frieder Bernius gehört zu den herausragenden Chordirigenten unserer Zeit, der von ihm vor 50 Jahren gegründete Kammerchor Stuttgart zu den absoluten Spitzenensembles. Zum Abschluss der Geburtstagsfeier gab es jetzt ein bewegendes Konzert in Stuttgart.

Es war ein „Joint Venture“ im puren Wortsinn; ein Wagnis, gewichtig und inhaltsschwer, das Frieder Bernius mit dem Kammerchor Stuttgart als Abschluss des 50-Jahr-Jubiläums in Partnerschaft mit der „Akademie für gesprochenes Wort“ der Uta-Kutter-Stiftung präsentierte. Diese ebenfalls in Stuttgart verortete Sprach-Förderinitiative feiert gerade 25 Jahre ihres Bestehens und krönte ihrerseits die aktuell 12. Internationalen Stimmtage mit diesem Wort-Ton-Programm. Dessen inhaltliche Thematik fasste als bemerkenswert geschlossenes Konvolut die düstersten November-Gedenktage deutscher Geschichte zusammen – das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 und die Reichpogromnacht vor 80 Jahren. Ort des Geschehens: die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Konzertsaal, zwei ausverkaufte Vorstellungen. Eben da hatte der Jungstudent Frieder Bernius aus Ludwigshafen den Stuttgarter Kammerchor vor 50 Jahren gegründet und ungemein rasch und dann stetig auf internationalem Level etabliert. Der chorischen Königsdisziplin, a cappella pur also, war die rund 100 Jahre umfassende Werkfolge von Felix Mendelssohn bis Hanns Eisler verpflichtet. Rezitatorisches Pendant am Lesepult war die Schauspielerin Iris Berben, Patronin der eben zu Ende gegangenen 12. Stuttgarter Stimmtage. Die großartige Mimin rezitierte in zwei Blöcken eine Auswahl an Literarischem unter anderem von Rose Ausländer, Rosa Luxemburg und Bertolt Brecht, zudem Zeitdokumentarisches, aus Kriegstagebüchern etwa. Sie widmete sich ihrer Aufgabe in bestechend disziplinierter Weise – makellos in der sprachlichen Diktion, frei von Pathos und Allüre, dabei nuancenreich im Spiel mit Zwischentönen und Empathie. Mit Bachs h-Moll-Messe im Frühjahr und der kürzlich im katholischen St. Eberhard-Dom zu Stuttgart aufgeführten „Missa Solemnis“ von Ludwig van Beethoven hatte Frieder Bernius dem Jubiläum zwei epochale Wegmarken verpasst, die jetzt mit dem A-cappella-Programm nochmals Erweiterung erfuhren. Der inhaltliche Schwerpunkt hatte da natürlich die Feder geführt, lieferte aber auch geradezu ideale Prüfsteine für das atemberaubende Hochkarat des diesmal mit einer Auswahl von 27 Stimmen angetretenen Wunderwerks Kammerchor Stuttgart. Die sanfte Melancholie des Sterbens in der herbstlichen Natur im schroffen Kontext zur bitteren Anklage des menschengemachten Todes spiegelte die exquisite Werkfolge, beginnend mit Edward Elgars achtstimmigem „There is a sweet music“, mit fesselnder Intensität. Hanns Eislers 1936 im Exil komponierte Kantate „Gegen den Krieg“ auf Texte von Bertolt Brecht – zwölftönig durchkomponiert, dabei in ihrer Diktion, ihrer klaren und konzisen Deklamation geradezu ein Lehrstück politisch-künstlerischer Dialektik – tauchte auch schon früher in Bernius Programmen auf. Zwei fantastische Bearbeitungen für Chor a cappella – Claude Debussys „Les Cloches“ und „Paysage sentimental“ –, vor allem aber das als Uraufführung präsentierte Arrangement der „Deux mélodies hébraiques“ von Maurice Ravel, jeweils aus der Feder von Clytus Gottwald, waren schwerste Kost für die Ausführenden. Aber stets schafft es dieser Magier am Pult mit seiner zuweilen fast beiläufig anmutenden Gestik diese Paarung von jugendlichem Stimmfeuer und vollkommen trübungsfreier Gestaltung über die Rampe zu schicken. Allein die Momente des Ausklingens, des samtig gerundeten Verwebens eines Schlussklangs, sind jedes Mal atemberaubend. Der Schlussteil führte, fast eine Spur zu kontemplativ und versöhnlich, zurück in die deutsche Liedromantik, zu Eichendorff, Heine, Uhland, mithin zu Felix und Fanny Mendelssohn, deren jüdische Herkunft der kleingeistige Hass der Nazis auch knapp 100 Jahre nach ihrem Tod nicht vor Ächtung bewahrte.

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