Literatur Sven Regeners Hommage an den Humor
Mit dem neuen Wissen könnte man eigentlich „Herr Lehmann“ noch mal lesen. Jenen Roman über einen jungen Mann im Westberlin des Jahres 1989, der aus Überzeugung als Kellner in einer Kreuzberger Kneipe arbeitet. Sven Regener, bis dahin bekannt als Gründer, Sänger, Gitarrist und Trompeter der wahrscheinlich tollsten deutschen Band Element of Crime, wurde mit der Veröffentlichung seines Debütromans 2001 schlagartig vor allem ein berühmter Bestsellerautor, der auch Musik macht.
Fast 25 Jahre später erklärt der inzwischen 63-Jährige in seinem Essayband „Zwischen Depression und Witzelsucht“, wie es dazu kommen konnte, dass „Herr Lehmann“, die zeitlich zum größten Teil früher spielenden Nachfolgebände und die beiden Verfilmungen gemeinhin als witzig gelten, obwohl sie doch sehr traurige Geschichten erzählen. Es werden darin Drogen genommen, Beziehungen scheitern, eine Figur versucht sich das Leben zu nehmen. Bei der Musik seiner Band Element of Crime verhalte es sich genau umgekehrt, schreibt Regener: Die gelte als „traurig, melancholisch, gefühlvoll“ trotz wirklich witziger Texte. Wobei man anfügen muss: Schenkelklopferhumor kann man in der EoC-Poesie nun wirklich nicht finden. Sondern ganz subtilen, feinen, selbstironischen Witz: „Finger weg von meiner Paranoia / Die war mir immer lieb und teuer / Nie ließ sie mich so kalt im Stich wie du.“
Drei Kategorien von Humor
Diese Unterscheidung ist wichtig, sie ist vor allem Sven Regener wichtig. „Wie bei allem anderen im Leben“, stellt er eine steile These auf, gebe es beim Humor drei Kategorien: „Es gibt ihn in übel, in flach und in gut, es gibt den Humor im Tetra-Pak vom Aldi, es gibt den Humor in der Schraubverschlussflasche für ein paar Mark von der Tankstelle und es gibt den Humor vom Wein-Peter, spezialabgefüllt, Grand Cru und St. Emilion und was weiß ich nicht alles.“ Der Aldi-Humor erhebe sich über andere Menschen, arme Schweine, Schwächere, Minderheiten. Der flache Humor lebe „in der Welt der Arsch-Kacke-Pups-Witze“ und sei zwar oft doof, aber nicht böse. Und der feine Humor schließlich, der nehme sich selbst auf die Schippe. Allerdings, schreibt Regener, seien die Kategorien flexibel. Oder um beim Beispiel Frank Lehmann und den anderen Romanfiguren zu bleiben: In welche Kategorie nun das eigene Lachen über sie fällt, hänge davon ab, wie stark man sich mit ihnen identifiziert. Erkennt man sich selbst in ihnen, lacht man auch über sich. Andernfalls lacht man aus Verachtung: „Das kann man nicht steuern, man kann als Autor nur hoffen, dass die richtigen Leute das Buch in die Hand nehmen und dann alles auch noch richtig verstehen oder, zur Not, dass die falschen Leute das Buch in die Hand nehmen und alles falsch verstehen.“ Humor à la Sven Regener.
Das Büchlein, das man schnell durchlesen und anschließend lange durchdenken kann, ist der bis dato unveröffentlichte Text einer Vorlesung, die Regener 2016 an der Universität Kassel gehalten hat, wo ihm die Brüder-Grimm-Poetikprofessur zuerkannt worden war. Auch eine Laudatio auf seinen Schriftstellerkollegen Frank Schulz anlässlich der Verleihung des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor 2015 ist darin abgedruckt. Der Text ist eine Hommage an den Humor und ein Plädoyer für die Kunst. Die Kunst, schreibt Regener, verschaffe dem Menschen „Urlaub von der Sterblichkeit, indem sie ihn an andere Orte, in andere Leben versetzt, ihn an den Gefühlen, Schicksalen, Welten anderer, fiktiver Menschen teilhaben lässt, ihm Dinge zeigt, die er noch nie gesehen hat, ihn Klänge hören lässt, die es im normalen Leben nicht gibt, Gefühle in ihm hervorruft, die er sonst nicht hätte“. Man kann dem nichts hinzufügen.
Lesezeichen
Sven Regener: „Zwischen Depression und Witzelsucht. Über Humor in der Literatur“; Galiani Berlin; 96 Seiten; 14 Euro