Kultur Umstritten: Heute vor 150 Jahren wurde der Dichter Stefan George geboren

Porträtskulpturen des Dichters Stefan George im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar.
Porträtskulpturen des Dichters Stefan George im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar.

Er ist einer der schillerndsten, umstrittensten, zweifellos auch sprachgewaltigsten Dichter der deutschen Literaturgeschichte. Der heute vor 150 Jahren in Büdesheim bei Bingen geborene Stefan George ist eine Zumutung und Anmutung zugleich. Der Meister, der seine Jünger um sich scharte, ist aber mehr als ein poetisches Phänomen. Es ging ihm nicht nur um den inszenierten Kult, sondern auch um seine eigene ausgelebte Homosexualität. Offenbar auch an Minderjährigen, wie jüngste Recherchen nachgewiesen haben.

„Komm in den totgesagten park und schau:/Der schimmer ferner lächelnder gestade/Der reinen wolken unverhofftes blau/Erhellt die weiher und die bunten pfade“ Willkommen in einem der rätselhaftesten Sprachuniversen der deutschen Dichtung. 1897 erschien Georges Zyklus „Das Jahr der Seele“, der von diesem Gedicht eröffnet wurde. Es ist der Beginn des poetischen Widerstands, einer ästhetischen Revolution. George lehnt die ihm umgebende Welt schlichtweg ab. Dem Niederen, Hässlichen, Armen, Alltäglichen hält er das dichterische Wort entgegen. Während Georges naturalistische Zeitgenossen – die Opposition zu diesen kann als Initiationsimpuls seines Werkes gelten – sich darauf beschränkten, die Zerrissenheit und Verlorenheit des Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert darzustellen, geht George einen anderen Weg, der ihn an der abstoßenden und spätestens mit Nietzsche gottlos gewordenen Wirklichkeit vorbeiführt. Er setzt der verlorenen Transzendenz eine kreativ-dichterische entgegen, errichtet sich einen eigenen Kosmos – im Kreis der Gleichgesinnten. Sein Werk bleibt singulär, passt in keine der vielen Schubladen, welche die Literaturgeschichte nötig hat, um das ausgehende 19., frühe 20. Jahrhundert zu beschreiben: Naturalismus, Neoromantik, Neue Sachlichkeit, Expressionismus. Eine gewisse Nähe gibt es zum Ästhetizismus. Zu jener Weltfluchtbewegung, die sich der Realität nicht nur verweigert, sondern diese auch auf eine andere, eine schöne, eben ästhetische Ebene zu heben hofft. Doch der sprachübermächtige Lyriker, der sich für seine Werke eine eigene Schrift schuf und konsequent auf Kleinschreibung setzte, ist ja nur die eine Seite der Medaille Stefan George. Seine Persönlichkeit war ein Ereignis, zugleich charismatisch, faszinierend, überwältigend – und für uns heute bisweilen geradezu abstoßend. Als Meister, Führer, Prophet, Idol und Abgott einer ganzen Generation von Intellektuellen hat er sich in unser Gedächtnis eingeschrieben. Seine dämonische, mitunter sphinxhafte Ausstrahlung, die von Zeitgenossen bestätigte Aura des Todes, die ihn umgab, verlieh ihm eine Gewalt über junge Männer, die unerklärlich bleibt. Es ist dieser Kreis der um den Meister versammelten, ihn abgöttisch verehrenden Schüler – darunter so berühmte Namen wie Friedrich Gundolf, Max Kommerell, Ernst Robert Curtius oder Wilhelm Dilthey, aber auch ein Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 –, der als „geheimes Deutschland“ nicht nur die real gewordene poetische Kolonie inmitten einer abweisenden Wirklichkeit war, sondern zugleich auch fortlebte. Weit über den Tod Georges 1933 hinaus. Eben auch als Bund von Oppositionellen, die den Widerstand gegen Hitler wagten. Bis zum 1897 erschienenen „Jahr der Seele“ hatte George quasi in seiner Innerlichkeit, seiner Eigenwelt verharrt, mit der Gedichtsammlung „Teppich des Lebens“ (1899) wagt er die Konfrontation mit der Welt. Keine Kunstwelten stehen mehr im Mittelpunkt seiner Lyrik, sondern die (Zeit-)Geschichte, historische Persönlichkeiten und Zeitgenossen. Die Sicherheit, in der ästhetischen Heimat gewonnen, das Vertrauen in die eigene Sprachgewalt erzeugen den Glauben an die Möglichkeit einer Wirkung in der Gegenwart: die George-Kreise in Berlin, Heidelberg oder Marburg werden zu Statthaltern einer neuen Welt, zu Ausbildungszentren für eine bessere, weil schönere Wirklichkeit. Die dann doch nur eine hässliche Fratze war, von der zumindest der Meister, trotz aller Bedenken, die man seiner undemokratisch-elitären, sektenähnlichen Attitüde entgegenbringen muss, unbeschadet blieb. Als die Nazis versuchten, seinen neuen Menschentypus, der George in dem Münchner Jüngling Maximilian Kronberger fassbare Wirklichkeit geworden war, für sich zu beanspruchen, verlässt der Meister Deutschland. Angewidert von dem Nazi-Pöbel. Der Titel seines letzten Gedichtbandes – „Das neue Reich“ –, wurde trotzdem missverstanden als Prophezeiung eines „Dritten Reichs“. Hier zumindest kann man ihn freisprechen. Bliebe der Kreis der Jünglinge um ihn herum. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) hatte im Mai einen großen Artikel über George, seinen Kreis, aber auch über dessen Weiterleben im sogenannten Castrum Peregrini in Amsterdam veröffentlicht. Dort hatten sich bereits während des Krieges junge Menschen um den deutschen Dichter Wolfgang Frommel versammelt, der ihnen als Inkarnation des Meisters galt, obwohl er persönlich George nie getroffen hatte. In dem Artikel kommt auch der ehemalige FAZ-Redakteur und scheidende Direktor des deutschen Literaturarchivs in Marbach zu Wort. Ulrich Raulff, der selbst ein großartiges Buch über Georges Nachleben („Kreis ohne Meister“) veröffentlicht hat, sagt ganz unverblümt: „Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass Stefan George ein praktizierender Homosexueller und Päderast war.“ Georges Homosexualität war bekannt, dass es auch zu Missbrauchsfällen kam, konnte man erahnen, wenn man lesen musste, wie etwa die Jünger durch Heidelberg zogen auf der Suche nach „Süßfleisch“. In dem FAS-Artikel wird sogar behauptet, dass diese Suche nach Knaben die George-Jünger bis in die Odenwaldschule führten, deren Missbrauchsskandal ja noch längst nicht in Gänze aufgearbeitet ist. George propagierte den „pädagogischen Eros“, die besondere, nicht zwangsläufig in Sexualität gipfelnde Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. Er forderte von seinen Jüngern eine „übergeschlechtliche Liebe“, zugleich jedoch waren die Initiationsriten, die man über sich ergehen lassen musste, um Zugang zum Kreis zu erhalten, oft gleichbedeutend mit sexuellen Handlungen. Dies war übrigens im Kreis um Frommel genau so. Dies alles wurde quasi überdeckt von der übermenschlichen Aura, die von George ausging, auch von manchen seiner Erben. Man wird es künftig mitdenken, wenn man George-Verse wie die folgenden liest und bewundert: „Wenn ich heut nicht deinen leib berühre/Wird der faden meiner seele reissen/Wie zu sehr gespannte sehne./Liebe zeichen seien trauerflöre/Mir der leidet seit ich dir gehöre./Richte ob mir solche qual gebühre/Kühlung sprenge mir dem fieberheissen/Der ich wankend draussen lehne.“ Ausstellung Im Heidelberger Museum Haus Cajeth läuft bis zum 26. September die Ausstellung „Wer je die Flamme umschritt... – Stefan George im Kreis seiner Heidelberger Trabanten. “. Montags bis freitags 11.30 Uhr bis 17 Uhr, samstags 11.30 Uhr bis 15 Uhr.

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