Pirmasens Verdachtsfall Dichter: Der neue „Ball-Almanach“ wird vorgestellt

Buchcover
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„Hui! Ha! Hu-hu-hui! / Schlabber, schlabber, schlabberndes Schwei! / Tin! Tang! Tung! Tschung! / Flinkes Flackern, flüchtiges Schwung!“. So was kommt halt raus, wenn Künstliche Intelligenz versucht, ein Hugo-Ball-Gedicht zu imitieren, Gequirlter Unsinn und Ausrufezeichengewitter, Dada für Arme, Copyright ChatGPT. Eckhard Faul, der Ball-Forschung-Doyen, beginnt seine Einleitung des von der Stadt Pirmasens und der Ball-Gesellschaft herausgegebenen „Hugo Ball Almanachs 2024“ parodistisch, in dem er den KI-Stuss zitiert. Alsdann aber folgt, wie der Pirmasenser Dada- Miterfinder Hugo Ball (1886 bis 1927) wirklich dichtete – als 20-jähriger Absolvent des Zweibrücker Königlichen Humanistischen Gymnasiums.

Dort beschied man ihm, dem später für seine Lautpoesie und seinen byzantinischen Katholizismus berühmten jungen Mann, „Belesenheit und eigenes Urteil“ zu besitzen, derweil er in Deutschaufsätzen „nicht selten Klarheit und Einfachheit des Ausdrucks vermissen“ lasse. In Balls Versen über die „neuzeitliche Drachenhöhle“ Frankfurter Hauptbahnhof jedenfalls rast, ächzt und stöhnt es expressionistisch: Aus „nied’rem Schlot unheimlicher / Kolosse steigen Kegel auf / Vom Rauch-Grau ist die Luft durchdrungen“.

Der Kunstprojektemacher Ulrich Hermanns hat das Frühwerk im Digitalarchiv der „Frankfurter Zeitung“ vom 8. Juli 1906 entdeckt. Zum Schluss wird das Lyrische Ich darin – „Schon Welle, und verschlungen, Strom“ – fortgerissen. Eine „Auflösung seiner Person“. Ganz im Gegenteil versucht der versierte Ball-Forscher Bernhard Rusch, im Hauptberuf Industriekaufmann und seit 2015 Mitarbeiter des Almanachs, die Figur Ball stärker zu konturieren.

Das Heft, mit einer Arbeit der eidgenössischen Künstlerin Valerie Favre auf dem Cover, hat einen Schweiz-Schwerpunkt. Wilfried Ihrig etwa behandelt darin in einem Fundamentalartikel das Phänomen „Dada Genf“. Eine Keimzelle, die aus Werner Serner, Gustave Buchet und dem coolen Neue-Sachlichkeit-Künstler Christian Schad bestand, der in der Schweiz seine Dada-Phase hatte und in dortigen „Irrenanstalten“ Malkurse gab. Das größte Interesse allerdings dürfte sich an Ruschs Beitrag „Hugo Ball und der Antisemitismus“ entzünden.

Seit 2023 die Ball-Preisverleihung an Weltstarkünstlerin Hito Steyerl ausgesetzt wurde, Grund: die Antisemitismusvorwürfe an den Namensgeber, steht dieser unter verschärftem Verdacht, den die Stadt Pirmasens in mehreren Veranstaltungen aufgegriffen hat. Rusch, der seine Erkenntnisse am Montag bei der Almanach-Vorstellung vortragen wird, geht ihm noch mal nach.

Wobei: Im Prinzip ist alles dokumentiert. Das Problem etwa, dass das prekäre Nebenwerk „Kritik der deutschen Intelligenz“ (1919) bis 1993 gekürzt erschien. Und dann auf Englisch. Verquer fabuliert Ball darin über den Schuld-Anteil des Judentums an der Katastrophe des Ersten Weltkriegs.

In einem Brief über einen Schauspielschüler schreibt er: „Ein typischer Jude (…), der alle verprügelten und hündischen Eigenschaften seiner Rasse um ein paar melancholisch schwarze Augen herum in sich vereinigt“. Dass der erklärte Philosemit Thomas Mann zur gleichen Zeit Juden mit „Fettbuckel, krummen Beine und roten, mauschelnden Hände“ charakterisiert, macht es nicht viel besser.

Noch einmal also geht es auch um Balls schlimmen Irrwege und die Revisionen: den Eintrag im Tagebuch am 21. Dezember 1922, in dem er eingesteht, dass er den Juden „Unrecht tat.“ Der Ludwigshafener Ernst Bloch jedenfalls urteilt ambivalent: „Man möge Ball mancherlei Hilfskonstruktionen der Geburt weder als Jud noch als Germane schärfer anrechnen, als die Schatten der Tugenden verdienen“, schreibt der hoffnungsfrohe Philosoph. Autor Ruschs Fazit: Die Wirkung der antisemitischen Stellen bleibe, auch wenn Balls Antisemitismus im „historischen Kontext eher beispielhaft“ gewesen sei – und positiv, dass er „untypisch für seine Zeit“, den Versuch unternommen hätte, „sich von ihm zu lösen“. Kurz davor allerdings klingt sein Resümee eher schroff. „Tröstlich“ so Rusch, „ist lediglich, dass er nie dem Nationalsozialismus Material lieferte.“

Lesezeichen

„Hugo-Ball-Almanachs. Studien und Texte zu Dada. Neue Folge 15 (2024)“; Redaktion: Eckhard Faul; edition text + kritik, München; 211 Seiten, farbige Abb., 28 Euro.

Termin

Literarischer Abend mit Buchvorstellung am Montag, 30. September, 19.30 Uhr im Forum Alte Post in Pirmasens.

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