Kultur Verlags-Liederprojekt: Aus Freude am Singen

Die Illustration zu „Der Kuckuck und der Esel“.
Die Illustration zu »Der Kuckuck und der Esel«.

Bereits seine neunte Auflage erlebt das Liederprojekt der Verlage Carus und Reclam mit der neuen Folge „Die schönsten Lieder“. Wie immer gibt es einen von Frank Walka ebenso liebevoll wie aufwendig gestalteten Notenband und zwei CDs, auf denen sich herausragende Liedinterpreten unserer Zeit finden.

Singen. Einfach nur singen. Offensichtlich ein menschliches Urbedürfnis seit je. Selbst wer nicht unbedingt mit der passenden Stimme gesegnet ist, verliert spätestens unter der Dusche jede Scham und Zurückhaltung. Oder warum machen sich so viele Menschen in Karaoke-Bars zum Affen? Und jedes Rockkonzert verwandelt sich spätestens dann, wenn die Klassiker erklingen, die jeder auswendig kennt, in einen Auftritt der Fischer-Chöre. Wir Deutsche haben ja ein besonders inniges Verhältnis zum Singen. Nicht nur, weil das „German Lied“, also das Kunstlied, quasi eine deutsche Erfindung ist, sondern auch, weil das deutsche, zwischen bürgerlich und spießig changierende 19. Jahrhundert auch eines der Gesangvereine war. Was quasi mit Schuberts „Lindenbaum“ oder Schumanns „Mondnacht“ beginnt, setzt sich konsequent mit dem „Jäger aus Kurpfalz“ fort. Carus und Reclam haben sich 2009 auf eine lange Liederreise gemacht, und was wurde nicht schon alles gesungen: Wiegenlieder, Volkslieder, Kinderlieder, Liebeslieder, Weihnachtslieder. Jetzt also alles zusammen, die neue Edition versammelt Kompositionen aus allen Themenbereichen, denen Lieder gewidmet wurden und werden. Dem Projekt ging es von Beginn an um das Singen mit Kindern, um eine möglichst frühe Kontaktaufnahme mit dem Wunderreich des Gesangs. Und um die Aktualität des Singens. Im Grunde um eine fantastische Möglichkeit, unsere Gefühle auszudrücken. Wir wissen zwar nicht ganz genau, wann Menschen mit dem Singen angefangen haben, aber es muss weit in der Menschheitsgeschichte zurückreichen. Weit hinter die ersten schriftlich fixierten Lieder des Mittelalters, die ja schon eine frühe Form des Kunstliedes darstellen. Doch daneben gab und gibt es ja die Unterströmung des Volksliedes, häufig wie das Märchen nur mündlich tradiert. Es gibt Wechselwirkungen zwischen beidem, Volkslieder (etwa bei Gustav Mahler), die zu Kunstliedern wurden; Kunstlieder (wie bei Schubert), die zu Volksliedern wurden. Die Sammlung „Die schönsten Lieder“ macht da jedoch keine Unterschiede. Sie bietet beides, ergänzt das Notenmaterial auf den CDs auch durch Meilensteine des Kunstgesangs wie etwa jenem berühmten Schlussduett aus Claudio Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“: „Pur ti miro“, hier gesungen von Nuria Rihal und Philippe Jarousky (da spielt es auch überhaupt keine Rolle, dass wir wissen, dass dieses Duett eigentlich gar nicht von Monteverdi selbst stammt). Das Liederbuch führt nun mit deutschen und internationalen Lieder durch die vier Jahreszeiten, von „Im Märzen der Bauer“ über „Summertime“ bis hin zu „Schneeflöckchen, Weißröckchen“; die Tageszeiten werden mit „Bruder Jakob“ am Morgen und „Guter Mond, du gehst so stille“ am Abend bedacht. Advents- und Weihnachtslieder folgen ebenso wie weitere mit religiösem Hintergrund. Viele Lieder kennt man, hat sie vielleicht früher, als Kind oder Jugendlicher in der Schule gesungen. Manche sind echte Entdeckungen, gerade wenn es sich nicht um deutsche Volkslieder handelt. Fast allen gemeinsam ist, dass sie sehr leicht zu erlernen, auch leicht auf Klavier oder Gitarre zu begleiten sind. Und sie ermöglichen so in Zeiten digitaler Reizüberflutung ein völlig neues Lebens- und Gemeinschaftsgefühl. Die Rückkehr der Hausmusik. Das Erlebnis, gemeinsamen Singens. In der Familie. Und da sollte man sich auch nicht einschüchtern lassen, wenn auf den dazugehörigen CDs mit die besten deutschen Liedinterpreten zu hören sind: von Jonas Kaufmann über Christian Gerhaher, Annette Dasch, Julian Prégardien bis hin zu Andreas Scholl und Michael Nagy. Wichtig ist die Freude am Singen, nicht die Perfektion. Und für diese sorgt die neue Liederedition. Bestimmt. Lesezeichen „Die schönsten Lieder“, Liederbuch inklusive Mitsing-CD; herausgegeben von Christine Busch und Frank Walka; 246 Seiten, 49 Euro, Carus/Reclam, Stuttgart. Außerdem gibt es passend dazu zwei CDs sowie einen Klavierband.

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