Literatur Vier Comic-Tipps für den Herbst

Szene aus „Outline“.
Szene aus »Outline«.

Das Abi, die Liebe und der ganze Rest

Ein erstaunliches Debüt legt Michèle Fischels mit einer Coming-of-age-Story vor. Sie studierte Design an der FH Münster und arbeitet als Illustratorin und Zeichnerin. In Erscheinung getreten ist sie bislang mit Veröffentlichungen in Anthologien und durch ein eigenes Onlinecomic-Projekt. In „Outline“ (Verlag Reprodukt, 208 Seiten, 24 Euro), entstanden als Fischels Abschlussarbeit, geht es um drei Jugendliche im letzten Schuljahr. Ben ist mit seiner Freundin Clara glücklich, die sich aber immer mehr zurückzieht. Aus unerfindlichen Gründen hat sich auch schon sein bester Freund Andreas von ihm abgewendet. Und dann rückt noch das Abitur näher. Die Handlung ist nicht spektakulär, die grafische Umsetzung umso mehr: Mit unkonventionellen Seitenlayouts und lockerem Strich wird authentisch eine Dreiecksbeziehung in einer besonderen Übergangsphase des Lebens skizziert. Eine reife Leistung.

Zurück zu den Wurzeln

Er ist wieder da. Craig Thompson machte vor gut 20 Jahren mit „Blankets“ (zum Jubiläum jüngst neu aufgelegt) Furore. Autobiografisch erzählte der US-Amerikaner vom Aufwachsen im Mittleren Westen in der rigiden Enge eines fundamentalistisch-christlichen Elternhauses. Und von Raina, die er im Ferienlager kennenlernte. Eine herzergreifende Liebesgeschichte in wundervollen Bildern. An diesen Erfolg konnte Thompson nicht anknüpfen. Das fast 700 Seiten starke Buch „Habibi“ von 2011 war ein opulentes, erzählerisch aber überladenes Märchen über zwei Sklavenkinder im Orient. Jetzt gibt es etwas Neues. Craig Thompson (48) kehrt im doppelten Wortsinn zu den Wurzeln zurück. Er schreibt über seine Kindheit und eine Pflanze: „Ginsengwurzeln“ (Reprodukt, 456 Seiten, 39 Euro). Die wurden im US-Bundesstaat Wisconsin einst erfolgreich angebaut. Bei der Feldarbeit verdienten sich Craig und sein Bruder Phil etwas Taschengeld. Ein ungewöhnliches Thema für einen Comic. Der hat Züge eines Sachbuchs, ist aber alles andere als trockene Lektüre, sondern meisterlich in Szene gesetzt und anregend wie Ginseng.

Die dunkle Vergangenheit

Mit düsteren Themen kennt sich Tobi Dahmen aus. Im gerade neu aufgelegten autobiografischen Comic „Fahrradmod“ erzählte er 2015 von seinem Aufwachsen am Niederrhein und von der Jugendkultur der 80er und 90er Jahre. Da spielten auch Rechtsextreme eine Rolle. Mit „Columbusstraße“ (Carlsen-Verlag, 528 Seiten, 40 Euro) beschäftigt sich der 53-Jährige nun mit der NS-Diktatur. Anhand von Zeitzeugnissen erzählt er eine Chronik seiner Familie im Dritten Reich. Im Zentrum steht der Großvater, der in der namensgebenden Straße gut bürgerlich als Rechtsanwalt lebte. Er steht der Nazi-Ideologie skeptisch gegenüber, tritt trotzdem in die Partei ein. Zwei seiner Söhne erleben später die Gräuel an der Front. Der Großvater mütterlicherseits wiederum lässt Zwangsarbeiter Waffen anfertigen. „Diese Zeit besteht aus sehr vielen, meist sehr dunklen Grautönen“, sagt Dahmen. Das setzt er in einem leicht karikierenden Stil mit viel historischen Details um. Ein akribisch recherchierter, erhellender Blick auf die deutsche Vergangenheit.

Schnappschuss mit Folgen

Etwas leichte Kost darf auch mal sein. Doug, ein ehemaliger Fotograf mit großen Selbstzweifeln, lebt zurückgezogen in den schottischen Highlands. Doch dann fotografiert er durch Zufall am See vor seiner Haustür ein seltsames Wesen – und teilt den Schnappschuss im Online-Netzwerk „Twister“. Die Lawine der Ereignisse überrollt Doug genauso wie das kleine Dorf. In „Erstkontakt“ (Verlag Avant, 72 Seiten, 22 Euro) nimmt der Franzose Bruno Duhamel die sozialen Medien und unsere nicht nur digitale Hysterie aufs Korn. Das ist keine allzu scharfe Satire, aber eine witzige kleine Geschichte in einem drollig-klassischen Comic-Stil.Peter Müller

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